So viel Arbeit steckt in einem Salatkopf

von Nina Hurni 8. August 2024

Sommerserie: Phänomen Kollektive Solidarische Landwirtschaft will eine vom kapitalistischen System möglichst unabhängige Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleisten. Ein Hofbesuch bei der Kooperative Feldmoos.

Die «Stutzstrasse» hält, was sie verspricht. Von Oberwangen bei Köniz führt sie steil nach oben, bis irgendwann das Gelände flacher wird. Hier, zwischen den Dörfern Liebewil und Herzwil, liegt der Hof der Kooperative Feldmoos, wo Gemüse und angebaut sowie Rinder aufgezogen werden.

Die freiwilligen Helfer*innen Ferdinand, Simone und Manuela sind gerade dabei, das Gemüse zu zählen, zu wägen und auf die Kisten zu verteilen. Nora, die in der Kooperative Feldmoos arbeitet, koordiniert das Ganze. «Etwa 200 Gramm Bohnen, dann reicht es für alle Abokisten», sagt sie. Ich helfe auch kurz mit und zähle Stangensellerie. Diese Woche kommen auch noch zwei Salatköpfe, Bundzwiebeln, Blumenkohl und Kräuter in die Kiste. Neben allseits bekanntem Gemüse gibt’s im Feldmoos auch immer wieder spezielle Sorten, wie zum Beispiel Favabohnen.

Simone und Ferdinand packen die Gemüsekisten ab (Foto: Nina Hurni).

Jeweils am Dienstag werden 150 Gemüsekisten in zwei verschiedenen Grössen zusammengestellt und in verschiedene Depots in Bern gebracht, wo sie von den Abonnent*innen abgeholt werden.

Solidarische Landwirtschaft

Ein Ziel der Kooperative Feldmoos, welche sich als Teil einer Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) versteht, ist es, die Konsument*innen und Landwirt*innen direkt miteinander in Kontakt zu bringen. Heisst: Abonnent*innen und Freiwillige können auf dem Hof mitarbeiten und es gibt einen Direktverkauf, ohne Zwischenhändler. Dahinter stehen der Wille zu mehr Selbstbestimmung und der Wunsch nach einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft. Das Ziel sei, eine vom kapitalistischen System möglichst unabhängige Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten, heisst es auf der Webseite der Kooperative Feldmoos.

Nora ist sehr froh, die grosse Verantwortung für den Hof nicht allein, sondern im Kollektiv zu tragen (Foto: Nina Hurni).

Nora arbeitet seit eineinhalb Jahren bei der Kooperative Feldmoos, ist mitverantwortlich für den Gemüseanbau und koordiniert die Mitgliedereinsätze sowie die Verwaltung der Abos. Sie hat nach ihrem Studium als Umweltingenieurin die selbstorganisierte, ökologische Gemüsebauausbildung F.A.M.E. mitaufgebaut und selbst abgeschlossen. In diesen Jahren hat sie neben dem Fachwissen aus den Schulwochen verschiedene Gemüsesolawis kennengelernt.

Bewusstseinsveränderung

Bald sind schon alle Kisten bereit und ich setze ich mit Nora und Simone hinter das Haus zum Gespräch. Simone wohnt in der Wohnbaugenossenschaft Warmbächli, wo sich ein Verein gebildet hat, der einerseits Gemüse vom Feldmoos bezieht und sich andererseits verpflichtet, auf dem Hof mitzuarbeiten.

Sie wollten sich als Wohnbaugenossenschaft mit einem Hof verbinden, um Konsumieren und Produzieren wieder näher zusammenzubringen, erzählt Simone. Im Warmbächli gibt es eine eigene Abholstation, was sowohl für das Liefern als auch für das Abholen sehr praktisch ist. Unterdessen sind auch Menschen aus anderen Genossenschaften der Siedlung Holligen mit von der Partie.

Das Ziel wäre, die Produktion vom aktuellen Marktwert zu lösen, und hin zu kostendeckenden Beiträgen und besseren Arbeitsbedingungen für die Produzierenden zu kommen.

Die Aktionstage, die regelmässig auf dem Hof stattfinden und an denen jeweils viele Leute teilnehmen – zum Jäten, Mulchen, Ernten und Lagergemüse sortieren – geniesst Simone besonders. Sie könne dabei viel lernen und merke, wie sich ihr Bezug zum Gemüse verändere, weil ihr bewusst werde, wie viel Arbeit in einem Salatkopf steckt. Und wie sich die Arbeit, die darin steckt, in den marktwirtschaftlichen Preisen von Gemüse nicht annährend angemessen niederschlägt. Diese Bewusstseinsveränderung lasse sich auch bei anderen, die neu zum Verein dazukommen, beobachten, freut sich Simone.

