Serie Grossratswahlen – Das neue Polizeigesetz

von Redaktion Journal B 16. März 2018

Am 25. März finden im Kanton Bern Grossratswahlen statt. Journal B hat neun Kandidierende aus verschiedenen Lagern zu wichtigen Themen für Stadt und Kanton befragt. Heute: das neue Polizeigesetz.

Das neue Polizeigesetz des Kantons Bern ist umstritten. Noch vor seiner Verabschiedung durch den Grossen Rat, die voraussichtlich in der Märzsession stattfinden wird, wurde es in den lokalen und auch den nationalen Medien breit diskutiert. Das komplett revidierte Gesetz beinhaltet unter anderem die Regelung, dass bei gewalttätigen, nicht bewilligten Kundgebungen die Organisatoren und Organisatorinnen, sowie unter Umständen auch die Teilnehmenden für den Polizeieinsatz zur Kasse gebeten werden können. Der Artikel wurde regelmässig als «Reitschulartikel» bezeichnet. KritikerInnen befürchten, dass so die Meinungs-und Versammlungsfreiheit beschnitten wird. Weiter wird eine Grundlage für die verdeckte Fahndung geschaffen. Für die Anordnung der verdeckten Fahndung bedarf es im Gegensatz zur verdeckten Ermittlung, die bereits in der nationalen Strafprozessordnung geregelt ist, keinen konkreten Tatverdacht. Auch umstritten ist das Verursacherprinzip: Wer einen Polizeieinsatz grobfahrlässig verursachet, z.B. ein verirrter Wanderer, der aufwändig gesucht werden muss, kann für den Einsatz haftbar gemacht werden. Wir wollten von den Kandidierenden wissen, was sie vom neuen Polizeigesetz halten.

Simone Machado Rebmann (GaP): Wenn die Kluft zwischen Arm und Reich vergrössert wird, baut der Staat die Sozialwerke aus oder er verstärkt die Repression. Der Kanton Bern vergrössert aktuell diese Kluft, baut die Sozialwerke ab und verschärft die Repression mit dem neuen Polizeigesetz. Besonders einschneidend sind die Überwälzungen von Sicherheitskosten bei Veranstaltungen, gerade bei Sozialabbau ist die Meinung- und Versammlungsfreiheit wichtig. Auch die Abkehr vom Verständnis der Polizei als Service Public lehne ich ab und habe als Einzige im Grossen Rat dagegen gestimmt, dass man nach einem Polizeigesetz eine Rechnung verpasst kriegt.

Meret Schindler (SP): Das neue Polizeigesetz hat grosse Schwachstellen. Die Kostenüberwälzung von Polizeikosten an Demos ist in einer Bundesstadt nicht zielführend. Es ist wichtig, dass Demonstrationen möglich sind und eine Kostenüberwälzung ist eine grosse Hemmschwelle. Dass der Maximalbetrag auch noch auf 30000.- Fr. festgesetzt wurde ist ein zusätzliches Hemmnis. Ebenso problematisch sehe ich die Vorermittlung: ohne Verdacht können Menschen ohne Beschluss des Zwangsmassnahmengerichts einen ganzen Monat lang überall beobachtet werden. Der Staat kann auf Vorrat observieren. Die Polizei kann so einen Polizeibedarf generieren, der unsere Freiheit stark einschränkt. Mit mehr Sicherheit verlieren wir unsere Freiheit und auch unsere Selbständigkeit. Das grundsätzliche Vertrauen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung korrekt verhält, wird dadurch geschmälert.

Melanie Mettler (GLP): Machen Sie mit mir ein Gedankenexperiment: wenn sie im öffentlichen Raum sind, z.B. dem Bahnhof Bern, und da stehen Sicherheitsleute mit Waffen in der Hand. Fühlen Sie sich sicher oder bedroht? Mich persönlich macht die Anwesenheit von Waffen immer nervös, egal wer sie in den Händen hat. Das geht nicht allen so: viele Leute empfinden es als angenehm, wenn sie bewacht werden. Das kann auch durch Videoüberwachung sein, oder im Internet. Ich lebe in der Stadt Bern. Fast jede Woche begegnet man einer Gruppe, die ihre Meinung zu einem Thema kundtut. Mich erfüllt das mit Stolz und Rührung, auch wenn ich nicht mit dem Inhalt der Kundgebung einverstanden bin. Wir müssen dazu Sorge tragen, dass wir diese freie Meinungsäusserung nicht als selbstverständlich ansehen. Sachbeschädigungen oder gar Gewalt gehören hier nicht hin und sind total daneben. Dafür haben wir aber ein Strafgesetzbuch: wer sich hier strafbar macht soll entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden.

Daniel Lehmann (SVP): Bei unbewilligten Demonstrationen besteht neu eine Kostenbeteiligungspflicht an den Polizeikosten. Ich befürworte diese Neuerung, soweit diese die demokratischen Grundrechte nicht einschränkt. Da friedliche Demos bewilligungsfähig sind, ist diese Neuerung vernünftig. Gewalt lehnen wir in unserer zivilisierten Welt ab. Diese Ablehnung gilt auch bei Demos. Die zweite Neuerung betrifft Abstellplätze von durchreisenden Fahrenden, die diese ohne Einwilligung der Bauern besetzen. Ich habe als Grundeigentümer selber schon mit Fahrenden verhandelt. Die Eigentumsgarantie ist hier hoch zu bewerten. Die Möglichkeit zur Räumung ist verbessert worden. Als Landwirt bin ich froh darüber. Aber die Lösung der Problematik muss über neu zu findende Standplätze gesucht werden.

Zora Schneider (PdA): Die PdA hat mit Anderen das Referendum ergriffen. Das Gesetz gibt der Polizei mehr Macht, und weniger Rechte für alle anderen. Die Einsatzkosten können neu auf Privatpersonen übertragen werden. Das ist katastrophal für die Demonstrationsfreiheit. Politische Mitsprache darf nicht von finanziellen Möglichkeiten abhängig sein und die Folgen von Taten Einzelner dürfen nicht auf Andere abgewälzt werden. Das Polizeiaufgebot ist oft zu gross. Mit Verhandlungen könnte man Kosten reduzieren. Die Gemeinde muss wieder die Verantwortung für die Polizei übernehmen. Die Polizei kann bei potentiellen Straftaten bald schon einen Monat lang ohne einen richterlichen Beschluss verdeckt ermitteln. Bedenklich ist auch der Wegweisungsartikel für Fahrende, der auch Obdachlose trifft. Wir streben eine akzeptierende Gesetzgebung für alternative Lebensformen und soziale Probleme an. Sozial Benachteiligte an den Rand zu drängen verschärft die Probleme immer! Meinungsfreiheit darf etwas kosten. Sie hat einen grossen Wert.