Der Abschnitt der Bolligenstrasse vom Kreisel oberhalb des Guisanplatzes bis unten zum Rande Ostermundigens ist nicht gerade eine lauschige Wegstrecke zum Velofahren. Auf der engen Strasse fühlen sich die vorbeifahrenden Autos bedrängend an, ihre Fahrtgeschwindigkeit macht das Gefühl nicht besser. Nur ein schmaler Grünstreifen, ein Zaun und ein paar Höhenmeter auf der linken Seite trennt die Bolligenstrasse von der parallellaufenden Autobahn und das konstante Rauschen der rasenden Autos verunmöglicht den letzten Hauch einer Natur-Idylle, die durch den Anblick der grünen Allmend auf der rechten Seite allenfalls hätte entstehen können.
Unten, wo die Autobahn nach links abbiegt, verbreitet sich der Grünstreifen zwischen Strasse und Autobahn und bietet Platz für einige Häuschen, die alle nach dem gleichen Prinzip gebaut sind: Auf einem Betonfundament steht eine Art Holzbaracke, die Fensterläden sind rot. Ich stelle das Velo ab, um mir die Behausungen genauer ansehen zu können. Das erste Häuschen gleicht einem grösseren Schuppen, über der Tür hängt ein Schild mit der Aufschrift «Atelier für Zufallsforschung». Die Einfahrt ist vollgestellt mit Materialien aus Eisen.
Dahinter steht das Nydeggheim, ein Pfadiheim der Abteilung «Aaredrache», das ich aus eigener Pfadizeit und von Jugendpartys noch kenne. An diesem Sonntagnachmittag steht es verlassen und mit geschlossenen Fensterläden da. Ein Aushang macht darauf aufmerksam, dass das Heim auch für private Anlässe gemietet werden kann.
Das nächste Grundstück ist durch einen Gitterzaun abgetrennt. Beim Vorbegehen entdecke ich hinter dem Zaun ein künstlerisches Eisenkonstrukt, das ich an diesem Ort nicht vermutet hätte: Ein beweglicher, mechanischer Brunnen, dessen Gefässe in regelmässigem Abstand durch die Wasserlast nach unten kippen. Verwundert ob der kunstvollen Entdeckung in diesem Perimeter trete ich in die nächste Einfahrt und stehe auf einem grossen Kiesplatz, der von verschiedensten Häuschen umrandet ist. Den Schildern entnehme ich die unterschiedlichen Nutzungen der Häuser: Das grosse Haus links gehört dem «Schweizerischen Schäferhund-Club Ortsgruppe Bern», die Häuser auf dem hinteren Teil des Platzes verweisen auf die «Hornusser Gesellschaft Bern-Beundenfeld.»
«Kann ich Ihnen helfen? », ertönt die Stimme eines Mannes, der sich später als Ivan vorstellt und mir bereitwillig über diesen Ort und seine verschiedenen Nutzer*innen erzählt.
Vor ungefähr acht Jahren konnte sich Ivan in das kleine Häuschen des Schäferhundclubs einmieten und seine Werkstatt zum Bau von Modellflugzeugen einrichten. Seither ist Ivan fast täglich hier anzutreffen. «Die anderen fragen manchmal, warum ich mir nicht einfach noch ein Bett reinstelle», lacht Ivan. Aber nach Hause gehen, sei schon auch schön. Modellflugzeuge bauen ist seit Jahrzehnten Ivans Hobby. Und die Lage hier sei für ihn perfekt, weil er seine Flugis direkt auf der gegenüberliegenden Allmend ausfliegen könne.
Ivan mag die Atmosphäre auf dem Platz: «Ich bin sehr wohl hier und glücklich. Ich komme mit allen Leuten hier gut aus.» Schade findet er nur, dass die einzelnen Gruppen so unter sich bleiben würden. «Wir brauchen alle denselben Platz, denselben Rasen, da wäre es doch schön, wenn wir alle mal zusammen bräteln würden.» Das sei bisher aber noch nicht zustande gekommen. Vielleicht läge es auch daran, dass «die Hündeler» und «die Hornusser» miteinander die Trainingszeiten aushandeln müssten: Montag und Freitag trifft sich der Schäferhund-Club hier, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag trainieren die verschiedenen Teams der Hornusser Gesellschaft. An diesem Sonntagnachmittag ist nur Ivan auf dem Platz.
