Selbstverwaltet durch die Krise

von Janine Schneider & David Fürst 25. April 2023

Teuerung Dem Q-Laden und der Brasserie Lorraine macht die Krise zu schaffen. Auffällig dabei: Unabhängig voneinander kämpfen damit zwei basisdemokratisch organisierte Betriebe mit einer langen Geschichte ums Überleben.

Es ist ein trügerisch sonniger Märztag, an dem wir uns mit Arlette und Lö vom Q-Laden treffen. Trügerisch, weil sich der Winter in den nächsten Wochen nicht so schnell geschlagen geben sollte. Trügerisch auch, weil Orte der Begegnung, wie der Q-Laden einer ist, zu einem Auslaufmodell gehören könnten. Die Teuerung, das Sparen, in kurz «die Krise» hat eingeschlagen, hier mitten im Lorrainequartier, im ältesten selbstverwalteten Laden Berns.

«Ende des letzten Jahres wurde es kritisch», erzählt Lö, die seit letztem Herbst im Q-Laden arbeitet, und Arlette, die schon seit den 1990er-Jahren dabei ist, ergänzt: «Ohne unser System des Bedarfslohns hätten wir die Löhne wohl nicht mehr zahlen können.» Bedarfslohn, das bedeutet, dass die Mitarbeitenden des Kollektivs ihre Stunden je nach Bedarf aufschreiben. «Viele verzichten zum Beispiel darauf, die Stunden ausserhalb der Öffnungszeiten aufzuschreiben», erklärt Lö, «Und die, die darauf angewiesen sind, können sich so ihre Arbeitsstunden umso grosszügiger anrechnen lassen.»

Die Idee des Bedarfslohns ist nur ein Teil der aussergewöhnlichen Kollektivstruktur des Q-Ladens. So sind die verschiedenen Verantwortungsbereiche wie zum Beispiel Personaleinstellungen oder auch Produkterecherche nicht auf Stellen, sondern auf Arbeitsgruppen verteilt. Diese treffen sich in regelmässigen Abständen, um Vorentscheidungen zu treffen, die dann an der Gesamtsitzung einmal im Monat vorgestellt und gemeinsam diskutiert werden.

Der Q-Laden von aussen. Seit Neuestem gibt es neben den bedienten Öffnungszeiten auch eine Mitmach-Zeit. (Foto: David Fürst)

Wie sich der Q-Laden veränderte

Angefangen hat alles 1987 mit dem Wunsch der Bewohner*innen der Genossenschaft Quartier-Hof, einen eigenen kleinen Laden zu haben. Zuerst wurde nur Brot gebacken und verkauft, später kamen Äpfel, Kartoffeln und Milchprodukte hinzu. Mittlerweile findet sich im Q-Laden alles, was in einen durchschnittlichen Wocheneinkauf gehört. Aber ausgewählt nach strengen ökologischen und sozialen Kriterien. «Anfangs haben wir viele Kund*innenwünsche einfach erfüllt, ohne die Produkte gross zu hinterfragen», erinnert sich Arlette, «Das hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings stark gewandelt. Uns wurde es immer wichtiger, die Produkte sorgfältig auszuwählen und unsere Auswahl kritisch zu hinterfragen.» Gerade nachdem der Biomarkt in den 2000ern massiv gewachsen war, wurde ihnen bewusst, dass «Bio» allein nicht das Kriterium sein kann. «Wir könnten jetzt zum Beispiel noch Birnen, biologische, aus Südafrika bestellen. Aber wollen wir das wirklich?»

Arlette ist schon seit 1990 beim Q-Laden dabei und konnte die Entwicklung des Ladens in den letzten Jahren mitverfolgen. (Foto: David Fürst)

Über die Produkte, die sie nun im Q-Laden verkaufen, wissen sie genauestens Bescheid und pflegen einen engen Kontakt zu den Produzent*innen. Das hat auch seinen Preis. Wie bei allen kleinen Bioläden, sind die Preise höher als die von vergleichbaren Produkten bei Aldi, Coop und Migros. Und jetzt, mit der Teuerung, merkt auch der Q-Laden, dass die Kund*innen anfangen zu sparen – und zwar als erstes bei den Lebensmitteln. «Es kaufen nicht weniger Leute bei uns ein», so Arlette, «Aber sie kaufen durchschnittlich weniger ein als früher.»

Keine Lust zu konkurrieren

«Ich verstehe, dass es einfach ist, beim Essen zu sparen», meint Lö, die selbst in der Landwirtschaft arbeitet, «Aber wenn man sich vor Augen führt, wieviel Arbeit dahinter steckt, ist es dir den Preis wert. Wenn du billige Produkte kaufst, unterstützt du damit faktisch ein System der Ausbeutung.» Auch Arlette betont, dass es an Sensibilisierung fehle, an Bildung in der Schule, am Bewusstsein, wie das Essen auf unseren Teller kommt und welche ausbeuterischen Strukturen oftmals dahinterstehen würden. Dieses Bewusstsein ist es, was den Q-Laden ausmacht. Er möchte es anders machen. Am liebsten ohne kapitalistische Strukturen. Das geht leider nicht ganz, wie die Krise auch hier wieder einmal zeigt. Sie sind Teil dieses Systems, und Teil der Krisen dieses Systems. Und trotzdem: «Wir haben überhaupt keine Lust, innerhalb dieses Systems zu konkurrieren, ständig Werbung machen zu müssen und ums Überleben zu kämpfen – entweder die Leute wollen uns oder nicht.»