In diesem Tunnel wachsen verschiedene Sorten Auberginen und Gurken. Das Feldmoos verwendet vorwiegend samenfeste Sorten, die also selbst fruchtbare Samen produzieren (Foto: Nina Hurni).

Wer ausserhalb dieses Vereins im Warmbächli ein Abo vom Feldmoos hat, muss nicht zwingend mitarbeiten, kann aber an Aktionstagen ebenfalls dabei sein. «Wir wollen damit verhindern, dass Leute ausgeschlossen werden, die zum Beispiel sowieso schon in prekären Jobs arbeiten und keine Zeit haben», sagt Nora, «oder auch Leute, die Kinder haben oder andere Sorgearbeit leisten müssen.»

Alternative zum bestehenden System

Die Mitarbeit der Abonennt*innen ist ein wichtiger kollektiver Aspekt, der auf dem Feldmoos gelebt wird. Die Solidarische Landwirtschaft will eine Alternative zur kapitalistischen Nahrungsmittelproduktion bieten, indem sie auf längerfristigen Verträgen zwischen Konsument*innen und Produzent*innen aufbaut – eben zum Beispiel einem Abo. Das Ziel wäre, die Produktion vom aktuellen Marktwert zu lösen, und hin zu kostendeckenden Beiträgen und besseren Arbeitsbedingungen für die Produzierenden zu kommen.

Die Bewirtschaftung des Hofes wird von sechs Leuten getragen. «Wir sind rechtlich kein Kollektiv», sagt Nora, «dazu müssten wir eine GmbH oder eine AG gründen». Dies sei jedoch schwierig, weil die gesetzlichen Regelungen für die Verpachtung eines Hofes auf die klassische Landwirtschaft ausgelegt seien und somit Einzelpersonen als Pächter*innen bevorzugen würden.

Anpflanzen ist eine von Simones Lieblingsarbeiten auf dem Hof. Auf dem Bild: Gurkensetzlinge (Foto: Nina Hurni).

«Landwirtschaft wird rechtlich immer noch sehr in familiären Strukturen gedacht», sagt Nora. Traditionellerweise ist dann der Landwirt Betriebsleiter und die anderen Familienmitglieder, beispielsweise die Bäuerin, sind oftmals gar nicht richtig angestellt. Damit bekommen sie auch keinen Lohn und verfügen nicht über eigene AHV-Beiträge. «Diese Strukturen bringen sehr viel Abhängigkeit mit sich, die sich im Falle einer Trennung oftmals zu Ungunsten der abhängigeren Person auswirken».

Flache Hierarchie

Auf dem Feldmoos pachten drei Personen als einfache Gesellschaft den Hof, die anderen sind angestellt. Faktisch führt das dazu, dass einige von ihnen über mehr Macht verfügen, gleichzeitig aber auch finanzielle Verantwortung tragen und nicht einfach austreten können.

Das Hofkollektiv versucht aber, diese Hierarchie möglichst flach zu halten: Die Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Dafür gibt es jeden Montag eine Sitzung, in der die kommende Woche besprochen wird und ausserdem jeden Monat eine Teamsitzung, an der alle zu Wort kommen, um auch darüber zu sprechen, wie es den einzelnen mit der Arbeit gerade geht. Dazu kommt etwa einmal pro Jahr eine Retraite, an der Grundsatzentscheidungen getroffen werden. «Viel wird aber auch einfach beim gemeinsamen Zmorge besprochen, in der Landwirtschaft muss man immer flexibel sein, weil es unter anderem so wetterabhängig ist», so Nora.

Trotzdem setze ich weiterhin auf kollektive Betriebsstrukturen und solidarische Landwirtschaftsprojekte, denn für mich sind dies Beispiele, wie Landwirtschaft in diesem System nachhaltig funktionieren kann

Die Landwirtin ist sehr froh, auf einem Hof im Kollektiv zu arbeiten: «So wie die Landwirtschaft momentan strukturiert ist, gibt es immer zu viel zu tun, das ist sowieso belastend». Wenn dann auch noch nur zwei Menschen für einen ganzen Hof verantwortlich seien, gäbe es keine Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen oder Ferien zu machen. Das kann physisch und psychisch eine grosse Last sein.

