Und immer wieder diese Lücke

von Katharina Kilchenmann 25. November 2016

Von Mani Matter sind neue Hinterlassenschaften erschienen. Die Resonanz darauf ist verhalten. Doch die Texte dürften viele interessieren, welche die Lücke, die er hinterlassen hat, immer wieder wahrnehmen.

Da steckt viel Arbeit drin. Auch viel Sorgfalt und das Bemühen, den interessierten Leserinnen und Lesern neue Facetten des Schriftstellers Mani Matter zugänglich zu machen. «Philosophisches, Gedichte, Politisches, Erzähltes und Dramatik», so der Untertitel des knapp zweihundert Seiten starken Buches, herausgegeben von seiner Tochter, der Theaterregisseurin Meret Matter und seiner Frau Joy Matter.

Unveröffentlichtes aus dem Nachlass

Wer geheime Tagebücher oder private Notizen erwartet, wird enttäuscht. Auch wer den grossen literarischen Wurf, oder das ausgefeilte Theaterstück zu entdecken hofft, wird nicht bedient. «Was kann einer allein gegen Zen Buddhisten» ist ein Lesebuch. Man kann es irgendwo aufschlagen und nach ein paar Zeilen ist man mittendrin in der Gedankenwelt des werdenden Schriftstellers, der, wie der Verfasser des Vorworts Guy Krneta schreibt, «sich lieber mit philosophischen und formal-ästhetischen Fragen beschäftigt als mit seinem persönlichen Alltag und Befinden.»

Es braucht viel Kraft und es macht müde,
längere Zeit
anders zu denken als die,
zu denen man höflich ist.
Wenn man das Urteil hört, das sie fällen,
wenn man die Meinung vernimmt, die sie äussern
und darf nicht schreien: Nein! –
wie leicht vergisst man dabei,
was alles eigentlich falsch ist!

Neben Maschinengeschriebenem gibt es vieles, das von losen Blättern zu transkribieren war, oft ohne Datum, meist ohne Titel. Das Buch versammelt Entwürfe, Gedankensplitter und Textfragmente. Auch Gedichte, Chansons, Prosa und das Madrigalspiel «Der Unfall» – eine Art Kammeroper, die Matter zusammen mit dem Komponisten Jürg Wyttenbach konzipiert hat. Dazu findet sich im Buch auch die Rede, die er Mitte der 1960-er Jahre vor Maturanden hielt über die «Mitarbeit des Bürgers im Verwaltungsstaat» (bisher erschienen in Das Magazin Nr. 19/2016).

Informatives Vorwort

In Krnetas Vorwort erfährt man viel darüber, wie eine derartige Textsammlung entsteht. Wie Joy Matter die Hinterlassenschaft transkribierte, unterstützt von der jungen Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Angelia Schwaller als Lektorin. Wie die beiden Herausgeberinnen fachliche Unterstützung suchten: So nahmen sich die Literaten Raphael Urweider, Pedro Lenz und Jürg Halter den Gedichten und Versen an, Ben Vatter den Chansons. Lukas Bärfuss und Guy Krneta beschäftigten sich mit Prosa und Dramatik. Philosophen und Juristinnen lektorierten die weltanschaulichen und politischen Texte und Franz Hohler prüfte am Ende alles Verworfene. Und man kann teilhaben an den vielen Fragen, die sich stellen bei der Entscheidung, ob ein Text veröffentlicht wird oder nicht. Und ganz grundsätzlich an der Überlegung, ob Entwürfe, die nicht zur Veröffentlichung gedacht waren, jetzt vierzig Jahre später frei gegeben werden sollen oder dürfen.

Värslischmied und Staatstheoretiker

Seit vierundvierzig Jahren gibt es Mani Matter nicht mehr. Seine Lieder sind umso präsenter: Landauf und landab werden sie gesungen, bearbeitet, übersetzt und wieder gesungen. Die Texte, die er selber noch als publikationswürdig empfand, kann man in den «Sudelheften» (1974), im «Rumpelbuch (1976) und im «Cambridge Notizheft» (2011) nachlesen. Und seit 2012 gibt es auch seine juristische Habilitationsschrift «Die pluralistische Staatstheorie oder: Der Konsens der Uneinigkeit» (1967/68), die ihn als Staatsrechtler zeigt (alle Bücher greifbar im Zytglogge Verlag).

Aber ihn, den kritischen Zeitgenossen, den vielversprechenden Autor, den feinsinnigen Künstler gibt es nicht mehr. Umso wichtiger, dass seine Nachkommen die Verantwortung für das aufblühende, unvollendete Werk übernehmen und eine Publikation herausgeben, die den Anforderungen des grellen Zeitgeists widersteht: ein Buch, das mit Bedacht die Lücke, die Mani Matter hinterlässt, erhellt. Gut zu lesen (ebenfalls im Vorwort), dass noch der eine oder andere dramatische Entwurf in der Schublade bereit liegt.