Tatort Bern: «Bimm, bamm, Bern» (5/5)

von Tatjana Kruse 19. April 2013

Schnuff muss Gassi, der Boss legt selber Hand an, die Entsorgerin macht sich auf zum nächsten Auftrag und auf der Kleinen Schanze wirds romantisch – das Finale des Kurzkrimis.

18.33 Uhr

Es dämmerte. L’heure bleue. Hoss schaltete den Drehbohrer aus. «Was soll denn das? Wir stehen kurz vor dem Durchbruch!», beschwerte sich der Boss. «Schnuff muss mal Gassi», verkündete Hoss mit gemütvoller Seelenruhe, die auch von der Aussicht auf mehrere hundert Millionen in Gold nicht erschüttert wurde. «Er muss Gassi? GASSI?», brüllte der Boss in dreistelliger Dezibelstärke. «Wir sind hier im Freien, er soll’s einfach laufen lassen!» «Schnuff kann nur auf grün», erklärte Hoss, nahm seinen Terrier an die Leine und ging in Richtung Kleine Schanze davon. Der Boss sah ihm fassungslos nach.

18.34 Uhr

Die Entsorgerin freute sich. Sie hatte die Leiche des Ukrainers – zusammen mit den Relax- und Kirsch-Lufterfrischern, da war sie großzügig – in einen übergroßen Kleidersack gestopft. Das Schicksal war ihr hold: Hin und wieder hastete zwar ein Passant vorbei, aber keiner schenkte ihr seine Aufmerksamkeit. Die Fenster der angrenzenden Häuser blieben dunkel. Es war perfekt. Sie wartete noch kurz, bis der Mann mit dem Hund im Park verschwunden war, dann zerrte sie den Kleidersack mit dem dufterfrischten Ukrainer aus ihrem Kofferraum, zog ihn zügig über den Asphalt, öffnete die Kofferklappe des Kombi und wuchtete den Kleidersack hinein. Na also, ging doch.

18.35 Uhr

Elfi saß auf einer Parkbank mit Blick auf das bronzene Weltpost-Denkmal und heulte. «Na, na, wer wird denn so traurig sein?» Die Männerstimme klang sanft und weich. Ganz anders als man es von dem Körper, zu dem sie gehörte, erwarten würde. Ein vierschrötiger, kantiger Mensch mit enorm viel Muskelmasse. Elfi erkannte in ihm sofort den Polizisten wieder, obwohl er jetzt einen Overall trug. Sein Hund schleckte ihr die Hand. Elfi lächelte. «Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?»

19.13 Uhr

Der Boss sah ungeduldig auf die Uhr. Wo blieb Hoss nur,verdammt? Er war schon über eine halbe Stunde weg. Wie viel Flüssigkeit passte denn in so einen Terrier? Der musste doch längst entleert sein! Gleich würde pechschwarze Nacht herrschen – von der Straßenbeleuchtung mal abgesehen –, da konnten sie nicht länger unbehelligt bohren. Es waren doch nur noch wenige Zentimeter bis zum güldenen Glück. Der Boss sah sich um. Die üblichen Abendpassanten. Was soll’s, dachte er, den Rest erledige ich. Das würde er Hoss selbstverständlich von seinem Anteil abziehen. Er schwang sich auf den Sitz des Drehbohrers, schaltete den Motor ein und spürte das Vibrieren der gewaltigen Maschine, als der Bohrer sich in Bewegung setzte. Der Boss sollte recht behalten. Es waren wirklich nur noch wenige Zentimeter. Allerdings nicht bis zur Goldkammer. Aber bis zu den Rohren, die die Fontänen des Bundesplatzes mit Wasser versorgten. Wie ein Geysir schossen die Fluten nach oben. Menschen liefen zusammen. Ein Streifenwagen bog um die Ecke. Der Boss machte sich vom Acker. Bildlich gesprochen.

19.16 Uhr

Die Entsorgerin fuhr pfeifend aus Bern hinaus. Auftrag erledigt. Sie hatte auch schon einen Folgeauftrag. Irgendein Asiate. Diverse Einzelteile, in Folie verschweißt, die sie am Bahnhof in Zürich abholen sollte. Keine Arbeitsabbruchkante. Das Leben war schön!

19.17 Uhr

Das Leben ist schön, dachte Elfie. Hoss hielt ihre Hand und hauchte ihr zärtliche Küsse erst auf den Handrücken, dann auf die mausbraunen Haare. Schnuff schleckte wie wild die
andere Hand. Liebe lag in der Luft.

19.18 Uhr

Der Boss schälte sich unterwegs aus der blauen Uniformjacke. An seinem Wagen angekommen schlüpfte er aus den Springerstiefeln, riss sich die Baskenmütze vom Kopf und warf alles zusammen in eine Mülltonne am Trottoirrand. Was aus Hoss wurde, war ihm egal. Jeder war sich selbst der Nächste. Er sprang in sein Auto und fuhr los. Die Bullen waren überall, aber das scherte ihn nicht. Er war jetzt ein ganz normaler Tourist. Am Helvetia-Platz war schon eine Fahrzeugkontrolle. Von wegen, Berner seien langsam. Echte Polizisten mit Maschinengewehren sahen in jedes Auto. Der Boss blieb die Ruhe in Person. Das wirkte. Der Polizist winkte ihn weiter. Doch dann…

«Moment noch.» Der Boss hielt an. Er guckte harmlos. Warum auch nicht. Der Polizist schnüffelte. «Was riecht denn da?» «Ich rieche nichts», sagte der Boss. Das stimmte auch. Seit einer üblen Kneipenschlägerei in Marseille, bei der seine Nase mehrfach gebrochen worden war, hatte sich sein Geruchssinn verabschiedet. «Da riecht doch was komisch», insistierte der Polizist. «Machen Sie mal den Kofferraum auf!» Der Rest ist – wie sagt man? – Geschichte!

Hier gehts zu den vorhergehenden Teilen: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4; lesen Sie morgen auf Journal B, wie die Geschichte ausgeht.