Unerwartetes – Paul Klee und der Ferne Osten

von Dorothe Freiburghaus 30. Januar 2013

Die neue Ausstellung im Zentrum Paul Klee zeigt das Interesse von Paul Klee für die asiatische Kunst und Geisteshaltung und die Wirkung, die sein Werk auf Japan hat.

Paul Klee hat sich ein Leben lang mit asiatischer Kunst und Geisteshaltung auseinandergesetzt. Was mich aber überrascht, ist die Wirkung seiner Arbeit, seines Lebenswerks auf das Japan von heute – sechzig, ja siebzig Jahre nach seinem Tod! 

Paul Klee ist 1940 gestorben.

1998 hat Kazuya Takahashi eine Comicgeschichte mit dem Kleeschen Menschen gezeichnet. Staunend verfolge ich auf den Papierblättern die Geschichte. Neben mir lacht jemand. Vor mir tauchen mit japanischem Text immer wieder Kleeköpfe und Kleemenschen auf. Plötzlich nehmen mich die heftigen Zeichen, Köpfe, Menschen, Pflanzen, wie wir sie oft in Kinderzeichnungen begegnen, gefangen. Das Wichtige wird gross ins Bild gesetzt. Die Augen stechen bohrend hervor, der Mund ist ein strenger Strich, alles Nebensächliche wird weggelassen. Einfachheit, Klarheit, Beschränkung auf das Wesentliche. Hat Klee Japan hier getroffen?

Beim Betrachten der Comicblätter erhalten diese manchmal heftig gezeichneten Figuren und Köpfe, die rätselhaften Hieroglyphen und zart anmutenden Bilder eine neue Eindringlichkeit.

1995 bis 2001 wurde die Mediathek in Sendai, in einer Millionenstadt nördlich von Tokio gebaut. Ihr Architekt Toyo Ito (* 1941. 2012 erhielt er auf der Architekturbiennale in Barcelona den goldenen Löwen für den besten Länderpavillon). Für die Mediathek war eine transparente Architektur ohne Barrieren gefordert. Toyo Ito hat sich 1995 im Essay Eine sehr aktuelle Naturerfassung mit Klees Naturverständnis auseinandergesetzt. Er versteht das Verhältnis zwischen Individuum und Naturphänomen in Klees Werk als ein immer-wiederkehrendes Werdendes – aus den Fischen wird der Wasserstrudel und erst der Wasserstrudel macht die Fische möglich (Fische im Wildbach, 1926 – in der Ausstellung). Er glaubt, dass sich das auf die Architektur und ihre Umwelt übertragen lässt. Da ist auch Klees Dünenbild (1924 – in der Ausstellung), in dem die gezeichneten Pflanzen immer neue, als farbige Bänder geometrisch gezeichnete Ebenen durchdringen.

Toyo Itos Konstruktion der Mediathek bricht mit dem Pfeiler-Träger-Prinzip der Architektur des 20.Jahrhunderts und lässt Innen- und Aussenraum ineinanderfliessen.

Wie bei Klee die Pflanzen verschiedene Ebenen durchstossen, so durchbrechen Toyo Itos Röhren, die er aus gegeneinander verdrehten Stahlrohrbündeln formt, wie Baumstämme die Stockwerkplatten. Das aufrechte Rohrsystem trägt die leichten Platten und ist zugleich durchsichtig und beweglich. Es gibt nur ganz wenig feste Wände. Vorhänge unterteilen die Räume, die jederzeit neuen Bedürfnissen angepasst werden können. Viel Glas lässt Strassen und Erdgeschossarchitektur ineinanderfliessen, so dass die Architektur als solche nicht mehr wahrgenommen wird.

Ein Video in der Ausstellung führt uns durch das aussergewöhnliche Gebäude.

2005 realisierte Toyo Ito das Metropolitan Opera House in Taichung, das mit einer flüssigen Kontinuität wabenförmige Räume verschiedener Grössen an- und ineinander fügt. Es nimmt Bezug auf Klees künstliche Symbiose (1934 – in der Ausstellung), ein Raumbild voller leicht verzogener Quadrate und Rechtecke, aus denen neue Räume, bei Klee Figuren, wachsen.

Klee ist auch in der modernen japanischen Dichtung, Shuntaro Tanikawa und Musik, Toru Takemitsu, präsent. Leiko Ikemura, die Malerin, setzt sich mit ihm auseinander.

Wie kommt es, dass Klee für Japan so wichtig ist? Dazu steht im Katalog der Ausstellung von Osamu Okuda und Marie Kakinuma leicht gekürzt Folgendes:

– Bereits 1913 erwähnte Kazo Saito, ein japanischer Kritiker die Arbeit von Klee in der Besprechung des ersten deutschen Herbstsalons in Berlin in der japanischen Zeitung Yomiuri. Da war Klee 34-jährig und noch kaum bekannt.

– Vor dem zweiten Weltkrieg wurde Klees Rezeption in Japan untersucht. Klee wurde als kultureller Vermittler zwischen der japanischen Tradition und der westlichen Moderne erlebt.

– In Klees Werk erkannte Japan – durch seine rasche Modernisierung verunsichert – seine traditionellen Werte wieder.

Welche Werte sind denn das, möchte ich fragen und versuche aus Gesehenem und Gelesenem eine provisorische Antwort zu formulieren: Die Reduktion auf wesentliche Inhalte und das immer wiederkehrende Werden. Vielleicht, dass eine Leserin, ein Leser hier mehr beifügen kann?