Der Q-Laden soll auch Begegnungsort und Treffpunkt sein. Im kleinen Vorgärtchen kann man deshalb auch einen Kaffee trinken. (Foto: David Fürst)
(Foto: David Fürst)

Ganz einfach so wollen sie aber nicht aufgeben. So hat der Q-Laden im März seine Probleme auf den sozialen Medien transparent gemacht Die Öffnungszeiten angepasst. Und den Pilotversuch gestartet, mithilfe eines Schlüsselcodes den Laden 24/7 für die Leute aus dem Quartier zugänglich zu machen. «Schön war, dass sich nach unserem Aufruf eine Gruppe von Leuten gemeldet und ihre Unterstützung angeboten hat», freut sich Arlette, «Das würde ich mir wünschen: Dass Laden und Kund*innen wieder näher rücken. Dass man als Kundin eben nicht nur Konsumentin ist, sondern auch selbst mithilft und merkt, dass man Teil eines Ganzen ist.»

Ein weiterer Fall

Nicht weit vom Q-Laden, einige hundert Meter um die Ecke setzen sich Valentina und Jordi an einen Ecktisch in der Brasserie Lorraine. Auch die Brasserie ist einer der ältesten selbstverwalteten Orte in der Stadt Bern. Und auch hier ist die Krise angekommen. Seit der Pandemie hat sich die finanzielle Situation des Lokals stetig verschlechtert. «Menschen, die bereits vor der Krise wenig Geld hatten, haben nun noch weniger», erklärt Valentina. Die Brasserie spürt das besonders, denn ihre Kundschaft ist durchmischter als es diejenige in gehobeneren Lokalen ist. «Bisher haben wir den Abend- und Mittagsbetrieb genutzt, um den Morgen- und Nachmittagsbetrieb quersubventionieren zu können.» Jetzt gehe das nicht mehr.

Die Brasserie hatte schon mit vielem zu kämpfen. 1981 durch eine Genossenschaft gegründet, hat sie sich seither als linksalternative Beiz mit den Herausforderungen der Selbstverwaltung, Zuschreibungen von aussen und den Shitstorms des letzten Sommers befassen müssen. Eine ähnliche Krise wie die jetzige hat sie aber noch nie erlebt. Und sie zwingt sie zu Massnahmen, die ihrem Grundgedanken widersprechen.

Nicht weit vom Q-Laden entfernt kämpft die Brasserie Lorraine mit denselben Problemen. (Foto: David Fürst)
(Foto: David Fürst)

Systemzwänge

«Wir möchten eine Quartierbeiz sein, die ganztägig offen ist und auch Menschen willkommen heisst, die wenig Geld haben und möglicherweise nicht überall willkommen sind.» Sie möchten sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht am Profit orientieren. So gilt in der Brasserie keine Konsumpflicht. Entscheidungen werden basisdemokratisch gefällt, etwa 25 Leute arbeiten zurzeit in der Brasserie und sind Teil des Kollektivs. «Wir sind eine Familie und kümmern uns umeinander», erklärt Jordi, «Es ist schön hier ohne den Konkurrenzdruck arbeiten zu können, wie er in anderen Betrieben vorherrscht.»

In der Brasserie Lorraine kann man auch essen. (Foto: David Fürst)
Die Brasserie Lorraine möchte eine Quartierbeiz und ein Treffpunkt bleiben. (Foto: David Fürst)
(Foto: David Fürst)

Trotzdem ist die Brasserie, wie auch der Q-Laden, trotz Abneigung Teil eines kapitalistischen Systems und müssen sich Sachzwängen wie Miete, Kosten für Sozialversicherungen und Lebensmittel stellen. Sie brauchen das erwirtschaftete Geld, um zu überleben. Deshalb haben sie nun die Öffnungszeiten eingeschränkt, um so Arbeitsschichten einsparen zu können, und arbeiten in der Genossenschaft an einem zukünftigen Finanzplan.

Sowohl für den Q-Laden als auch für die Brasserie Lorraine ist es die erste Krise dieser Art, die sie trifft. Eine Krise, die auch viele andere kleine Läden und Restaurants trifft und ihnen das Überleben schwer macht. Für die beiden selbstverwalteten Betriebe ist es allerdings nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Geld, sondern ebenso eine mit den Fragen: Wie weit möchten wir innerhalb dieses Systems gehen? Wie viele unserer Prinzipien wollen wir entbehren, um überleben zu können? Existenzielle Fragen mit noch ungewissem Ausgang. Schlussendlich hängt es von den Berner*innen selbst ab, welche Geschäfte und Lokale es durch die Krise schaffen werden.

(Foto: David Fürst)