«Wäre der Sexismus eine nur annähernd so ernstgenommene politische Kategorie wie der Rassismus, würden wir alle kopfstehen wegen der Welle sexistischer Gewalt, die tagtäglich durch unser Land geht.» (Aus dem Essay «Warum starb Angelika B.?» von Alice Schwarzer, Dezember 1991)
Der Abend begann mit einem Vortrag von Jovita dos Santos Pinto und Monika Hofmann vom interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern (IZFG). Dieser sollte mit Begriffsdefinitionen und -erklärungen eine Grundlage für das weiterführende Podiumsgespräch im zweiten Teil der Veranstaltung bieten. Neben Wörtern wie Rassismus und Sexismus wurde auch der Begriff «Femonationalismus» beziehungsweise «Homonationalismus» eingeführt: Angehörige einer anderen Kultur werden mittels Stigmatisierung als Gegensatz zum «Wir», zur hiesigen Kultur, dargestellt. «Europa zelebriert sich als feministisch, trans- und homofreundlich und zählt diese sogenannten ‘westlichen Werte’ zu den bereits errungenen Attributen ihrer Gesellschaft», erklärte dos Santos Pinto.
Gleichzeitig würden ebendiese Problematiken anderswo geortet: Homophobie oder Unterdrückung der Frau werde kollektiv der muslimischen Kultur zugeschrieben und muslimische Menschen somit der Rückschrittlichkeit bezichtigt. Als Manifestierung dieses Homo- und Femonationalismus thematisierte dos Santos Pinto die obligatorischen Ankunftsgespräche für MigrantInnen, in welchen diese über Werte und Sitten der «schweizerischen Kultur» unterrichtet werden.
Miteinander verschiedener Diskriminierungsformen
Des Weiteren wurde die «intersektionale Perspektive» eingeführt: Diese betont die Verbindung, Verknüpfung und Überlagerung von Sexismus und Rassismus, von Homophobie und Klassizismus – also die Diskriminierung aller Personen, die nicht zur dominierenden Gruppe gehören.
Am Beispiel eines amerikanischen Gerichtsfalls aus dem Jahre 1977 wurde dargestellt, dass eine Trennung der verschiedenen Diskriminierungsformen keinen Sinn ergibt: Fünf afroamerikanische Frauen verklagten die Firma General Motors, weil sie angeblich aufgrund ihrer Hautfarbe sowie ihres Geschlechts keine Anstellung erhalten hätten. Im Sekretariat arbeiteten ausschliesslich weisse Frauen, in der Fabrik hingegen auch schwarze Männer. Da die Firma jedoch belegen konnte, dass sie sowohl Frauen, als auch schwarze Männer angestellt hatte, konnte die Klage gegen Sexismus beziehungsweise Rassismus nicht geltend gemacht werden – obwohl in der Firma keine einzige schwarze Frau beschäftigt wurde. Die schwarzen Frauen fielen somit durch das Rassismus-Sexismus-Raster.
«Dieser Fall zeigt, dass es deshalb immer wichtig ist sich zu fragen: Wer profitiert noch am wenigsten vom Kampf gegen die Diskriminierung? Diejenigen sollten wir einzubinden versuchen», so dos Santos Pinto. Zum Schluss des Referats zog Hofmann das Fazit: «Ein ‘Rassismus versus Sexismus’ gibt es für uns nicht. Die beiden Kategorien lassen sich nicht gegeneinander ausspielen» – und beantwortete damit den fragenden Titel der Veranstaltung.
Breit gefächertes Podium
Für das anschliessende Podium waren vier Personen eingeladen worden, allesamt politisch engagiert: Lamya Hennache ist Juristin und Mitglied der Fachkommission für Integration der Stadt Bern. Als Kopftuch tragende Muslima ist sie selbst sowohl von rassistischen als auch sexistischen Vorurteilen betroffen. Annemarie Sançar ist ebenfalls in der Fachkommission für Integration tätig, arbeitet am sozialanthropologischen Institut an der Uni Bern und ist Feministin. Der jüngste Podiumsgast war Joël Hirschi, Vizepräsident der Jungfreisinnigen der Stadt Bern und homosexuell. Aliki Panayides hat Archäologie studiert und ist SVP-Politikerin. Moderiert wurde die Diskussion von Henrik Uherkovich, dem Präsidenten des Trägervereins Breitsch-Träff.
Oberflächliche Auseinandersetzung mit der Thematik
Verdeckt die Rassismus-Problematik den alltäglichen Sexismus? Ist Sexismus die grundlegendste aller Diskriminierungsformen? Inwiefern besteht eine Verschränkung zwischen Rassismus und Sexismus?
Ursprünglich hatte man über das Titelthema der Veranstaltung, welches an Alice Schwarzers Auslegung angelehnt war, diskutieren wollen. Jedoch blieb das Streitgespräch von Beginn weg an spezifischen Themen kleben: Lamya Hennache sah sich mit der Frage konfrontiert, weshalb sie denn ihr Kopftuch der Einfachheit zuliebe nicht einfach weglasse. Zwar konterte sie, auch ohne Schleier eine Migrantin zu bleiben, trotzdem drehte sich das Gespräch weiterhin um die Kopftuchfrage. Später verlor sich die Diskussion in Exkursen zu Migration, wobei scheinbar vergessen ging, dass nicht nur MigrantInnen von Rassismus betroffen sind, sondern auch Menschen, die seit mehreren Generationen in der Schweiz leben.
Auch der Begriff der Integration sorgte für Uneinigkeit: Aliki Panayides befand, Integration und damit die Übernahme westlicher Werte sei an sich nichts Diskriminierendes, worauf Annemarie Sançar zurückfragte, was denn westliche Werte überhaupt seien. Sie betonte: «Der Begriff der Integration wurde massiv verfälscht.» Integration sei ein nie abgeschlossener Prozess und gelte nicht nur für MigrantInnen: «Jede und jeder muss sich immerzu integrieren, um Teil einer Gesellschaft zu sein.»
Die Rassismusthematik blieb mit der Diskussion um Kopftücher und MigrantInnen auf einer ähnlich symbolischen Ebene, wie dies aktuell in medialen oder parteipolitischen Debatten wahrzunehmen ist. Sexismus – oder selbst das Zusammenspiel von Rassismus und Sexismus – kam kaum zur Sprache.
Der Abend im Breitsch-Träff zeigte wohl vor allem eines: Antidiskriminierungskämpfe beschäftigen Menschen aus verschiedenen politischen Lagern und sozialen Schichten – wie darüber ein konstruktives Gespräch geführt werden soll, scheint für alle Beteiligten eine Herausforderung zu bleiben.