Unerwünschter Schall

von Janine Schneider 14. Februar 2024

Winterserie: Lärm Lärm kann ein soziales Ärgernis sein und sogar die Gesundheit gefährden. Wer in der Bundesstadt wohnt, hat jedoch Glück: Bern gehört zu den am wenigsten lärmbelasteten Städten der Schweiz.

Nachmittags im Restaurant O’Bolles, es ist ruhig, im Hintergrund läuft leise Musik. Der Schallpegel bemisst etwa 40 Dezibel. Abends im Sous le Pont, es ist voll, man muss die Stimme heben, um gehört zu werden. 70 Dezibel. Du stehst an der Giacomettistrasse, Feierabendverkehr, Busse, Trams, Autos. 80 Dezibel. Am Gurtenfestival dröhnen die Boxen, alles hüpft auf und ab, ein Gespräch ist praktisch nicht mehr möglich. Über 100 Dezibel können so erreicht werden. Auf dem Flughafen Bern startet ein Flugzeug, es ist ohrenbetäubend laut ohne Ohrschutz. 140 Dezibel. Bei 120 Dezibel liegt die Schmerzgrenze des menschlichen Ohrs.

Lärm messen

Wir sind ständig von Geräuschen umgeben. Nur selten wird uns bewusst, wie stark die Klänge und Geräusche der Umwelt unsere Wahrnehmung beanspruchen. Wenn wir es bemerken, empfinden wir es als unangenehm, als ermüdend, als lärmig. Dabei kann ein Rockkonzert als weniger lärmig empfunden werden als ein knallvolles Restaurant an einem Samstagabend. Es stellt sich deshalb die Frage: Wie lässt sich Lärm messen? Und was ist eigentlich Lärm?

«Das ist eine sehr schwierige Frage», meint Britta Sweers von der Universität Bern dazu. Die Musikethnologin hat zu Soundscapes in Bern geforscht, in der Musikwissenschaft ist «Lärm» ein wichtiges Forschungsthema. Ob etwas als Lärm wahrgenommen werde, hänge zum einen von absoluten Komponenten ab, die man messen könne, erklärt sie. Dazu gehören der Schallpegel oder auch die Höhe eines Tones. Diese haben ab einem gewissen Level gesundheitliche Auswirkungen auf unseren Körper. Daneben gibt es aber auch noch eine subjektive Komponente in der Wahrnehmung von Lärm. «Nicht jede Person empfindet dasselbe als lärmig.»

Das gilt auch für das Gegenteil von Lärm. Britta Sweers untersuchte in einer Forschung für die Stadt Bern, welche Orte als «Ruhezonen» wahrgenommen würden. «Einer der ruhigsten Orte in Bern ist etwa das Postparc Areal», erklärt die Professorin, «Das wird aber nicht als eine ‹Ruhezone› wahrgenommen. Stille kann in so einem Kontext auch etwas Bedrückendes oder Unangenehmes haben.»

Tiefgaragen wie das Postparc Areal sind sehr ruhige Orte – werden aber oft nicht als solche wahrgenommen. (Foto: David Fürst)
Blick aus dem Postparc-Areal. (Foto: David Fürst)

Oft sei dagegen die Münsterplattform genannt worden, ein Ort, der eigentlich relativ laut sei: Kinder, die spielen, das Wasser, das rauscht, Gespräche und Geschirrklirren. Aber die Plattform wird nichtsdestotrotz als entspannter und ruhiger Ort wahrgenommen. Soziale Klänge würden in einem solchen Kontext eher positiv auf die Wahrnehmung der Leute einwirken. «Was als Lärm empfunden wird, hängt stark von den jeweiligen Präferenzen, der Sozialisierung und der Situation ab.»

Das leuchtet ein. Die Autorin erinnert sich an ein WG-Fest im letzten Jahr. Etwa zwanzig Leute stehen und sitzen auf einer Dachterrasse, es ist Samstagabend, ein Wohnquartier, deshalb läuft auch keine Musik, man kann in angenehmer Lautstärke miteinander sprechen. Plötzlich fliegt ein Fenster auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse auf und ein Mann schreit zornig: «Es ist zehn Uhr und wenn ihr nicht sofort still seid, rufe ich die Polizei!»

