Spielen ins Leere

von Luca Hubschmied 26. Februar 2021

Die Theaterhäuser mussten ab Mitte Dezember für das Publikum schliessen. Die Frage, wie Darbietung per Livestream funktionieren kann, stellte sich auch das Schlachthaus Theater. Dessen Leiterin Maike Lex begegnet der Vorführung im digitalen Raum mit Pragmatismus.

Es sei Neuland, das man jetzt betrete, schrieb das Schlachthaus Theater Mitte Dezember. Neuland, das heisst in diesem Fall eine ungewohnte Form der Öffentlichkeit. Die Aufführungen von «Submarie 8» wurden im Dezember von der Bühne des Schlachthaus Theaters zum Publikum in die heimische Stube gestreamt. Was während des ersten Shutdowns 2020 schon verschiedentlich ausprobiert wurde, hat auch das an der Rathausgasse ansässige Theaterhaus erreicht. Eine Umstellung, die allen Beteiligten viel abverlangt. «Die letzten Tage war ich damit beschäftigt, Gespräche mit den Ensembles zu führen. Diese drehten sich um die Frage, ob sie bereit seien, ihre Vorstellungen zu streamen», sagt die Leiterin des Schlachthaus Theaters, Maike Lex, im Ende Januar geführten Interview.

Die Gespräche seien gut verlaufen, berichtet die Theaterleiterin weiter. Die Stücke «Die Zufügung» und «Streuner» lassen sich auf das Wagnis Streaming ein. Das Stück «Show me a good time» von Gob Squad war ohnehin als Stream geplant. In den Diskussionen seien aber bei allen Beteiligten auch immer wieder Bedenken aufgetaucht. «Ein grosses Problem ist die fehlende Resonanz», sagt Maike Lex, «die verlorene Unmittelbarkeit mit dem Publikum. Die Angst, ins Leere hinein zu spielen ist eine der Hauptsorgen.»  Und für viele Theatergruppen stellten sich auch energetische Probleme:  «Kurz vor einer bevorstehenden Premiere durch die Schliessung der Theaterhäuser ausgebremst zu werden, ist schwierig.» So erging es offenbar der Gruppe Les Mémoires d’Hélène (mit dem Stück «Pseudologia Phantastica»). Zweimal wurde die Premiere in Zürich abrupt abgesagt. Nun fehle der Produktion die Kraft und Überzeugung, das Ganze vor die Kamera zu verlagern.

 


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Auch gesundheitliche Gründe spielten eine Rolle bei den Überlegungen, ob jetzt noch aufgeführt wird, erklärt Maike Lex: «Vor Corona gab es in der Theaterszene eine Art Ehrenkodex, z.B. bei schlimmem Husten Medikamente zu nehmen und auf die Bühne zu gehen. Das hat sich natürlich radikal geändert mittlerweile.»

Theater ohne physische Anwesenheit des Publikums – dagegen wehrten sich das Schlachthaus Theater und die Dampfzentrale noch im Oktober letzten Jahres. In einem offenen Brief betonten sie die Notwendigkeit, als Kulturbetriebe weiterhin für Menschen offen zu sein. «Wenn sich Körper auf der Bühne begegnen, erleben diese Nähe, die sich auch bei physischem Abstand aufs Publikum überträgt», heisst es darin etwa. Einige Wochen später sind die Verhältnisse anders gelagert und aus dem Saal des Schlachthaus Theaters muss die Öffentlichkeit ausgesperrt bleiben. Im Gespräch erläutert Maike Lex die Entscheidung, das Theater nun doch digital zugänglich zu machen: «Die ausfallenden Vorstellungen machten uns grosse Sorgen. Alle anstehenden Projekte nach hinten zu verschieben, würde zu einer Art Kollateralschaden führen. Wenn ich mit einer Gruppe eine Aufführung im kommenden Herbst verabredet habe, lässt sich das nicht so einfach eineinhalb Jahr nach hinten schieben.» Die Folge wäre, dass ein bis zwei Jahre lang nichts Neues mehr produziert würde.

Eine kleine Chance sieht sie auch in der aktuellen Situation: «Wir haben die Möglichkeit, unser Publikum zu erweitern. Das habe ich in den letzten Tagen selbst erlebt, als es mir plötzlich möglich war, Premieren in München und Bochum zu besuchen, ohne meinen Standort wechseln zu müssen. Gleichzeitig können Produktionen in Bern so doch stattfinden. Es macht auch Freude, das Produzierte zeigen zu können und es ist schön, die Reaktionen des Publikums zu erhalten, die kommen nun eben auch digital.» Doch, und das wird Maike Lex nicht müde zu betonen: «Das Streaming ist eine Überbrückung. Nicht zu vergleichen mit der wirklichen Anwesenheit der Gemeinschaft im Theatersaal.»

 

Die Rolle neuer Medien in der Kunst ist für das Schlachthaus Theater eigentlich ein bekanntes Denkfeld. Vor drei Jahren sagte Maike Lex anlässlich des gemeinsam mit der Dampfzentrale veranstalteten Festivals «Digital Playground» in einem Radiointerview: «Die Digitalität hat längst die Kunst und die Kultur durchdrungen». Die Aussage bekommt heute nochmals ein anderes Gewicht. Darauf angesprochen gibt sich die Theaterleiterin nachdenklich: «Wir haben bereits damals im Kuratorium heftig diskutiert, was Digitales in den Künsten bedeutet. Für mich ist, was wir jetzt erleben, auf jeden Fall nicht die neue wahre Form.» Doch auch sie wisse nicht, welche Art von Theater in einem halben Jahr am Schlachthaus Theater stattfinden wird. «Vielleicht habe ich dann wieder eine neue Einschätzung, auch zum Streaming, und spreche dem eine neue Qualität zu. Denn etwas hat das letzte Jahr uns gelehrt: Die Veränderung ist permanent und wir müssen uns immer wieder neu justieren.»

Dass das nicht ohne Abnützungserscheinungen vonstattengeht, ist leicht nachvollziehbar. Für viele Kulturbetriebe war die Unsicherheit eine grosse Belastung, hinzu kamen Unsicherheiten bei der konkreten Umsetzung der Massnahmen oder schlicht Existenzängste. Auch das Schlachthaus Theater spürte die Anstrengung: «Die letzten Monate waren für uns als Team sehr belastend. Durch die neue Möglichkeit des Streamens fühlt sich die Situation aber ausnahmsweise gerade stabil an.»

Und schliesslich gibt es Zukunftsaussichten, die neue Perspektiven eröffnen. So meint Maike Lex mit einer hörbaren Zuversicht: «Unsere grosse Hoffnung ist es, im April das Festival ‚Schlachthaus Theater im Quartier‘ durchführen zu können.» Dieses fiel 2020 komplett aus, nun soll es nachgeholt und erweitert werden. «Diese Stücke im Freien wären auch mit Publikumsbegrenzung gut durchführbar», zeigt sich Lex vorfreudig, «und dieses Projekt liegt uns sehr am Herzen. Wir wollen mit dem Theater raus zu den Menschen, in diesem Fall ins Tscharnergut.» Von der digitalen Übertragung in den geteilten öffentlichen Raum. Es wäre eine weitere Wendung, diesmal offenbar eine wünschenswerte.