Journal B veröffentlicht zur Ausstellung «Bauen in Bern 1980-2014» das Eröffnungsreferat von Bernhard Giger, Leiter des Kornhausforums.
Wie sich die eigene Stadt verändert, merkt man immer dann am besten, wenn man wieder einmal in ein Quartier fährt, in dem man länger nicht mehr war. Plötzlich steht da, an der Tramstrecke in den Westen, am Europaplatz, der nun, auf Druck der Anrainer, auch offiziell so heissen darf, ein Riesending, hoch und breit und mit markantem Vorbau: der Gebäudekomplex im Rohbau, in dem sich das Haus der Religionen befindet. Ein beeindruckendes Projekt, diese Kooperation von acht verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Aber das Haus der Religionen braucht, was man im Geschäftsmodell des Stade de Suisse Mantelnutzung nennt: Läden, Gastrobetriebe, Büros, ein Parkhaus und 88 Wohnungen. Das übliche Angebot, ist man versucht zu sagen, um Wirtschaftlichkeit zu erreichen und durchmischtes Leben ins Quartier zu bringen.
Architektur im Stadtbild
Aufzuzeigen, wie die Stadt sich baulich verändert, das war die Ausgangsidee zu dieser Ausstellung. Das neue Bern im Panorama gewissermassen, auf einen Rundblick. Sicher stand von Anfang an auch die Frage nach der Qualität dessen, was in den letzten gut 40 Jahren gebaut wurde, im Raum. Das Frage ist schnell beantwortet: Es gibt Bauten, die beeindrucken, es gibt ein paar Perlen, es gibt viel gute bis sehr gute Architektur, und es gibt Mittelmass und einige Orte, wo man lieber wegschaut. Eines aber fällt quer durch die ganze Stadt auf: ein Bewusstsein für architektonische Qualität, das beachtlich und keineswegs selbstverständlich ist. Dieses Bewusstsein musste erst geschaffen werden, von den Architektinnen und Architekten, ebenso aber von Politik und Planungsämtern. Sie haben, bezogen auf die Berner Stadtentwicklung, in den letzten Jahrzehnten keine schlechte Arbeit geleistet. Dass etwas nur schnell und möglichst preiswert von einem Generalunternehmer hingedonnert wird, ist in Bern doch eher selten.
Die Idee der Ausstellung war weniger, zu zeigen, wo gut und wo schlecht gebaut wurde – das ergibt sich, wenn schon, aus den Bildern selber –, es ging vielmehr um eine Bestandesaufnahme, eine Enquete eben, wie es der Untertitel der Ausstellung sagt, einen Zwischenbericht zur Stadterneuerung. Die Aufnahmen von Valérie Chételat, Michael Blaser, Alexander Gempeler und Dominique Uldry zeigen Stadtansichten. Es sind Landschaftsaufnahmen, aber in der Stadt fotografiert. Keine Architekturaufnahmen im strengen Sinn, die Materialien, Volumen und Strukturen dokumentieren, sondern Bilder, die Architektur im Stadtbild zeigen.
Viel Übersicht am Bahnhof
Die Erneuerung reicht von der Innenstadt bis hinaus an die Ränder. Dort ist die Veränderung am augenscheinlichsten. Aber es gibt sie auch anderswo: Gleich hier gegenüber an der Brunngasse; in einem kleinen Wohnhaus, das die Häuserzeile der Wasserwerkgasse abschliesst; an einer Tankstelle in der Schosshalde. Oder in Schulhaus-Erweiterungen: Campus Muristalden, GIBB Viktoria und Lorraine. Oder in der Länggasse, wo die Universität im einstigen Arbeiterquartier feine Zeichen gesetzt hat, Umnutzungen, Anbauten, Neubauten, immer im Dialog mit dem Vorgegebenen.
