Und wieder muss das Verwaltungsgericht ran

von Redaktion Journal B 27. Juni 2023

Sozialhilfe (Teil 7) Vor fast genau einem Jahr entschied das Verwaltungsgericht, dass der Regierungsrat auf dem Verordnungsweg eine unzulässige Kürzung des Grundbedarfs der Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Ausländer*innen vorgenommen hatte. Nun muss es sich erneut mit dem Thema befassen.

Es war eine Schelte, die sich der Regierungsrat im Juni 2022 einfing. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern war zum Schluss gekommen, dass die Verordnungsbestimmung des Regierungsrats über die Kürzung der Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Ausländer*innen gegen übergeordnetes Recht verstösst. Der Regierungsrat hatte in einer Verordnung zum Bernischen Sozialhilfegesetz beschlossen, dass vorläufig aufgenommenen Ausländer*innen rund 30% weniger Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL) erhalten.

Der GBL soll die Kosten für grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Schuhe, Verkehr, Sport und Freizeit decken. Für eine vierköpfige Familie sah die Verordnung des Regierungsrates gerade einmal einen Betrag von CHF 1489 pro Monat vor, für eine Einzelperson CHF 696 (ein*e Schweizer*in erhielt demgegenüber rund 30% mehr). Im Fall der bereits seit über zehn Jahren vorläufig aufgenommenen Beschwerdegegnerin sei dies zu wenig entschied das Verwaltungsgericht. Die Verordnung des Regierungsrates verstosse gegen übergeordnetes Recht.

Regierungsrat knausert weiterhin

Als Reaktion auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts passte der Regierungsrat die Verordnung per 1. Januar 2023 an. Neu ist eine Abstufung des GBL vorgesehen: Vorläufig Aufgenommene erhalten zehn Jahre lang nach wie vor den um rund 30% gekürzten Ansatz. Danach erhalten sie zwar immer noch weniger als die einheimische Bevölkerung, jedoch «nur» noch rund 15%.

Doch auch die neue Regelung ist politisch umstritten. So kritisierten etwa die Grünen des Kantons Bern, dass die Änderung nur zu einer minimalen Verbesserung führe, dies unter anderem, weil der Ansatz für den GBL im Kanton Bern generell, also auch für die einheimische Bevölkerung, zu tief liege. Tatsächlich erhalten Sozialhilfebeziehende im Kanton Bern schweizweit den tiefsten GBL. In allen anderen Kantonen bekommen die Menschen mehr (Journal B berichtete).

Auch an der neuen Verordnungsbestimmung des Regierungsrats lässt die Beschwerde kein gutes Haar.

Auch in der revidierten Sozialhilfeverordnung rührte der Regierungsrat also nicht mit der grossen Kelle an. Gleichzeitig hielt das Verwaltungsgericht in seinem Urteil fest, dass ein tieferer GBL für vorläufig aufgenommene Ausländer*innen nicht grundsätzlich ein Problem sei. Es verwies dabei auf das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG), wonach der Ansatz für die Unterstützung von vorläufig aufgenommenen Personen unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung liegen müsse.

Neue Beschwerde

Aufgrund einer neuen Beschwerde wird sich das Verwaltungsgericht nun auch noch zur per Januar 2023 revidierten Sozialhilfeverordnung des Regierungsrats äussern müssen. Die Beschwerde, die Journal B vorliegt, wurde im April dieses Jahres eingereicht und richtet sich gegen den Sozialdienst der Stadt Bern.

Bei den Beschwerdeführenden handelt es sich um ein vorläufig aufgenommenes Ehepaar mit drei Kindern. Die Ehefrau kam im Jahr 2011 in die Schweiz und wurde 2015 vorläufig aufgenommen. Der Ehemann kam ein Jahr später in die Schweiz und wurde 2020 ebenfalls vorläufig aufgenommen. Bis im Juni 2021 erhielt die Familie einen GBL von CHF 2‘364 pro Monat. Per November 2021 wurde dieser Betrag aufgrund der revidierten Sozialhilfeverordnung auf CHF 1‘684 CHF gekürzt, wie aus der Beschwerde hervorgeht.

Die Krux: Weder die Ehefrau noch der Ehemann sind seit mindestens zehn Jahren vorläufig aufgenommen. Für sie gilt demnach nicht die günstigere Regelung, die in der als Antwort auf das Urteil des Verwaltungsgerichts per Januar 2023 geänderten Sozialhilfeverordnung vorgesehen ist. Ihr GBL unterliegt weiterhin einer Kürzung von rund 30% gegenüber dem Ansatz für Einheimische.

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Dies sei unzulässig, wird in der Beschwerde argumentiert. Die Kürzung des Grundbedarfs habe zur Folge, dass das Existenzminimum der Familie nicht mehr gedeckt sei und auch in absehbarer Zukunft nicht gedeckt werde. Auch das Urteil vom Juni 2021 wird in der Beschwerde kritisiert. So gehe das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon aus, dass der Bund überhaupt berechtigt sei, den Kantonen Vorschriften über die Höhe der Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Ausländer*innen zu machen. Es gebe hierfür keine Grundlage in der Verfassung. Stattdessen beziehe sich die Regelung im AIG nur auf vorläufig Aufgenommene, welche sich im Kompetenzbereich des Bundes befänden und von diesem unterstützt würden. Und auch an der neuen Verordnungsbestimmung des Regierungsrats lässt die Beschwerde kein gutes Haar. Sie verstosse gegen das Rechtsgleichheitsgebot sowie gegen völkerrechtliche Verträge.

Schwierige Ausgangslage

Ob dem Vorhaben Erfolg beschieden ist, ist zumindest fraglich. So betonte das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom Juni 2022 mehrfach die langjährige Anwesenheit der Beschwerdegegnerin. Die Richter*innen argumentierten im Wesentlichen, dass sich nach über zehnjähriger Anwesenheit eine Schlechterstellung im Umfang von 30% nicht mehr rechtfertigen lasse, da nach einem so langen Aufenthalt der Integration und damit verbunden der Teilhabe am sozialen Leben eine erhöhte Bedeutung zukomme.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist in den nächsten Monaten zu erwarten. Im Fall des wegweisenden Urteils vom Juni 2022 liess sich das Verwaltungsgericht rund ein Jahr seit Eingang der Beschwerde Zeit, wobei das Urteil mit fast 60 Seiten Umfang recht üppig ausfiel.