Auf 27 Seiten liest man, was mit den jährlich 33 Millionen Franken 2024-2027 getan werden soll. Das sind im Vergleich mit der laufenden Vierjahresperiode 605‘000 Fr. oder 1,8 Prozent pro Jahr weniger, nachdem zuvor die Mittel deutlich aufgestockt worden waren. Wenn man sparen muss, ein Pappenstiel. Wenn man allerdings im Text liest «Der Stadt Bern geht es gut», fragt man sich: Warum muss es sein?
Das Dokument ist in vier Teile gegliedert: Querschnittthema und Schwerpunkte, Förderkredite, Leistungsverträge und Übersicht.
Förderkredite
Im Kapitel Förderkredite wird deutlich: Es gibt Gewinner und Verlierer. Einige Kulturorte sollen etwas mehr bekommen, andere etwas weniger, die Begründungen wirken bemüht. Man erhält den Eindruck, Plus und Minus seien wichtig, um dem Vorwurf zu entgehen, man habe nicht Akzente gesetzt. Aber der in der Politik verpönte Rasenmäher-Schnitt von 1,8 Prozent weniger für alle wäre vielleicht ehrlicher als eine etwas gekünstelte Differenzierung.
Drei Beispiele. Kann man im Ernst behaupten, in Bern übernehme «die Kunsthalle eine zentrale Rolle für die zeitgenössische Kunst – als Plattform, für den Diskussionsanstoss und als Brückenbauerin; in den letzten Jahren hat die Kunsthalle als Austauschort des lokalen Kulturschaffens an Bedeutung gewonnen»? Ist da nicht der Wunsch, die Mutter des Gedankens? Und waren nicht gerade die letzten Jahre dem Jubiläum der Institution mehr gewidmet als der Anregung?
Zweites Beispiel. Seit 2009 betreibt die Robert Walser-Stiftung, nach dem Umzug aus Zürich, an der Marktgasse das Zentrum, aufgrund des sogenannten Berner Modells. Das Modell besteht darin, dass der Kanton, die Burgergemeinde Bern und die Berner Kantonalbank einmalig Kapital einschossen und die Stadt Bern sich verpflichtete, jährlich CHF 100‘000.- an den Betrieb zu leisten. Mit den Kapitalerträgen, dem Zuschuss der Stadt und dank eingeworbenen Drittmitteln wird das auf unbegrenzte Zeit angelegte Zentrum finanziert. Nun bestreitet die Stadt die Unbefristetheit des Modells und will ihren Beitrag halbieren, ohne zuvor mit den Partner*innen geredet zu haben.
Drittes Beispiel. Mit dem Argument, im Zentrum der städtischen Förderung stehe die professionelle Kulturpoduktion, will der Gemeinderat dem Haus der Religionen künftig den Beitrag um CHF 50‘000.- kürzen. Dies obwohl anerkannt wird, was das Hauses für die kulturelle Diversität leistet, die nicht in jedem Fall aus neuen Produkten besteht. Angesichts der Bedeutung des Hauses für die sonst wenig unterstützten kulturellen und religiösen Communities weit über Bern hinaus ein Armutszeugnis.
Querschnittsthema Nachhaltigkeit
Das Querschnittthema ist die Nachhaltigkeit. Kultur soll sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig produziert, präsentiert und ausgewertet werden. Die Stadt will die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden stärken, indem sie branchenübliche Honorare und Abgaben vergütet. Unterstützte Projekte werden dadurch teurer. Bei gleichbleibenden Mitteln können weniger Vorhaben gefördert werden. Das ist ein guter Ansatz, doch fehlen Hinweise darauf, wer vom Weniger hauptsächlich betroffen sein wird. Und ein Fragezeichen setzen darf man hinter die Aussage, dass Kulturinstitutionen nur dann Beiträge an die berufliche Vorsorge entrichten müssen, wenn die Kulturschaffenden dies freiwillig ebenfalls tun: Was gilt nun, Freiwilligkeit oder Vorsorge?
Zur sozialen Nachhaltigkeit gehört für den Gemeinderat, dass die Kulturangebote allen Menschen offenstehen. Leider fehlt ein Satz dazu, dass eines der grössten Hindernisse nach wie vor – auch trotz der KulturLegi – der Eintrittspreis ist und wie dieses überwunden werden soll.
Wichtig – aber weshalb nachhaltig? – ist die Entkoppelung von kreativem Prozess und verwertbarem Produkt. Dies ermöglicht eine längere Beschäftigung mir Recherchen, Nachdenken, Entwerfen usw. Positiv ist auch, dass den Kulturschaffenden Unterstützung geboten werden soll beim Budgetieren, Geld beschaffen, Administrieren, bei der Buchhaltung, dem Personalwesen, in Rechtsfragen, bei Werbung und Medienarbeit. Und Fördergesuche müssen neu nicht mehr schriftlich eingereicht werden, sie können in Bild und Ton gestellt werden.
Auch zur Nachhaltigkeit gehört die Verkleinerung des ökologischen Fussabdruckes jeder kulturellen Tätigkeit. Dies ist vor allem bei den Institutionen ein Thema, aber auch bei freien Produktionen und temporären Anlässen. Man denkt an den Zwang zum Mehrweggeschirr. Denkt man auch an den wochenlangen Lastwagenverkehr und die aufwendigen Anreisen der Bühnenstars für das viertägige Gurtenfestival?
