Theater- und Tanzhaus für Kinder und Jugendliche – «Why not?»

von Christoph Reichenau 27. März 2023

Ein Theater- und Tanzhaus für Kinder und Jugendliche in Bern? Ist das nötig – ja. Ist es machbar – ja, sagt eine Studie. Doch der steinige Weg bis dahin ist lang.

Das Zentennium der Kinder sollte das 20. Jahrhundert werden. Stattdessen zwei Weltkriege, Millionen Tote, Grenzen des Wachstums. Im 21. Jahrhundert, heute, morgen, übermorgen, spitzt sich die Klimaerwärmung zu, gelten weltweit Kinderrechte, ist die schwarze Pädagogik verfemt, Gewalt aus der Erziehung der Kinder verbannt, gibt es Kitas, stehen kulturelle und künstlerische Anlässe schon den Kleinsten offen – zum Teilnehmen, zum Mitmachen. Alle Kinder sollen, unabhängig von ihrer Herkunft, von früh auf gefördert werden, gerade in der Kunst und durch die Kunst. Vieles ist in letzter Zeit entstanden, privat und dank der Behörden, auch in Bern. Ist es genug? Braucht es mehr? Wäre mehr möglich, und wie?

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

Carol Blanc, Doro Müggler und Luzius Engel, engagiert im Theater für Kinder und Jugendliche, wollten es wissen. Sie initiierten eine Machbarkeitsstudie und gewannen Urs Rietmann dafür. Rietmann gründete vor 25 Jahren den Kinderzirkus «Wunderplunder», war später Co-Leiter des Schlachthaus Theaters und schliesslich Leiter des Kindermuseums Creaviva im Zentrum Paul Klee. Auch die Kulturabteilung der Stadt Bern wollte es wissen und finanzierte neben dem Schlachthaus Theater und der Dampfzentrale den Löwenanteil. Entstanden sind eine Auslegeordnung, eine Umfrage, ein erfrischendes Werweissen, ein reichhaltiger Anhang und ein Vorschlag für nächste Schritte, viel Substanz für wenig Geld.

Worum geht es?

Die Überlegungen wurden vor ein paar Tagen im Untergeschoss des Yehudi Menuhin-Forums vorgestellt. Aus der ganzen Deutschschweiz waren Interessierte angereist, überwiegend Frauen, eine Art Klassentreffen der bunten Szene. Sie erfuhren:

  • Viele bieten in Bern Vieles an Tanz und Theater für Junge.
  • Die Angebote werden rege genutzt.
  • Alle Anbietenden – die Junge Bühne Bern, das Puppentheater, das Kulturhaus VISAVIS, das Schlachthaus Theater, das Theater Szene und weitere – haben kaum genug Ressourcen, personell, finanziell, räumlich.
  • Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird Kinder- und Jugendtheater überall «auch noch» gemacht, nirgends steht – wie in Genf oder in Zürich (in Planung) – das Thema im Zentrum.
  • Nur durch ein Zentrum könne das vielfältige Angebot sichtbar gemacht werden, Beständigkeit und Dauer erlangen, kann Kompetenz und Qualität stärken und ausstrahlen. Nur so könne bewusst machen, dass nicht nur schulische Bildung eine gesellschaftliche Infrastruktur ersten Ranges ist, sondern ebenso Bildung durch Kunst und Kultur. Doch während das Erste zumindest rhetorisch auch als Grundlage unserer Demokratie anerkannt ist, wird das Zweite noch immer als «nice to have» betrachtet.

Dafür ein Beispiel aus alter Zeit. Für Gotthold Ephraim Lessing war es im 18. Jahrhundert der Sinn des Theaters, die Fähigkeit des Menschen «im Mitleiden» auszubilden. «Mitleid» – damit ist nicht das gemeint, was wir heute darunter verstehen. Unter «Mitleid» versteht Lessing eine umfassendere Emotion: «Anteilnahme» oder «Sympathie» oder «Empathie». Es geht um die Fähigkeit, sich auf emotionale Weise in eine andere Person hineinzuversetzen und deren Schicksal so zu erleben und so empfinden zu können, als wäre es das eigene.

Das Theater ist für Lessing also ein Ort, der uns zeigt, dass es Umstände geben kann, die auch uns in Situationen zu bringen vermögen, in denen wir uns nie zu finden hofften. Theater ist ein Ort, wo die Fähigkeit der Anteilnahme exemplarisch trainiert werden kann. Es ist ein unverzichtbarer Ort gesellschaftlichen Lernens.

Ein Neubau wird aus Zeit- und Kostengründen ausgeschlossen.

