Unterwegs im Hier und Jetzt

von Duscha Padrutt 27. März 2024

Kunst In Vechigen hat der Künstler Matthias Zurbrügg einen «Spaziergang durchs Leben mit ungewissem Ausgang» geschaffen. Entlang von Wegweisern und Schildern lässt es sich noch bis Ende April durchs und ums Dorf wandern. Dabei eröffnen sich immer wieder neue Blickwinkel.

Noch bis Ende April lohnt sich ein Frühlingsausflug ins nahe gelegene Worblental ganz besonders: Der in Utzigen wohnhafte Künstler Matthias Zurbrügg hat das Dorf Vechigen in eine begehbare Ausstellung verwandelt: Ein komplexes System aus 100 Wegweisern, 21 Schildern, 18 Worten und acht Sitzbankbeschriftungen aus Tannenholz entspinnt sich über eine Fläche von einem Quadratkilometer in und um Vechigen. Das spektakuläre, im wahrsten Wortsinn «überbordende» Gesamtkunstwerk lädt dazu ein, in eine Welt voller philosophischer Fragen und poetischer Gedanken einzutauchen.

(Foto: Matthias Zurbrügg)
(Foto: Matthias Zurbrügg)

Matthias Zurbrügg, gelernter Hochbauzeichner und Schauspieler, hat mit seinen Wortausstellungen zu seiner eigenen Sprache gefunden. 2016 bespielte er mit seinen Worten das Worblental, 2018 das Berner Kirchenfeldquartier, 2019 den Schosshaldenfriedhof und 2020 den Basler Friedhof am Hörnli – eine der wenigen Ausstellungen, die zu Coronazeiten besuchbar waren und die ihm grosses Echo bescherte.

«VERZWEIGT» baut auf dieser Arbeit auf und entwickelt diese weiter: Die Wegweiser, denen bislang eine Nebenrolle zukam, bilden diesmal die Basis der Ausstellung. Zusammen mit den Zufällen des Ortes fördern die präsenten und gleichzeitig schlichten Wegweiser die Dynamik des Spazierens, so dass sich eine bereichernde Leichtigkeit einstellen kann. Durch die «ausgelaserten» Buchstaben ergibt sich ein zusätzliches Spiel von Wort und Landschaft.

Willkommen im Leben, hier und jetzt! Willkommen im Raum aus Zeit! Willkommen im Unterwegs-Sein! Loggen Sie sich aus und schütteln Sie Ihre Pläne, Ihre Ziele ab. Lassen Sie sich treiben, folgen Sie den Zeichen und schauen Sie, wohin Sie kommen.

Das Dorf Vechigen symbolisiert für Matthias Zurbrügg dabei das Leben. Die Zeit erscheint untrennbar mit dem Räumlichen verbunden. Die Dorfstrassen werden zu Lebenswegen, Ausgänge zu Übergängen, Ausblicke zu Sichtweisen, das Umland zum Anderswo.

Verlässt man das Dorf durch die Ausgänge HAUPTGANG, RUNDGANG, AUSFLUG… stösst man mit etwas Glück und Wachheit auf WELTALL, QUELLE, ENDE, TRAUMZEIT, STILLE… Dabei lässt Zurbrügg viel Spielraum für eigene Interpretationen. Die (neun) Orte ausserhalb des Lebens bleiben auf eigentümliche Weise dazugehörig und verleihen dem «im Leben Sein» erst Sinn, Zauber oder Dringlichkeit.

Wieder im Dorf sind «Wortbilder aus Wegweisern» zu entdecken, die als Installationen für sich stehen, statt auf einen Ort zu verweisen. Und da gibt es noch die «Bänkli» zum Innehalten: GENIESSEN, SPIELEN, DICHTEN, LAUSCHEN. Wie es sich auf der GOTT UND DIE WELTBANK anfühlt, bleibt offen.

(Foto: Matthias Zurbrügg)
(Foto: Matthias Zurbrügg)

Die Ausstellung ist alles andere als ein durchgetaktetes «Outdoor-Adventure-Game», das in logischen Schritten zu einem bestimmten Ziel führt. Viele Wort-Orte sind sogar erst beim zweiten Besuch auffindbar und sie entziehen sich jeglicher Standardisierung oder Codierung. Dies schafft analoge Oasen, in denen sich unser Geist ausruhen und aufatmen kann.

(Foto: Matthias Zurbrügg)
(Foto: Matthias Zurbrügg)

Zurbrüggs Werk gestaltet sich so vielseitig wie das Leben selbst und enthält auch liebevoll-kritische Statements: Der Klimawandel und die «Gefährdung des Ortes» durch entfesselte Mobilität, Privatisierung und Digitalisierung beschäftigen den Künstler stark. Die Ausstellung kann somit auch als Aufruf interpretiert werden, das Unterwegs sein im Hier und Jetzt zu schätzen, statt in die Ferne zu schweifen. Oder mit Wilhelm Busch gesprochen: «Hier da bin ich sowieso, schön ist es auch anderswo».

(Foto: von und mit Matthias Zurbrügg)