Schicksalsfrage zu Berns Kirchenzukunft

von Rita Jost 21. Juni 2023

Landeskirche Die Fusion der reformierten Stadtberner Kirchgemeinden harzt. Seit über 15 Jahren wird projektiert, informiert, konsultiert. Und wieder rekapituliert. Warum?

Am 28. Juni steht im städtischen Kirchenparlament ein «Richtungsentscheid» an. Der Grosse Kirchenrat muss entscheiden, ob er das Organisationsreglement der bestehenden Gesamtkirchgemeinde totalrevidieren oder – als Alternative – die Fusion der zwölf Kirchgemeinden will. Das tönt nach einem Grundsatzentscheid. Doch: wurde dieser nicht längst gefällt? 2017 sagten alle zwölf Kirchgemeinden grundsätzlich ja zur Aufnahme von Fusionsverhandlungen. Daraufhin begann ein Projektteam (das so genannte «Steuerungsgremium») unter dem Präsidium von Hans von Rütte, mit der Ausarbeitung eines Fusionsvertrags, eines Organisationsreglements sowie eines Abstimmungs- und Wahlreglements. Diese liegen seit Monaten abstimmungsreif auf dem Tisch. Jetzt wird also nochmals die Grundsatzfrage gestellt. Warum das? Fragen an Hans von Rütte.

Journal B: Warum muss das städtische Kirchenparlament nach einem positiven Grundsatzentscheid in den Kirchgemeinden und jahrelangen Vorarbeiten des Projektteams sowie einem vorliegenden abstimmungsreifen Fusionspaket jetzt nochmals zurück auf Feld 1?

HvR: Das Fusionsprojekt ist juristisch anspruchsvoll. Es soll dreizehn heute autonome Körperschaften zu einer einzigen vereinen. Jede Gemeinde war und ist immer noch frei, zu entscheiden, ob sie die Fusion will oder nicht. Der Kleine Kirchenrat (Exekutive) hat vor einem Jahr, als das Steuerungsgremium das Fusionsprojekt auf den Tisch legte, die Bremse gezogen und vorgeschlagen, ein Alternativprojekt vorzuziehen, nämlich die Totalrevision der Organisation der Gesamtkirchgemeinde.

Journal B hat sich mit Hans von Rütte getroffen (Bild: ZVG).

Aber sollte diese Totalrevision durchkommen, dann würde die heutige Organisationsform zementiert und die Fusion wäre definitiv vom Tisch?

Ja, zumindest für eine Generation.

Warum denn diese Kehrtwende, hatte der Kleine Kirchenrat plötzlich doch wieder Angst vor einer Fusion?

Ja, ich denke schon. Im definitiven Fusionsvorschlag des Steuerungsgremiums steht ja: für einen positiven Entscheid zu einer Fusion braucht es die Zustimmung von mindestens neun der dreizehn Kirchgemeinden. Angenommen das Quorum kommt zwar zustande, aber zwei oder drei Gemeinden machen nicht mit, dann käme eine Fusion zwar zustande, aber ablehnende Kirchgemeinden würden damit automatisch den Alleingang wählen. Das gäbe, so die Befürchtung des Kleinen Kirchenrats, mit Sicherheit grosse Finanzprobleme. Er will dieses Risiko erklärtermassen nicht eingehen.

Das Fusionsprojekt ist juristisch anspruchsvoll.

Von welchen Problemen sprechen wir?

Wenn nicht alle mitmachen, dann gäbe es zwar eine neue kirchliche Körperschaft auf Stadtboden, die sogenannte Kirchgemeinde Bern. Im Territorium dieser neuen Gemeinde hätte es aber Teile, die eigene Wege gehen wollen. Diese müssten finanziell abgegolten werden. Und sie hätten künftig ihre eigene Finanzhoheit.
Doch die heutige Gesamtkirchgemeinde finanziert aktuell gemeinsame diverse Projekte, wie das Münster, die offene Kirche Heiliggeist, zahlreiche Diakonie- und Oekumene-Projekte. Diese Projekte sind auf die Gelder aller Kirchgemeinden angewiesen. Eine autonome Kirchgemeinde könnte nicht zur anteilmässigen Weiterführung dieser Beiträgen an diesen Gesamtkosten verpflichtet werden.

