Skifoere am Gurten

von Rita Jost 22. Dezember 2025

Winterserie: Abseits der Spur Achtung, Millennials: Jetzt wird’s nostalgisch! Grossmutter erzählt von schneereichen Wintern und von legendären Gurten-Talabfahrten.

Wir sind in den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren. Die Winter sind kalt und schneereich. Die Strassen (und damit unsere Schulwege) sind wochenlang gesäumt von hohen Schneewällen, die Seen frieren zu. Einmal sogar der Bieler- und der Zürisee!

Es ist die Zeit, da der Landessender Beromünster vor den Mittagsnachrichten minutenlang den Schneebericht aus den Wintersportorten der ganzen Schweiz verliest («Lenk im Simmental: Pulverschnee, Piste gut. Schwarzsee/La Berra: Neuschnee, Piste fahrbar…»). Es gibt für die Kinder der Skination Schweiz die ersten Kantenskis, es gibt neuerdings Skischuhe mit Doppelschnürung (aber noch keine Schnallen, dafür mit Gummizug und nach wie vor sind die Sohlen viel zu dünn!), und es ist die Zeit der gestrickten Norwegerhandschuhe.

Die Bilder zeigen Aufnahmen von Skitagen in den Vierzigerjahren am Gurten (Quelle: Burgerbibliothek Bern).

Das alles sieht schon recht wintertauglich aus, aber es ist in Sachen Wärmehaushalt noch eine ziemliche Katastrophe – kein Vergleich zur heutigen Funktionswäsche. Unter der Skihose (Keilform ist angesagt!) tragen wir Kinder selbstgestrickte kratzige Wollstrumpfhosen, und die Häntsche mit dem hübschen Schneesternmuster auf dem Handrücken geben zwar warm, aber nur, solange sie nicht pflotschnass sind. Liegt man nach einem Sturz am Boden, sind sie – genau wie die Hose und die Jacke – zuerst voller Schneeklumpen und bald danach schwer und nass.

Skifahren ist zwar angesagt – Vico Torriani singt «alles fährt Schi», da wollen doch alle dazugehören –, aber ein Vergnügen ist Skifahren oft nicht. Besonders nicht, wenn man Anfänger*in ist, den Stemmbogen im Tiefschnee nicht hinkriegt und deshalb oft am Boden liegt. Skifahren heisst meistens frieren. Abends mit eiskalten Füssen heimkommen und die durchnässten Skischuhe mit Zeitungspapier ausstopfen. Und trotzdem wieder plangen und bei nächster Gelegenheit, die Latten wieder anschnallen.

Seltsamerweise gibt es aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren keine Bilder im Netz – wahrscheinlich, weil es viel zu selbstverständlich war, dass man auf dem Gurten Skifahren konnte, so Rita Jost. (Quelle: Burgerbibliothek Bern)

Skifahren heisst für die meisten Boomer-Kinder vor allem auch Träppele, d.h. Schneetreten. Wer fahren will, muss fast überall zuerst «pistnen». Skilifte gibt es in der Region Bern erst einige wenige, Pistenfahrzeuge noch überhaupt nicht. Aber eben: dafür hat es Schnee in rauen Mengen!

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In diesen Jahren gibt es für die Stadtberner Jugend ein verheissungsvolles Signal: das rosarote Kartonschild in Trams und Bussen. «Skifoere Gurten» steht drauf. Kein Mensch weiss, was eine Skifoere ist, aber alle verstehen: Ab jetzt ist die Talabfahrt am Gurten offen. Am Dienstagabend werden die Skis mit Toko Silber gewachst, damit man am Mittwoch nach der Schule gleich losfahren kann. Mit Skis und Schlitten stehen Hunderte von Mädchen und Buben im Nüünitram und danach im Gurtenbähnli, ausgerüstet mit etwas Kleingeld, einem Stück Brot und vielleicht einem Ovosport, bereit für einen Nachmittag auf der Piste. Die Abfahrt vom Ostsignal zur Talstation ist kurz und führt über den holprigen Rossacker, das stotzige Bächtelenbort, zur gefürchteten, weil stets vereisten letzten Traverse vor der Talstation. Das Vergnügen ist einmalig, so nah und so günstig! Die Bergfahrt im Bähnli kostet (in meiner Erinnerung) ein Füfzgi, und wenn das Geld am Ende des Nachmittags nicht mehr für eine weitere Fahrt reicht, kann man die Skis von der Mittelstation auch nochmals hochbuckeln.

Wenn nur die kalten Hände und Füsse nicht wären. Oben im Restaurant gäbe es zwar warmen Tee, aber dann verlöre man den Anschluss an die andern, die Hartgesottenen, die nach der letzten noch eine allerletzte Fahrt anhängen.

Hat jemand aus unserem Leser*innenkreis vielleicht Aufnahmen aus dem Privatarchiv? Schickt sie gerne an (Quelle: Burgerbibliothek Bern).

Viele Jahrzehnte später will ich auf Wikipedia nachschauen, wie man «Skifoere» überhaupt schreibt, und was es genau heisst. Ich finde den Begriff nicht. Aber ich finde die Information, dass auf dem Gurten 1902 das erste Skirennen in der Schweiz stattfand. Und – Heureka! – auf einer norwegischen Website für Schneesport rund um Oslo finde ich das Wort «skiføre». Es heisst so viel wie Skibedingungen, wie mir der Direktor des Schweizerischen Idiotikons tags darauf bestätigt.

Na also, auch ohne Norwegischkenntnisse, verstanden haben wir’s immer, wir Berner Kinder aus den 50er und 60er-Jahren.