«Über die Hälfte wird nicht entlöhnt»

von Christof Ramser 18. Juli 2021

Bäuerinnen sind sozial oft schlechtergestellt als ihre Ehemänner. Sandra Contzen weiss, woran das liegt und wie sich dies ändern könnte.

Zehntausende Bäuerinnen in der Schweiz verdienen keinen Lohn. Was läuft da schief?
Sandra Contzen: Wie viele es genau sind, ist unklar. Der Bäuerinnenverband spricht von 70 Prozent aller in der Landwirtschaft tätigen Ehefrauen. Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik von 2013 waren es 56 Prozent. Seitdem hat sich sicher einiges zum Positiven verändert. Fakt ist aber: Nach wie vor wird mehr als die Hälfte der Frauen für ihre Arbeit nicht entlöhnt. Damit verfügen diese über keine eigene Altersvorsorge und sind sozial schlecht abgesichert.

Wie gross ist die Betroffenheit?
Tendenziell stellen wir fest, dass jene, die zusätzlich auswärts tätig sind, im Betrieb eher keinen Lohn erhalten. Im Rahmen unserer Forschung stellte eine durchaus emanzipierte Frau klar, dass sie auf dem Hof keinen Lohn verlange. Denn zusätzlich arbeitete sie zu 40 Prozent als Handarbeitslehrerin mit eigener AHV und Pensionskasse. Punkto Rente stand sie besser da als ihr Mann.

Im Umkehrschluss erhalten jene, die stark eingebunden sind, eher ein Salär?
Ja. Gut 15 Prozent der Frauen arbeiten auf den Betrieben ihrer Männer für Lohn, knapp 16 Prozent gelten als
selbstständig erwerbend, häufig als Betriebszweigleiterinnen. Je mehr Bereiche eine Frau verantwortet und als gleichwertige Partnerin arbeitet, desto eher erhält sie einen Lohn. Diese Frauen können einfacher den Betrieb führen, falls dem Partner etwas zustösst. Wer als Ehepartnerin regelmässig über die eheliche Beistandspflicht hinaus mitarbeitet, sollte entsprechend entschädigt werden.

Gut 15 Prozent der Frauen arbeiten auf den Betrieben ihrer Männer für Lohn, knapp 16 Prozent gelten als selbstständig erwerbend.

Werfen die Betriebe überhaupt genug ab für zwei Löhne?
In einer Studie stellten wir fest, dass der Anteil der Armutsgefährdeten in der Landwirtschaft zwar grösser und die Löhne tiefer sind als in anderen Branchen, die Höfe aber insgesamt nicht schlechter dastehen als andere Kleinbetriebe. Oft heisst es, dass für zwei Einkommen nicht genügend Geld vorhanden ist. Doch wenn eine Frau mitarbeitet und kein Geld erhält, muss man sich fragen, wie sich ein Betrieb jahrelang über Wasser halten konnte. Fällt die Frau aus, müsste der Mann ja bis zum Umfallen arbeiten, weil er sich keine zusätzliche Arbeitskraft leisten kann. Dann müsste man vielleicht etwas an der Betriebsausrichtung ändern. Dies wird in der Diskussion oft ausgeblendet.

Sind die Finanzen unter Bauernpaaren ein Tabuthema?
Können Rechnungen nicht mehr bezahlt werden, wenden Männer oft die Vogel-Strauss-Taktik an, oder um eine andere Tiermetapher zu verwenden: Sie funktionieren wie ein Hamster im Rad. Weil die Frauen oft für Haushalt und Buchhaltung zuständig sind, merken sie es viel eher, wenn es zu prekären finanziellen Verhältnissen kommt. Ich kenne Beispiele von Bäuerinnen, die ab dem 20. eines Monats nicht mehr wussten, wie sie Lebensmittel bezahlen sollten.

Wie kann dies trotz Selbstversorgung sein?
Auf Landwirtschaftsbetrieben fliessen sämtliche Einkünfte oft in einen gemeinsamen Topf, auch jene aus den Nebenerwerben und daraus wird alles bezahlt. Dies ist etwa bei Steuerabzügen von Vorteil. Doch es vermischt vieles und kann zu Konflikten führen. Investitionen für den Betrieb werden oft priorisiert, der Haushalt kommt zu kurz. Der Mann sitzt dann auf dem neusten Traktor oder steckt das Geld in einen guten Zuchtmuni, während die Frau in einer steinalten Küche steht. Dann stellen sich Fragen der Gerechtigkeit. Insbesondere dann, wenn den Frauen die Wertschätzung fehlt, die sie bei der Arbeit ausserhalb des Hofes viel eher erhalten, sei es verbal, emotional oder bezüglich Lohn. Wer wertgeschätzt wird, nimmt fehlendes Einkommen oder Ungerechtigkeiten viel eher in Kauf, weil die Situation trotzdem als fair empfunden wird. Wenn aber eine Frau «Bittibätti» für ein neues Paar Hosen machen muss, steigt die Frustration. Dann wird es schwierig auf der Beziehungsebene.

