Am 5. Mai 2017 veröffentlichte das Intranet des Tamedia-Konzerns eine Mitteilung der Unternehmenskommunikation mit dem Titel: «Tamedia prüft verschiedene Szenarien für Zeitungsredaktionen». Daraus geht hervor, dass der Konzern bis ins Jahr 2025 im Bereich Werbung und Abonnemente mit einem «Rückgang der Einnahmen um bis zu 30 Prozent» rechnet.
Die Strategie mit den Kompetenzzentren
Weil der Hauptausgabeposten für Zeitungsredaktionen die Löhne der Angestellten ist, werden demnach Entlassungen in bedeutendem Mass unumgänglich sein – auch bei Der Bund und bei der Berner Zeitung. Laut der internen Mitteilung wird zudem die konzernweite Bündelung der journalistischen Produktion geplant. Konkret: «Denkbar [erscheint] die Bildung unternehmensweiter Kompetenzzentren in einzelnen Bereichen wie Sport und Auslandberichterstattung.»
Die Zeitung der Gewerkschaft Syndicom (Nr. 5, 23.6.2017, S. 9) spricht vom «grössten Um- und Abbau der Konzerngeschichte» und erwähnt, ein erstes solches Kompetenzzentrum solle «in Kürze» im Bereich Sport gebildet werden. Wobei: Eigentlich war das erste jenes der Auslandberichterstattung: Es befindet sich in München auf der Redaktion der «Süddeutschen Zeitung» – der Bund zum Beispiel hat es in seiner Ausgabe vom 9. Dezember 2016 unter dem Titel «Kooperation wird ausgebaut» stolz angezeigt. Die Zeitung von Syndicom ergänzt: «Auch in […] Inland, Kultur und Wirtschaft sowie Layout oder im Korrektorat soll dieses Modell bald zum Einsatz kommen.»
Zur massiven Kostensenkung plant der Tamedia-Konzern demnach eine Zentralredaktion, die sich zwar schamvoll in geografisch dezentrale Kompetenzzentren gliedert, aber faktisch als einziges, grosses, elektronisches Text-Warenhaus funktioniert. Die Arbeit der einzelnen Printredaktionen wird dann darin bestehen, sich täglich im Artikel-Warenhaus des Konzerns umzusehen und herunterzuladen, was bei entsprechender Präsentation (Titeleien, Bilder, Kästen, Kürzungen) für das eigene Publikum als lese- respektive klickwürdig erscheint.
Eigene journalistische Leistungen werden die angeschlossenen Zeitungen am ehesten noch in den Lokalteilen bieten dürfen. Aber warum sollten aus Sicht des Zürcher Konzernmanagements zum Beispiel in Bern weiterhin zwei Lokalredaktionen nötig sein?
Es geht um mehr als um den Medienplatz Bern
Über Sparmassnahmen bei Bund und BZ wird Jahr für Jahr berichtet. Im letzten Herbst hat Journal B mit dem Medienexperten Nick Lüthi darüber gesprochen, ob die beiden Zürcher Zeitungen auf dem Platz Bern «in fünf Jahren am Ende» seien. Diesmal nun geht es um mehr als um den Medienplatz Bern. Denn es ist ja nicht einfach so, dass Bund und BZ im Verlagshaus des Tages-Anzeigers erscheinen.
Die Website des Tamediakonzerns erwähnt von A bis Z folgende konzerneigene Printtitel: Annabelle, Berner Oberländer, Berner Zeitung, Bilan, Das Magazin, Der Bund, Der Landbote, encore!, Femina, Finanz + Wirtschaft, Furttaler, GHI Genève Home Information, Guide TV, Langenthaler Tagblatt, Le matin, Le matin dimanche, Le matin du soir, Lausanne Cités, Luxe, Metroexpress, newsnet, Rümlanger, Schweizer Familie, Sihltaler, SonntagsZeitung, Tagblatt der Stadt Zürich, Tages-Anzeiger, Télétop matin, Thalwiler Zeitung, Thuner Tagblatt, Tribune des arts, Tribune de Genéve, TVtäglich, 24heures, Zürcher Unterländer, Zürichsee-Zeitung, Züritipp, 20 Minuten, 20 Minuten friday und 20 Minuten Tilllate.
Der strategische Plan, insbesondere für die Redaktionen der Tageszeitungen in Form von «Kompetenzzentren» eine Art Le Shop-Artikel-Warenhaus zu bauen und parallel dazu die Redaktionen auf das Nötige zusammenstreichen, muss als Angriff auf den Medienplatz Schweiz gesehen werden. Spätestens wenn eine Zentrale vorgibt, wo die Grenzen der Informationsfreiheit liegen und die Meinungsvielfalt an ein paar gut bezahlte Edelfedern in Kompetenzzentren delegiert wird, die dem Publikum die Welt erklären, wird die Tamedia-Konzernstrategie zu Demokratiepolitik. Unter dem Vorwand betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten wird die demokratienotwendige Transmission zwischen Regierenden und Regierten gleichzeitig geschwächt und zentralisiert.
Es ist Zeit zur Kenntnis zu nehmen, was abgeht. Es ist Zeit, den Medienplatz Schweiz und deshalb auch den Medienplatz Bern zu verteidigen – bevor es ihn nicht mehr gibt.