Als ich im Juni 1989 in die Schweiz kam, war für mich hier vieles anders als in meiner Heimat, dem Kosovo. Es herrschte Ordnung und Sicherheit, ich konnte mich frei bewegen, überall war es sauber. «Damit das so ist, braucht es jede Menge Disziplin und Fleiss», dachte ich für mich. Ich war traumatisiert von meiner Flucht und wollte so schnell als möglich ein Teil dieser Gesellschaft werden.
Zuhause war mir beigebracht worden, dass jede und jeder ihren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten soll. Deshalb freute ich mich als es hiess: «Sie haben eine Arbeitsbewilligung und ab jetzt dürfen Sie arbeiten.» Ich würde meinen Lebensunterhalt selbst verdienen und vielleicht bleibt noch etwas übrig, um meine Familie zuhause eine kleine Freude zu bereiten – dachte ich.
Schon nach einigen Tagen stellte ich fest, dass der Vertrag nur ein Stück Papier war.
Meine erste Arbeitsstelle erhielt ich durch die Caritas in einem Restaurant. Ich erhielt einen Arbeitsvertrag mit all meinen Rechte und Pflichten. Dort drin stand zum Beispiel, dass ich zirka neun Stunden pro Tag und fünf Tage in der Woche arbeiten sollte. Am Nachmittag hätte ich Zimmerstunde. Der Lohn war niedrig, aber das war mir nicht wichtig. Hauptsache ich hatte Arbeit.
Doch meine Freude währte nicht lange. Schon nach einigen Tagen stellte ich fest, dass der Vertrag nur ein Stück Papier war. Die Realität sah ganz anders aus. Mein Arbeitstag begann um 08:00 Uhr, und nicht selten dauerte er fünfzehn Stunden. Er umfasste verschiedenste Aufgaben in Küche, Buffet und Service. Von Zimmerstunden und zwei freien Tagen in der Woche sprach niemand mehr. Das Restaurant war am Mittwoch geschlossen, nur an diesem Tag bekam ich frei. Ich musste schwere Sachen vom Keller holen, und immer forderte der Chef, dass alles ganz schnell lief. Es war viel Arbeit da, aber wenig Personal. Wenn etwas nicht funktionierte, auch wenn es nicht mich betraf, wurde ich von meinem Chef laut beschimpft. Ich wurde ausgenützt wie ein Verdingkind.
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Ich konnte praktisch kein Deutsch und wohnte im Personalzimmer, das sich im gleichen Haus wie das Restaurant befand. So war ich meinen Vorgesetzten ausgeliefert, deshalb schwieg ich. Doch irgendwann fühlte ich mich ausgelaugt, mein Körper machte nicht mehr mit. Ich wollte mit meinem Chef darüber sprechen. Seine kurze Antwort: «Solange das Restaurant offen ist, gibt es immer was zu tun. Wenn es dir nicht passt, geh zurück, wo du herkommst.»
Dreiunddreissig Jahre sind seit jenen Tagen vergangen. Das Trauma meiner ersten Arbeitsstelle habe ich längst verarbeitet. Mich beschäftigt aber immer noch, wie es wohl heute den Migrant*innen am Arbeitsplatz geht. Anscheinend häufig nicht viel anders. Vor kurzem berichtete mir ein Patient von seiner Arbeitssituation. Er arbeitet auf einem Bauernhof. Seine Arbeitstage sind sehr lang. Er ist bei jedem Wetter draussen. Er denkt, seine Gelenkschmerzen sind die Folge der Kälte und Nässe, aber das interessiert niemanden, er fühlt sich wie ein Sklave und schuftet zu einem Minimallohn.
Selbst in meinem Bekanntenkreis kenne ich Dutzende Lehrer, Juristen, oder Ärzte, die auf dem Bau oder im Gastgewerbe Schwerstarbeit verrichten.
Ich wollte ihn ermutigen zu kündigen und eine andere Stelle zu suchen. Seine Antwort war: «Was soll ich machen? Jeder arbeitet dort so hart, und alle sind wie ich Personen mit Migrationshintergrund. Meine Deutschkenntnisse sind nicht ausreichend. Mit meinem Wirtschaftsstudium kann ich hier nichts anfangen.»
Weil sie die Sprache nicht können oder ihr Abschluss nicht anerkannt ist, arbeiten viele hochqualifizierte Migrant*innen als Hilfsarbeiter zu niedrigen Löhnen. Selbst in meinem Bekanntenkreis kenne ich Dutzende Lehrer, Juristen, oder Ärzte, die auf dem Bau oder im Gastgewerbe Schwerstarbeit verrichten. Und in ihrer Heimat herrscht Krieg oder wirtschaftliche Not und es gibt für sie keine Arbeit.