Am Bahnhof wurde, zum ersten Mal seit dem Abbruch des alten Aufnahmegebäudes in den 60er-Jahren, Raum geschaffen, Klarheit und Übersicht wie noch nie. Der Bahnhof funktioniert, auch wenn er ein ewiges Planungsprojekt bleibt, heute ausgezeichnet, niemand möchte es anders haben. Kaum vorstellbar, wie viel politische Aufregung die Stadt diese Erneuerung gekostet hat. Lastwagen würden in den engen Kurven um den Bahnhofplatz stecken bleiben, prophezeite man uns einst. Und überhaupt das totale Chaos.
Was ist eine Piazza?
Lange gedauert hat es auch, bis der Bundesplatz kein Parkplatz mehr war. Zu Verzögerungen führte hier, wie am Bahnhof, die Verkehrsfrage. Und sie ist auch am Bundesplatz gelöst. Aber was das Konzept der Gestalter, «Platz als Platz», meint, das hat sich noch nicht durchgesetzt. Der öffentliche Raum insbesondere der Innenstadt wird zusehends von privaten, kommerziellen Nutzungen beeinträchtigt. Der Bundesplatz im speziellen. Dass in einer tief rotgrünen Stadt dort die Miss Schweiz-Wahl stattfindet, und die Stadtregierung auch noch mehrheitlich hingeht, ist bemerkenswert und amüsant. Problematisch wird es, wenn der für Bewilligungen zuständige Sicherheitsdirektor sich auf dem Bundesplatz noch mehr Events wünscht und vielleicht sogar eine, wie er sagt, moderate Bestuhlung. Er findet leere Plätze nicht attraktiv und schwärmt von einer Piazza. Vermutlich war er lange nicht mehr in Italien, denn genau als solche, als klassische Piazza, nimmt man den Bundesplatz eigentlich immer dann wahr, wenn er einfach nur ein Platz ist.
Nicht nur auf dem Bundesplatz, auch in der Unteren Altstadt scheint der Mut zu städtebaulicher Veränderung und der Stolz auf die Umsetzung innovativer Konzepte für den öffentlichen Raum geschrumpft zu sein: Weil die Einfahrt zur Gerechtigkeitsgasse einfach zu eng ist für die Aussenbestuhlung der Restaurants, die Fussgänger, die Velofahrenden, den Bus und den Privatverkehr, wird zuerst einmal der offen gelegte Stadtbach, genauer: Martin Beyelers Kunstprojekt «Gegenlauf im Fluss», zugedeckt. Logisch, das würden alle machen: Ein Bach, der aufwärts fliesst, irritiert zwar die Sinne, aber er löst kein Verkehrsproblem. Und für die Touristen gibt es gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Brücke, ja genug Attraktionen, im Bärenpark, Berns Paradestück der Eventkultur.
Im Wankdorf droht urbane Ödnis
An den Rändern der Stadt entstanden und entstehen neue Quartiere – Brünnen, Weissenstein-Neumatt, Schönberg Ost – und Tausende von Arbeitsplätzen wie im Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf. Den Geleisen entlang, dort, wo der städtische Schlachthof war und daneben viel offenes Gelände, eine ausgefranste Stadtrandlandschaft, wächst nun, architektonisch durchaus attraktiv, eine neue Büro- und Wirtschaftswelt heran. Und schon moniert der SBB-Chef, der S-Bahn-Bahnhof Wankdorf, prägendes Bauwerk im Zentrum des neuen Stadtteils, sei zu klein. Als Bauherrin wäre es eigentlich an den SBB gelegen, vor zehn Jahren weitblickend zu planen. Aber der Bahnhof ist auch nicht das eigentliche städtebauliche Problem des neuen Wankdorfs, was viel eher Probleme schaffen könnte, ist die einseitige Nutzung. Der Wohnanteil schwindet mit jedem neuen Bürohaus empfindlich. Wird da nicht entschieden Gegensteuer gegeben, droht am Abend urbane Ödnis.