Wenn den Bäuerinnen die Wertschätzung fehlt, stellen sich Fragen der Gerechtigkeit.

Die Betriebe werden meistens vom Ehemann geführt und sind dessen Eigentum. Woher kommt dies?
Die Landwirtschaft ist noch immer patrilinear geprägt, nur in den wenigsten Fällen besitzen Frauen einen Betrieb. In den Köpfen herrscht die Meinung vor, dass der Vater als Familienoberhaupt den Betrieb an den Sohn weitergibt. Viele gesellschaftliche Entwicklungen finden verzögert statt. Zum Beispiel Scheidungen: Ab den 1980er-Jahren trauten sich allgemein immer mehr Frauen, Nein zu sagen und sich zu trennen. Bei Frauen aus dem bäuerlichen Milieu dauerte dies länger. Noch heute halten bäuerliche Ehen länger als nichtbäuerliche.

Weshalb ist das so?
Bei einer Scheidung verlässt die Frau nicht nur den Wohnort, sondern auch den Arbeitsplatz und die Familie. Die Kinder bleiben oft beim Mann auf dem Betrieb, aus Verbundenheit zum Land und zu den Tieren, oder weil sie später den Hof übernehmen. Weil die Familie und der Arbeitsplatz derart verknüpft sind, herrschen andere Dynamiken vor. Oft lebt zudem die Schwiegerelterngeneration auf dem Hof und zementiert Verhältnisse, sodass sich die eingeheiratete Frau nicht entfalten kann.

Bei einer Scheidung verlässt die Frau nicht nur den Wohnort, sondern auch den Arbeitsplatz und die Familie.

Warum ist die ältere Generation derart dominant?
Mit der Pensionierung gibt ein Betriebsleiter sein Lebenswerk ab. Zieht er ins Stöckli, ist es schwierig, loszulassen. Um den emotionalen Übergabeprozess bei einer Hofnachfolge zu thematisieren, haben wir an der BFH das Brettspiel «Parcours» entwickelt. Werden «weiche» Faktoren nicht angesprochen, kann es zu schlimmen Zerwürfnissen kommen. Aber auch für die jungen Männer ist die Situation schwierig. Weil sie den Hof günstig übernehmen können und Geschwister aufs Erbe verzichten, fühlen sie sich diesen zu Dank verpflichtet. Sie sind in einer Sandwichposition zwischen Eltern und Ehefrau.

Welche Rolle spielt die Gleichstellung in der bäuerlichen Ausbildung?
Sie zementiert die klassische Rollenverteilung, weil sie nicht gleichwertige Kompetenzen vermittelt. 30 Prozent der Mitarbeitenden in der Landwirtschaft sind weiblich. Doch in der Statistik bleiben die Frauen wenig sichtbar. Zwar lassen sich mehr Frauen zur Landwirtin mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis ausbilden. 1995 betrug ihr Anteil 2,3 Prozent, 2020 waren es 19 Prozent. Andererseits absolvierte erst 2019 der erste Mann die Ausbildung zur «Bäuerin mit Fachausweis».

Erst 2019 absolvierte der erste Mann die Ausbildung zur ‘Bäuerin mit Fachausweis’.

Wo liegt der Unterschied? Neben der Grundausbildung zum Landwirt oder zur Landwirtin, in der Fähigkeiten in Tier- und Pflanzenproduktion, Maschinenunterhalt, Buchhaltung, Agrarpolitik etc. vermittelt werden, fokussiert die Bäuerinnenausbildung auf den Haushalt mit Reinigung und Verpflegung. Zwar berechtigt diese ebenfalls zum Direktzahlungsbezug und natürlich sind Putz- und Kochkenntnisse wichtig. Aber eine Frau kann damit nicht ebenbürtig mit einem Landwirten einen Betrieb leiten.

 

Dieses Interview erschien ursprünglich im Berner Landboten.