Politik - Kolumne

Selbstverständlich Feminismus

von Kerstin 19. November 2024

Vista Activa Unsere Kolumnistin erlebte in ihren politischen Anfängen vor 17 Jahren einen ganz anderen Umgang mit FINTA*-Personen als heute. Der regelmässige Rückblick lässt sie mit etwas mehr Hoffnung in die Zukunft schauen.

Feminismus. Das Wort ist in aller Munde. Bei manchen als Bezeichnung der eigenen Werte, bei manchen als etwas, das die Welt schon lange erreicht hat, bei manchen als Schimpfwort und als Ursprung allen Übels, was auf der Welt gerade passiert.

Meiner Meinung nach würde mehr Feminismus in unserer Gesellschaft allen zugutekommen, aber an diesem Punkt sind wir leider noch nicht. Manchmal frage ich mich, an welchem Punkt sind wir denn überhaupt? Was haben wir schon erreicht?

Manchmal fühlt sich mein feministischer Kampf an wie ein Kampf gegen Windmühlen. Jeden Tag muss ich wieder aufstehen und Kraft finden, um gegen den patriarchalen Bullshit anzukämpfen, dem ich täglich begegne. Und wenn ich das Gefühl habe, das bringt doch alles nichts, denke ich zurück an meine politischen Anfänge vor 17 Jahren, weit weg von Bern in der Ostschweiz.

Wo FINTA*-Personen zwar anwesend waren, aber oft blieb es bei Anwesenheit. Was wir zu sagen hatten, wurde von unreflektierten, lauten Männerstimmen übertönt. Weil die hatten ja alle Marx gelesen und konnten zu jeder Diskussion noch ein Zitat daraus droppen. Heute weiss ich, dass das nur leere Worte waren von Leuten, die einfach etwas auswendig gelernt, aber nicht viel verstanden hatten. Aber damals war ich genug eingeschüchtert, um meinen Mund zu halten, um nicht als dumm zu gelten und ausgeschlossen zu werden.

Wir waren schockiert von dieser absolut unsolidarischen Aussage.

Aber da war auch Susi. Susi heisst eigentlich anders, aber der Name spielt hier keine Rolle. Susi wurde von zwei sehr starken, linkspolitischen Elternteilen erzogen, die ihr beigebracht hatten, ihre Meinung zu äussern und alles zu hinterfragen. Und Susi hat das gemacht. Susi liess sich nicht von den lauten Typen einschüchtern. Susi ist und war damals schon eine starke und laute Feministin. Sie erstaunte mich vor allem mit ihrem Mut, den Mund aufzumachen, wo sich einige nicht getraut hätten (also ich auf jeden Fall nicht). Wenn sie an einer Sitzung etwas nicht verstand, fragte sie einfach nach. Wenn sie mit einer Aussage nicht einverstanden war, sagte sie das und argumentierte auch, warum.

Als wir mal in unserer kleinstädtischen Politgruppe vorschlugen, dass wir für die Demo am 8. März (internationaler feministischer Kampftag) etwas machen wollten, meinte der Obermacker der Gruppe: «Das könnt ihr Frauen ja selber, ist ja nicht unser Thema». WTF? Das war unsere letzte Sitzung mit dieser Gruppe. Wir waren schockiert von dieser absolut unsolidarischen Aussage.

Zum Glück hatten Susi und ich unseren Plan, zusammen nach Bern zu ziehen, damals bereits geschmiedet. Hier in Bern schlugen wir zwar mit der Zeit unterschiedliche Richtungen ein, aber ich bin immer noch mit Susi befreundet. Und unsere Gespräche drehen sich immer noch oft um feministische Themen. Und unser politisches Engagement auch.

So viele Menschen, die sich solidarisieren. Ich war immer wieder überwältigt an diesem Tag!

In Bern bin ich immer wieder auf tolle Feminist*innen getroffen, habe feministische Veranstaltungen besucht und durfte das feministische Hausprojekt «Ronja» in der Länggasse im Jahr 2016 miterleben. Das war für mich einer der beeindruckendsten Begegnungsorte überhaupt. Ich traf auf alle möglichen Menschen, junge Leute, ältere Leute, trans Menschen, Queers und wir hockten im Kreis und konnten miteinander Themen diskutieren, ohne Angst zu haben, etwas Falsches oder «Dummes» zu sagen. Es gab keine Mackertypen, die auf einer abgehobenen Ebene diskutierten.

Themen, wie viel Raum ein Mensch an Diskussionen einnehmen soll, wurden besprochen. Was für eine Erkenntnis, dass sowas hinterfragt werden kann! Awareness für das eigene Auftreten wurde geschaffen. Der Umgang miteinander in der Gesellschaft wurde diskutiert. Ich bin sehr froh, gab es diesen Ort und durfte ich ein Teil davon sein. Mit der Zeit traute ich mich sogar, selbst Veranstaltungen zu organisieren und ihnen einen feministischen Touch zu geben.

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Und dann kam der 14. Juni 2019. Ich hatte Tränen der Freude in den Augen, als ich von der Lorraine über die Brücke Richtung Schützenmatte lief. So viele Menschen, die den feministischen Kampf mittragen. So viele Menschen, die sich solidarisieren. Ich war immer wieder überwältigt an diesem Tag!

Und heute? Heute sitze ich mit 5 Menschen im Klimaraum. Ich wurde angefragt, ob ich eine Politkolumne fürs Journal-B mitschreiben möchte. Ich muss mich im Raum nicht von irgendwelchen Typen einschüchtern lassen. Von Anfang an wird ein respektvoller Umgang gewahrt, als erstes stellen sich alle vor wie sie heissen und mit welchen Pronomen sie aktuell angesprochen werden möchten. Ich kann mich zu Wort melden, ohne dass jemand die Augen verdreht oder mir das Wort abschneidet. Ich weiss, wann ich genug geredet habe und wann es Zeit ist, anderen Personen das Wort zu überlassen. Ich kann nachfragen, ohne für dumm gehalten zu werden. Ich fühle mich wohl und hoffe, dass es solche Räume bald in der ganzen Gesellschaft für FINTA*Personen geben kann. Und ich merke, dass sich die ganzen kleinen Kämpfe gegen Windmühlen mit der Zeit doch lohnen.