Tanzende Linie und orientalische Farbfläche

von Dorothe Freiburghaus 30. Mai 2014

Im Zentrum Paul Klee sind gleich zwei spannende Ausstellungskonzepte zu begutachten: die grosszügig gestaltete Schau «Taking a Line for a Walk» und die farbenfrohe «Tunisreise»

Paul Klee hat sich immer wieder mit der Handschrift, dem gedanklichen Konzept der Buchstaben, bestimmten Regeln und dem spontanen Gestus des persönlichen Ausdrucks auseinandergesetzt.

Meine Erwartung – im riesigen Raum unzählige kleine Kleebilder anzutreffen – wird nicht erfüllt. Ein rascher Blick in den grossen Saal von «Taking a Line for a Walk» lässt mich innehalten. Auf den ersten Blick sind da nur grosse, raumfüllende Bilder zu sehen. Wie ein Sog wirkt die weiträumige Gestaltung des Raums.

Selber Linien in den Raum ziehen

Von Christopher Wool mit seinem Liniengewirr und den heftigen Pinselstrichen zieht es mich zu Olav Christopher Jenssen, der Palindrome schafft, die rätselhaft bleiben. Vielmehr enthalten die Buchstaben versteckte Botschaften, die er für seine eigene Entwicklung nutzt. Weiter geht’s zu Jonathan Laskers Liniengebilden und Cy Twomblys Gekritzel, tanzenden Linien und Worten, die sich zwischen Emotion, gestischer Malerei und Schrift bewegen.

Ausstellungsgut und Raum steigern sich. «Taking a Line for a Walk» verleitet dazu, selber Linien in den Raum zu ziehen, bewusst ein Bild aufzusuchen und sich wieder wahllos treiben zu lassen, auf verschiedenen Wegen durch die Ausstellung und den Raum zu gehen.

Palmzweige wiegen im Wind

Und gleich noch einmal eine exzellente Präsentation eines viel bearbeiteten Themas: die «Tunisreise von Klee, Macke und Moillet». Eine schmale Gasse, an die rechte Wand sind Fotos von Tunesien aus dem Album von August Macke gepinnt. Die Gasse führt auf einen weiten Platz. Die Schatten der Palmzweige wiegen im Wind. Im kühlen, weiten Innenraum erahnen wir die Hitze draussen und erahnen hinter ornamental durchbrochenen Mauern die nordafrikanische Vegetation.

Im Halbschatten folgen wir den leuchtenden, farbintensiven Aquarellen in eine orientalische Welt. Bald auch schon tauchen wir in ein Gassengewirr voll Licht und Schatten bzw. hellen und dunklen Stellwänden. Sie unterstützen die Wirkung der Bilder mit ihren leuchtenden Farbteppichen.

Den Orient nach Bern gebracht

Immer wieder beeindrucken die intensiven Farbklänge von August Macke. Niemand weiss, wohin ihn sein künstlerischer Ausdruck geführt hätte, wäre er nicht im gleichen Jahr noch im Krieg gefallen. Klee setzt sich während der Tunisreise mit der Komposition und der Stadtarchitektur auseinander, um schliesslich zur lichtvollen Farbe zu finden.

In einem seiner nach der Reise bereinigten Tagebuch können wir in dunkelroter Tusche seinen berühmten Ausspruch lesen: «Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht mehr nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.»

Das Ganze ist eine gelungene Inszenierung, die das Erlebnis des Orients nach Bern bringt und gleichzeitig wichtige Entwicklungen auf dem künstlerischen Weg zur Abstraktion als Umsetzung des eigenen Erlebens aufzeigt.