«Soziologie studieren, in eine Gewerkschaft eintreten, linken Hip Hop hören»

von Maurin Baumann 11. Oktober 2022

Die zweite Staffel «Money Talks» ist angelaufen. Tommy Vercetti im Gespräch über «unsichtbare» Arbeit – mit einem Soziologen und einer Pflegefachfrau.

Letzten Mittwoch startete die zweite Staffel der «Money Talks» im Bernischen Historischen Museum. Als Teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung «Das entfesselte Geld» lädt Simon Küffer alias Tommy Vercetti über die kommenden Wochen verschiedene Menschen zum Gespräch über unser Lieblingspapier: Geld.

Beleuchtete die erste Gesprächsreihe im vergangenen Frühling noch eher fundamentale und augenscheinliche Aspekte und Verstrickungen dieses Themenkomplexes, liegt der Fokus nun auf der «Rückseite des Geldes» wie es Küffer, zur Eröffnung der Podiumsdiskussion formulierte.

So drehte sich dieser erste B-seitige Money Talk denn auch um «unsichtbare» Arbeit. Also namentlich um Arbeit, die zwar sogenannt systemrelevant ist, aber gesellschaftlich weder prominent dargestellt, geschweige denn wertgeschätzt wird. Arbeit, also auch, die entweder nicht angemessen oder überhaupt nicht bezahlt wird.

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Auf dem Podium diskutierte Küffer darüber mit der Pflegefachfrau Cevincia Singleton und dem Soziologen Oliver Nachtwey. Das Gespräch kreiste immer wieder um die Arbeit im Gesundheitswesen und den Pflegenotstand, der spätestens mit der Covid-Pandemie ins Bewusstsein der Öffentlichkeit katapultiert wurde.

Care- bzw. Sorgearbeit ist ein essentieller Bestandteil der Pflegearbeit, lernt das Publikum von Singleton. Und zu rund 90 Prozent wird der Pflegeberuf von Frauen ausgeübt. Im Zuge der Neoliberalisierung des Gesundheitswesens wird diese zudem mehr und mehr rationalisiert und verschlankt. Soll heissen: Die Zeit, die pro Patient*in zur Verfügung steht, wird gekürzt. Etwa für ein stützendes Gespräch vor einer beängstigenden Operation fehlt dann oftmals die (bezahlte) Zeit. Der akute Personalmangel macht die Situation noch prekärer.

Das Gespräch fand immer wieder neue Pfade – und immer neue Probleme.

Singleton erzählt von «rentablen» und «nicht-rentablen» Fällen, von Patient*innen als Waren und letztlich von Pfleger*innen, die entweder ausbrennen oder aussteigen – nicht selten, weil sie ihre Arbeit unter diesen Umständen nicht mit ihren ethischen Grundsätzen vereinbaren können.

Was ist die Lösung?

Durch die Erfahrungen, die Singleton aus ihrer Praxis als Pflegefachfrau, aber auch aus der Warte einer überzeugten Gewerkschafterin teilte, behielt das Gespräch im Historischen Museum seinen direkten Bezug zur Realität. Verschränkt, kontrastiert und ergänzt mit der soziologischen Fundiertheit von Oliver Nachtwey, fand das Gespräch denn auch immer wieder neue Pfade – und immer neue Probleme.

Und Lösungen? Diesen wich zumindest Nachtwey erst einmal aus und behielt sich das Recht seines Standes vor, umfassend zu kritisieren, ohne im Gegenzug fertige Lösungen anzubieten. Mit einem leichten Schmunzeln lieferte er dann später im Gespräch doch noch eine Patentlösung: «Soziologie studieren». Und mit Blick auf seine beiden Gesprächspartner*innen ergänzte er: «In eine Gewerkschaft eintreten und linken Hip-Hop hören.»

Letztlich müsse das System grundlegend verändert werden, damit sinnvolle Lösungen im Pflegebereich umgesetzt werden können.

Singleton beantwortete die Frage nach Lösungen in negativer Abgrenzung. Sie wisse, was nicht helfe. Nämlich falsches Mitgefühl à la: «Wow, das ist so krass, was du machst – das könnte ich nie». So etwas will sie nicht mehr hören. Auch symbolischer Applaus helfe nicht. Sie wolle, dass die Leute an die Urne gehen und sich einsetzen für Menschen, die «unsichtbare» Arbeit leisten. Letztlich, so zeigte sie sich überzeugt, müsse das System grundlegend verändert werden, damit sinnvolle Lösungen im Pflegebereich umgesetzt werden können.

Weitere Aspekte des Geldsystems – etwa «Geld im Film» oder «Kunst & Kapitalismus» – bespricht Tommy Vercetti in den kommenden Wochen mit weiteren Gästen.

Die «Money Talks» finden jeweils am Mittwochabend im Bernischen Historischen Museum statt. Weitere Informationen finden Sie hier.