Schwerpunkte
Der eine von zwei Schwerpunkten in der Kulturförderung 2024-2027 ist die Vielfalt. Kultur soll alle ansprechen, teilhaben lassen und niemanden diskriminieren. Doch sucht man vergeblich ein Bekenntnis zur Förderung fremder Kulturen, die in Bern heimisch werden? Und wenn die Hindernisfreiheit angesprochen wird: Wie genau geht das etwa im Schlachthaus Theater oder in der Aula des PROGR? Am Konkreten und Praktischen erweist sich letztlich die Güte von Stichworten; hier fehlen Angaben.
Das Gleiche gilt für den Schwerpunkt der Diversität. Klar, es geht um Jung und Alt, Frau und Mann und mehr, um Menschen aller Herkünfte und Hautfarben, um unterschiedliche Biographien, Qualifikationen, Interessen. Es geht um bewusstes Eingreifen in die Personalauswahl, möglicherweise um Quoten; und es geht um die Frage der Zeit: Bis wann muss der heute keineswegs diverse Kulturbereich etwa der diversen Bevölkerung der Stadt einigermassen entsprechen und wer ist dafür zuständig? Man findet dazu nichts.
Förderkredite
Im Kapitel stechen drei Aussagen ins Auge:
- Die Förderung folgt neu der inhaltlichen Substanz eines Projekts, nicht einer bürokratischen Schablone.
- Mehrere der 14 bestehenden Förderkredite sollen zusammengefasst und nach einheitlichen Kriterien eingesetzt werden.
- Die Spartenkommissionen Kunst, Literatur, Musik, Theater und Tanz sollen aufgehoben und unter den Stichworten «interdisziplinär» sowie «spartenübergreifend» durch einen Pool an Expert*innen ersetzt werden, zu dem zusätzlich Fachpersonen für Digitalität, Philosophie, Games, Diversität, Soziokultur und mehr kommen.
Dass es auf den Inhalt ankommen soll, verwundert. War es bisher anders – und wie genau soll es neu werden? Auch hier, wo es entscheidend darauf ankäme, fehlen Hinweise auf das vorgestellte Funktionieren des neuen Pools: Beurteilen alle Expert*innen alle Gesuche? Erfolgt bei eingeschränkter Beurteilung eine zufällige Zuteilung der Projekte? Durch wen? Gibt es innerhalb des Pools spartenbezogen feste Zuständigkeiten (wie in der Fachkommission von Pro Helvetia)? Wer weist die Gesuche zu? Was, wenn die Expert*innen uneinig sind? Wer leitet den Gesamtpool und in welchem Verfahren wird dieser zusammengesetzt, für welche Dauer? Da dies alles offenbleibt, macht man es der Kritik leicht, obwohl die Idee vielleicht Kredit verdiente. So wie sie nun daherkommt, wird sie möglicherweise im Gegenwind partikularer Interessen scheitern, bevor sie Form angenommen hat.
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Dazu zwei Überlegungen. Mit der Aufhebung der Spartenkommissionen würde ein in der Praxis verankertes, mit der Szene ständig verbundenes qualitatives Gegengewicht der Abteilung Kulturelles wegfallen. Dieses nimmt als Transmissionsriemen heute Übersetzungsfunktionen hin-und-her wahr. Es hält die Abteilung Kulturelles eng vertraut mit dem Alltag der künstlerischen Praxis.
Und: Ist es verfehlt, den Wegfall profilierter und in sich vielfältiger Gremien, die in ihren Szenen Akzeptanz geniessen, als Machtzuwachs der Abteilung zu empfinden? Als einer Entscheidfülle, wie es sie seit 1970 nie gegeben hat? Als eine Konzentration von Zuständigkeiten in einer Verwaltungseinheit, die personell dotiert ist wie noch nie?
Proportionen
Seit vielen Jahren wird kritisiert, dass die Kulturinstitutionen unterschiedlicher Grösse, über Leistungsverträge finanziert, mit 85% den Löwenanteil des Budgets erhalten. Wiederholt forderte der Stadtrat, den Anteil der direkten Förderung via Projekte auf 15% festzulegen.
Nun schlägt der Gemeinderat vor, die Zweiteilung des Kulturbudgets «direkte Förderung» (für Projekte) und «Leistungsverträge» in eine Dreiteilung überzuführen. Neu soll es Beiträge an die Kreationsförderung (künftig 34%), an die Plattformförderung (20%) und an die Interpretationsförderung (46%) geben.
Mit vielen Wörtern wird dies begründet. Die Begründung mag zutreffen, genau überprüfbar ist sie nicht. Sicher ist sie schlau: Anstatt auf eine berechtigte, wenn auch grobe Forderung zu antworten, wird eine neue Ausgangslage gezimmert. Und dies im unverfänglich tönenden Kapitel «Übersicht».
Und jetzt?
Jetzt besteht noch bis am 21. August Gelegenheit, Stellung zu nehmen zum Entwurf der Strategie. Nachher soll über abweichende Positionen diskutiert werden, so stellt es der Stadtpräsident in Aussicht. Wann und wie dies geschieht, ist offen. Aufgrund der Auswertung und der Diskussion wird der Gemeinderat über die Bücher gehen und zuhanden des Stadtrats seine Anträge verabschieden.