Wie lässt sich die in der Machbarkeitsstudie konstatierte Angebotslücke füllen? Eine Publikumsbefragung zeigt: 78 Prozent der Antwortenden wollen in Bern ein neues Theater- und Tanzhaus speziell für Kinder und Jugendliche. 86 Prozent sehen dieses in einem umgenutzten Gebäude (keinem Neubau). Das Angebot des neuen Hauses soll die bestehenden Angebote ergänzen (83%), nicht ersetzen.

Wo und wie?

Wo könnte ein solches Zentrum entstehen? Ein Neubau wird aus Zeit- und Kostengründen ausgeschlossen. Umnutzungen zum Beispiel der ehemaligen Schulwarte, des Alpinen Museums, des Kirchgemeindehauses Johannes, des Südhügels des Zentrums Paul Klee wurden angeschaut, doch aus verschiedenen Gründen – zu teuer, zu früh, zu spät – verworfen.

Alternativ zu einem eigenen Haus nicht auszuschliessen erscheint ein Weg wie ihn die «Heitere Fahne» begangen hat: ein Festival, eine beauftragte Person in der Stadtverwaltung, ein Nomadisieren von Ort zu Ort, die Ansiedlung bei einer anderen Institution oder der Ausbau und die Konsolidierung der Jungen Bühne Bern. Kombinationen mehrerer Ansätze sind denkbar.

Viel spricht deshalb dafür, die kommenden zwei, drei Jahre zu nutzen, um die Idee zu einem Konzept mit Budget und Finanzierungsplan auszubauen.

Und jetzt? Die Machbarkeitsstudie stellt, kulturpolitisch realistisch, fest, in den Jahren 2024-2027 sei ein grosser Wurf ausser Frage, da mit der Strategie von Gemeinde- und Stadtrat für diese Periode das Geld gerade eingeteilt werde. Beiträge des Kantons seien bestenfalls in bescheidener Höhe zu erwarten. Die weitere Finanzierung ist ein dornenreiches Thema.
Was nun?

Viel spricht deshalb dafür, die kommenden zwei, drei Jahre zu nutzen, um die Idee zu einem Konzept mit Budget und Finanzierungsplan auszubauen, eine schlagkräftige Arbeitsgruppe zu bilden, einzelne Versuche durchzuführen und parat zu sein, für eine solide Eingabe bei der Stadt und weiteren Finanzierungsträgern für die Jahre 2028-2031.

Dabei stellen sich Fragen:

  • Gibt es tatsächlich zu wenig Angebote?
  • Ist die gewollte oder gewordene Verteilung der Angebote für Kinder und Jugendliche auf verschiedene Orte und Häuser ein Vor- oder ein Nachteil? Könnte anstelle eines Hauses ein Netzwerk dienen?
  • Wenn die Studie deutlich macht, es gehe nicht darum, die bestehenden Angebote zu ersetzen, sondern zu ergänzen: Was genau soll dann mit dem Bestehenden geschehen? Es müsste dann doch ebenfalls personell und finanziell gesichert werden und folglich auch Teil des gemeinsamen Gesamtkonzepts werden. Ist dies so gedacht?
  • Schliesslich: Die Idee geistert seit einiger Zeit in manchen Köpfen herum. Wichtig scheint nun, dass es einen gemeinsamen weiteren Weg geben kann. Gemeinsamkeit wird errungen werden müssen, ausdiskutiert. Denn was immer sich daraus ergibt, es sollte keine Planungsleiche sein und keine neue Einrichtung, die schon bald floppt.

Um so weit zu kommen, gibt es viel zu tun. Es müssten alle städtischen Stellen mit deren Netzwerken einbezogen werden, zum Beispiel auch der Bereich Soziokultur und das Schulamt. Nötig erscheinen viele Gespräche, etwa auch mit Bühnen Bern. Man müsste sich in der Westschweiz kundig machen, um herauszufinden, weshalb diese weiter fortgeschritten ist. Was gibt es im Ausland? Und wie schmiedet man hier Allianzen?

Für so viel Arbeit braucht es nicht bloss Luft und Liebe, sondern auch Geld. Die Rede ist von 40‘000 Franken bis Ende Jahr und 70‘000 jährlich ab 2024. Schon diese Summen einzuwerben, wird die erste Aufgabe sein. Aus dem etwas fatalistisch tönenden Titel der Machbarkeitsstudien, «Why not?», wird ein selbstbewusstes «We Can Get It If We Really Want» werden müssen. Jimmy Cliff als Mentor der Berner Szene des Kinder- und Jugendtheaters und des Tanzes für ein junges Publikum.