Die paar Beispiele zeigen es: Stadterneuerung, die über die blosse Sanierung hinausgeht und neue städtische Räume schafft, ist ein diffiziler Prozess, der Architektur und Stadtplanung ebenso mit einschliesst wie politische Akzeptanz und Investoreninteressen. In Bern steht dafür beispielhaft die fast unendlich lange Planungsgeschichte von Brünnen: von der Bandstadt der 60er-Jahre für 150’000 Einwohner, über ein neues Stadtviertel für 20’000 in den Siebzigern bis hin zur Ankunft in der Realität einer von ideologischen Grabenkämpfen blockierten Stadtpolitik und eines angespannten Immobilienmarktes.
Stadterneuerung greift ein in gewachsene Strukturen und soziale Netze, sie verändert das Stadtbild, das reale ebenso wie jenes, das sich in den Köpfen festgesetzt hat. Stadterneuerung bringt – wörtlich und bildlich – neue Farben ins Stadtbild. Aber seine alte Stadt will man dann doch auch um sich haben, das Vertraute halt – selbst wenn es einem nicht überall gleich gefällt.
Markante Eingriffe in den nächsten Jahren
Die Veränderung dauert an. Sie wird im Lauf der nächsten zehn bis 15 Jahre markante Zeichen setzen, nicht nur an den Rändern, sondern verteilt über das ganze städtische Gebiet: Im Stöckacker entsteht der erste Ersatzneubau einer ganzen Siedlung in Bern, auf dem alten KVA-Gelände gibt es ein neues Wohnquartier, die Hälfte davon gemeinnütziger Wohnungsbau, im Viererfeld wird eine der letzten grünen Wiesen überbaut, und in der Hinteren Schosshalde entsteht ein Quartier, dessen bisher erkennbare Konturen ebenso provozierend wie spannend sind. Dass jemand Säulen braucht, um in seine Wohnung zu kommen, ist gewiss gewöhnungsbedürftig. Für Bern unüblich ist aber auch, wie stark verdichtet in Schönberg Ost im vorderen Teil der Siedlung, der Strasse entlang gebaut wird. Nicht nur für die Siedlung selber, sondern ganz allgemein für die weitere Entwicklung von Planungsprojekten wird es darum aufschlussreich sein, zu sehen, wie sich das Wohnen in Schönberg Ost anlässt.
Vier Arten, auf die Stadt zu schauen
Die Ausstellung wurde seit Frühling 2013 von einer kleinen Gruppe entwickelt und konkretisiert. Die Gruppe legte rund zehn Brennpunkte fest und eine Reihe von Einzelobjekten. Dann, Ende vergangenen Jahres, kamen die Fotografin und die Fotografen dazu. Und die Ausstellung verselbständigte sich. Die Vorgaben an Valérie Chételat, Michael Blaser, Alexander Gempeler und Dominique Uldry waren die Brennpunkte – das heisst ihre Bauten und Quartiere – und ein paar einzelne Objekte. Und die ungefähre Anzahl der abzuliefernden Bilder. Mehr nicht. Seit dem Frühjahr haben sie die Stadt so fotografiert, wie sie sie sehen und wie sie Veränderung und Erneuerung wahrnehmen. Die Ausstellung zeigt ihren Blick auf die Stadt – zeigt vier verschiedene Arten, auf die Stadt zu schauen.
Ich danke allen, die mitgeholfen haben, diese Ausstellung zu realisieren, ganz herzlich. Dem Architekturforum Bern und dem Kino Kunstmuseum danke ich für die Kooperation. Projekte wie dieses, mit einer breiten, mehrere Institutionen umfassenden Trägerschaft, sind eine gute Art kultureller Vermittlung, vor allem dann, wenn man, wie wir alle, nur über kleine Mittel verfügt. Mit den Budgets unserer Ausstellungen finanzieren andere die Vorrecherchen eines Projekts. Vor diesem Hintergrund danke ich auch der Burgergemeinde Bern herzlich für die Unterstützung der Ausstellung.