Trotzdem: Warum harzt der Prozess derart?

Das Haupthindernis ist die Finanzfrage. In demokratischen Prozessen zu entscheiden, wie eine gewachsene Organisation wie die Gesamtkirchgemeinde abgeschafft wird, bzw. wer, wie viel Geld wofür bekommt, ist unheimlich schwierig. Und das Ganze ist ja nicht nur eine juristische Frage, sondern sehr stark eine emotionale Frage. Kirchgemeindeglieder und Pfarrpersonen befürchten einen Verlust der Autonomie.

Ist das Argument berechtigt?

Ich finde dieses Argument weitgehend eine Illusion. Heute sind die einzelnen Gemeinden ja eben gerade nicht autonom. Sie haben kaum eigene Mittel. Alle Steuereinnahmen gehen zur Gesamtkirchgemeinde und werden von dort – nach einem pro-Kopf-Schlüssel – auf die einzelnen Kirchgemeinden verteilt. Die Immobilien, Kirchen, Gemeindehäuser usw, gehören der Gesamtkirchgemeinde, die sie den einzelnen Quartierkirchgemeinden bloss zur Verfügung stellt. Für alle kirchlichen Projekte (Kinderlager, Altersnachmittage, Mittagstische usw.) müssen die Kirchgemeinden Mittel bei der Gesamtkirchgemeinde anfordern. Genau diese Trennung – die Aufgabe, ein Kirchenleben zu gestalten, aber dafür kein eigenes Geld zu besitzen – macht ja heute die Sache so kompliziert. Das ist blockadenträchtig und sollte deshalb vermieden werden.

Menschen sind heutzutage generell schwierig zu mobilisieren.

Wie gross ist denn gegenwärtig noch die Gegnerschaft einer Fusion?

Explizit haben sich – aus unterschiedlichen Gründen – bisher vor allem zwei Kirchgemeinden fusionsablehnend ausgesprochen: Petrus und Paulus, also die Gemeinden in den Quartieren Elfenau/Brunnadern und Brückfeld/Länggasse.

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Identitätsfragen und juristische Probleme sorgen offenbar an der Basis vielerorts für Skepsis. Sie allerdings sprechen von einer Chance. Haben Sie noch Hoffnungen, dass Sie eine Mehrheit für den Schritt in die Fusion mobilisieren können?

Menschen sind heutzutage generell schwierig zu mobilisieren. Und Kirchen haben zusätzlich ein Problem. Viele Kirchensteuerzahlende finden Kirche zwar in Ordnung, aber sie suchen die Gemeinschaft nicht gross. Sie gehen zum Beispiel nicht an Kirchgemeindeversammlungen. Dort entscheiden die aktiven Mitglieder, die ihrerseits an der kleinräumigen Organisation hängen. Ob zuletzt die Ablehnung überwiegt, kann heute niemand wissen. Was mich betrifft, bleibe ich optimistisch und setze auf ein Ja zur Fusion.

Falls es dazu kommt, können die stimmberechtigten Reformierten also nochmals entscheiden?

Ja, und zwar sogar doppelt: Einerseits als Mitglied der jeweiligen Kirchgemeinde und anderseits als stimmberechtigtes Mitglied der Gesamtkirchgemeinde.  Auch dieses komplizierte Abstimmungsprozedere ist eine Folge unserer komplizierten Rechtsform. Dieser Abstimmungsmodus und die Behördenwahlen würden in einer fusionierten Kirchgemeinde Bern ebenfalls einfacher, demokratischer und transparenter.