An diesem Februartag ist die Münsterplattform verlassen. Normalerweise ist der Platz von Leben erfüllt. (Foto: David Fürst)

Gefahr im Verzug

Die Wahrnehmung von Lärm mag oft Streitpunkt zwischen verschiedenen Parteien sein. Aus evolutionsbiologischer Sicht sei es allerdings sehr wichtig, dass wir Schall wahrnehmen und darauf reagieren könnten, erklärt der Umweltepidemiologe Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut: «Wenn etwas sehr laut ist, könnte es auf eine Gefahr für uns hinweisen.» Deshalb reagieren wir bei lauten Geräuschen oft intuitiv, zucken zusammen und halten uns die Ohren zu. «Ausserdem haben Geräusche starke Auswirkungen auf unsere Emotionen. Wenn Lärm anhält, löst das Stress in uns aus.»

Neben direkten Hörschäden im Ohr, ist dieser Stress der Grund dafür, weshalb Lärm gesundheitsgefährdend sein kann. «In der Schweiz schätzt man, dass bei etwa 500 Herz-Kreislauf-Todesfällen Lärm eine Rolle spielt», so Röösli, der früher in der Eidgenössischen Kommission für Lärmbekämpfung sass. Auch bei Diabetes ist der Zusammenhang klar erwiesen. Durch eine hohe Lärmbelastung befindet sich der Körper in einem permanenten Stresszustand – in der Folge ist der Blutzuckerspiegel immer etwas erhöht und die Insulinresistenz steigt.

«Nicht zuletzt kann Lärm auch bei psychischen Krankheiten wie zum Beispiel Depression ein zusätzlich verstärkender Faktor sein», so Röösli. In einer Studie hat der Epidemiologe zusammen mit einer Forschungsgruppe die Korrelation von Suiziden und Lärm untersucht. Sie haben herausgefunden, dass Suizide in der Schweiz tatsächlich mit einer erhöhten Lärmbelastung in Zusammenhang gebracht werden können.

Regen auf der Münsterplattform. (Foto: David Fürst)

In all diesen Fällen ist Lärm aber nur einer unter vielen Faktoren. «Eine gesunde Person wird nicht plötzlich an einer starken Lärmbelastung sterben», sagt Röösli. Aber Lärm könne einer von mehreren Risikofaktoren sein. Und in der Schweiz ist jeder siebte Mensch von erhöhter Lärmbelastung betroffen. Hauptursache ist hierbei der Strassenlärm. Die Lärmbelastung ist denn auch nicht gleich verteilt. Betroffen sind vor allem die städtischen Zentren.

Viel Lärm um nichts

In Bern können wir unterdessen beruhigt sein. Die Bundesstadt gehört zu den leisesten Städten der Schweiz. Der Bevölkerungsanteil, der tagsüber einem Strassenverkehrslärm von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt ist, beträgt in Bern unter 10 Prozent. Bern bewegt sich damit am unteren Rand im Vergleich mit anderen Städten. In Genf, der schweizweiten Spitzenreiterin in Sachen Lärmbelastung, beträgt der Anteil 43 Prozent. Eine Beobachtung, die auch die Musikethnologin Britta Sweers teilt: «Was Bern auszeichnet, ist die Transparenz der Klangkulisse.» Einzelne Töne könnten gut voneinander unterschieden werden. Das mache es eben gerade aus, dass eine Stadt als weniger lärmig empfunden werde.

Trotzdem ist Lärm ein Thema, das die Menschen in Bern beschäftigt. Sei es die Diskussion um Tempo-30-Zonen und Flüsterbeläge im Stadtrat. Oder seien es die Lärmklagen, die immer wieder zu Nutzungskonflikten führen, so zuletzt im Sommer 2023, in dem besonders viele Festivals und Konzerte in Bern stattfanden. Bei der Kantonspolizei Bern sind 2023 im ganzen Kanton 4’131 Lärmklagen eingegangen. Das sind etwas mehr als elf Lärmklagen pro Tag. Darüber mag man erstaunt sein. Oder Kurt Tucholsky zitieren, wie er schon vor hundert Jahren festhielt: «Lärm ist das Geräusch der anderen.»

Noch ist auf der Münsterplattform alles ruhig… (Foto: David Fürst)

 

Korrektur: In einer früheren Version war von 4’131 Lärmklagen in der Stadt Bern die Rede. Die Zahl bezieht sich jedoch auf den ganzen Kanton. In der Stadt Bern werden nur die Lärmklagen im Gastgewerbe aufgeführt. 2023 waren das 254 Lärmklagen.