«Leben und Arbeiten sind in der Landwirtschaft sehr eng verflochten», fügt Nora an. Auch auf dem Feldmoos muss rund um die Uhr jemand vor Ort sein. Im Kollektiv lässt sich das aber besser aufteilen: «Ich habe auch schon gesagt, ich brauche eine Pause, mich belastet gerade etwas. Und die anderen meinten: Kein Problem. Nimm dir ein, zwei Tage frei. Das war ein sehr gutes Gefühl».

Nachhaltige Landwirtschaft ist extrem arbeitsintensiv. Eine Zucchinipflanze (Foto: Nina Hurni).

Ausserdem sei in einem Kollektiv viel Wissen vorhanden. «Die eine Person denkt an Sachen, welche die andere Person vergisst – und umgekehrt. Zudem komme ich durch Diskussionen mit den anderen auch in meinen eigenen Überlegungen oft weiter und wir lernen voneinander – kollektive Intelligenz eben».

Das sei aber nicht immer nur einfach, es erfordert eine gute Kommunikation, was in einem vollen Betriebsalltag nicht immer einfach ist. «Trotzdem setze ich weiterhin auf kollektive Betriebsstrukturen und solidarische Landwirtschaftsprojekte, denn für mich sind dies Beispiele, wie Landwirtschaft in diesem System nachhaltig funktionieren kann».

Nachhaltige Landwirtschaft

In der Schweiz gehen jeden Tag etwa zwei Höfe ein, das Land wird meistens an einen grösseren Betrieb verkauft. An Boden zu kommen, ohne schon über Familienbesitz zu verfügen, ist schwierig und gerade kleinstrukturierte Betriebe wie das Feldmoos, haben es schwer neben der immer industrieller werdenden Landwirtschaft zu existieren.

«Dabei sollte Zugang zu Boden und Ernährung doch eigentlich ein Grundrecht sein und nicht in den Händen von wenigen liegen», sagt Simone. Die Frage sei auch, ergänzt Nora, wie der Boden bewirtschaftet werde. «Wir versuchen den Boden so zu bewirtschaften, dass er die nächsten 50 Jahre fruchtbar bleibt und idealerweise sogar Humus aufgebaut wird». In der industriellen Landwirtschaft werde Boden dagegen oft ausgelaugt und damit die Lebensgrundlage für nachfolgende Generationen zerstört.

Die Produktionsverhältnisse sind miserabel, gerade wenn wir an Almeria in Spanien denken, wo sehr viel Gemüse herkommt

Die nachhaltige Bewirtschaftung erfordert aber viel mehr Arbeit, die schwierig zu bezahlen ist, weil die Lebensmittelpreise sehr tief sind. «Da kommen wir wieder zur Frage: Was gilt in unserer Gesellschaft als Arbeit und was nicht? Und was verstehen wir unter Nachhaltigkeit? Das jetzige System geht überhaupt nicht auf», meint Simone.

Gemüse, das wir im Laden kaufen, wird im grossen Stil angebaut, doch das ist nicht nachhaltig, weder für den Planeten noch für die Arbeitskräfte. «Die Produktionsverhältnisse sind miserabel, gerade wenn wir an Almeria in Spanien denken, wo sehr viel Gemüse herkommt», sagt Nora. Auch in der Schweiz arbeiten viele Saisonarbeiter*innen, die sich nicht längerfristig niederlassen dürfen. Deshalb ist es Simone und Nora wichtig, über Landwirtschaft in globalen Zusammenhängen nachzudenken.

Zugang für alle

Die Kooperative Feldmoos würde den Zugang zu Essen gerne noch gerechter denken. Eine Möglichkeit dazu wären flexible Beiträge, ein System, welches verschiedene Kooperativen bereits anwenden. Dabei bieten die Abonennt*innen in verschiedenen Runden, bis die Kosten gedeckt sind. So wird Rücksicht darauf genommen, wie viel die verschiedenen Menschen zahlen können. Bis jetzt fehlten aber einfach die Kapazität und auch das finanzielle Polster, um sich darauf einzulassen. «Schön wäre auch, wenn mehr Leute mithelfen würden und auch konkrete ‘Päckli’ an Verantwortung übernehmen würden, wie zum Beispiel den Transport der Gemüsekisten», meint Nora.

Ferdinand ist pensioniert und kommt jede Woche für das Kistenpacken aufs Feldmoos (Foto: Nina Hurni).

Trotz der vielen Schwierigkeiten würde Nora nichts anderes tun wollen. «Landwirtschaft ist sinnstiftende Arbeit. Das sehen wir auch bei den Leuten, die hier freiwillig mitarbeiten kommen.»

Nora und Simone auf dem Weg übers Feld (Foto: Nina Hurni).