Als ich am nächsten Abend erneut vorbeigehe, ist der Platz belebter: Einige Autos stehen auf dem Parkplatz, auf der Kleinen Allmend sind blaue Hütchen für das Schäferhundtraining aufgestellt. Einige Schäferhunde und ihre Halter*innen sind bereits auf dem Rasen. Auch Ivan ist wieder anwesend. Auf dem Parkplatz treffe ich auf Pia Sturm. Sie trainiert bereits seit über fünfzehn Jahren im Club mit deutschen Schäferhunden und ist Vorstandsmitglied in der Regionsgruppe Bern. Schon ihr Vater und ihr Grossvater waren im Club am «hündele». Ich frage, was «hündele» genau bedeute?
Grundsätzlich gehe es darum die Rasse des deutschen Schäferhundes zu erhalten und auszubilden, beispielsweise im Bereich Begleithund, Schutzhund oder Familienhund, erklärt mir Pia Sturm: «Wir machen das sportmässig. Es gibt Wettbewerbe, bei denen die Hunde einen bestimmten Ablauf von Aufgaben absolvieren müssen. » Rund dreissig Personen würden sich regelmässig auf der Kleinen Allmend treffen, um diesem gemeinsamen Hobby nachzugehen. Die Ortsgruppe Bern zähle aber insgesamt rund achtzig Mitglieder.
Über hundert Jahre ist der Schäferhundclub auf der bernischen Allmend bereits aktiv. Er hat noch die Zeit miterlebt, als die beiden Allmenden noch keine Autobahn trennte und alles eine grosse zusammenhängende Wiese war. Auch die Hornusser*innen hätten im vergangenen Jahr ihr hundertstes Jubiläum feiern wollen, wegen der Pandemie musste es verschoben werden.
Trotz der langen gemeinsamen Nutzung des Rasens seien die beiden Gruppen aber schon eher für sich, sagt auch Pia Sturm: «Wir haben Anlässe und die Hornusser haben ihre, gemeinsame Veranstaltungen gibt es aber eigentlich nicht.» Dies komme vielleicht schon auch ein bisschen vom Kampf um den gleichen Platz.
Unverhofften Kontakt gab es dafür kürzlich mit dem Künstler aus dem «Atelier für Zufallsforschung». Der Schäferhund-Club räumte seine Kellerräume aus und fand eine Menge alter Eisengegenstände. Da hätten sie den Künstler gefragt, ob er das Material gebrauchen könnte. Durch den Kontakt entstand auch der spielerische Brunnen neben dem Clubhaus. So erklärt sich also das Kunstwerk auf dem sonst kargen Areal.
Zukunft ungewiss
Wie lange die Werkstatt von Ivan, das Pfadiheim, die Clubhäuser des Schäferhund-Clubs sowie des Hornussvereins Bern-Beundenfeld und das «Atelier für Zufallsforschung» noch an diesem Ort zwischen Bolligenstrasse und Autobahn verweilen dürfen, ist ungewiss. Vor einigen Jahren sprach die Stadt Bern von einem Umbau der Verkehrsführung und wenn die Pläne umgesetzt würden, müssten die Häuschen der Autobahn weichen. Zwar hätten sie bisher nichts mehr Konkretes gehört. «Aber irgendeinmal wird das wohl passieren», sagt Pia Sturm. «Wir sind schon am umschauen, ob es einen anderen geeigneten Ort gäbe. Aber es ist schwierig in der Stadt Bern.» Wünschen würde sie sich, dass die Stadt im Falle eines Wegweisens eine Alternative anbieten würde und sich damit dazu bekennen würde, dass der Schäferhund-Club zur Stadt gehört und ein erhaltenswerter Teil ist.