RAPokalyptische Weltuntergangsparty

von Ada Fehr 24. Dezember 2012

Vor dem drohenden – nicht eingetretenen – Weltuntergang gerettet wurde man im Berner Pendant zum französischen Bugarach: am Konzert von Lo & Leduc in Kombination mit der Plattentaufe des Rap-Kollektivs Eldorado FM im Bierhübeli.

Der Andrang ist gross. So gross, dass vor dem Hübeli auch zwanzig Minuten nach geplantem Beginn des Konzert-Highlights auf dem (bernischen) Hiphop-Kalender noch dichtes Gedränge herrscht. Endlich vorbei am Sicherheitspersonal sind bereits die ersten Töne von Lo&Leducs «Bon App Arte» zu hören. Das ausverkaufte Hübeli ist brechend voll, als die beiden Berner die ersten Lines zu rappen beginnen: «Pizza Padrone, Länggass Kebab con Guacamole, i ha nid Heiweh nach de Bärge, Ritschi, meh nach Älpler Maggarone.»

Am dominanten Beat des Sommerhits erkennen die vorwiegend männlichen Besucher in den ersten Reihen den Song «Matilda» sofort. Als die Menge auch bei der zweiten Strophe immer noch dabei ist, stehen die Rapper zuvorderst am Bühnenrand und beobachten mit einer Mischung aus abgeklärter Bestätigung und trotzdem durchblitzendem Erstaunen, wie das Publikum Wort für Wort mitspricht. Charmant und mit leicht ironischem Unterton merkt Leduc an: «Die ghöres zum erschte mau u singes scho mit.»

Liebeserklärung ans weibliche Geschlecht

Während die Menge die Lo&Leduc-Stücke im klassischen Rap-Design abfeiert, wird sie auch Zeuge einer balladisch vorgetragenen Version des Klassikers «Dr Louf». Zu langsamer Pianomusik im Yann-Tiersen-Stil spannt Luc den melodiösen Gesangsbogen und Lo setzt ein: «U we sie verbilouft, isch d Zit nid aus wo stah blibt – mit de Bei so läng wie d Zit, we sie nid da isch.» Die Liebeserklärung an das weibliche Geschlecht – charmant, vorwitzig und doch ernst gemeint – sticht aus vielen Liedtexten heraus und erfreut die Zuhörerin besonders, da eine solche im Tagesgeschäft der Rapszene eher selten in solcher Ehrlichkeit und fast liebevollen Umschreibung anzutreffen ist.

Weihnachtliche Melancholie im Hübeli

Da sich Lo&Leduc auch als Vorband zum nachfolgenden Eldorado-FM-Gig verstehen, werden einige Songs des aktuellen Albums nur angeschnitten.

«Das kopfnicken- de Publikum würde den beiden ohne Widerrede auf ein dem Welt- untergang entge- gen fliegendes Ufo folgen.»

Ada Fehr, Volontärin Journal B

Verwöhnt wird die Menge dafür mit einem Freestyle von Lo, seines Zeichens einziger dreifacher Gewinner des «Ultimate Battle», der inoffiziellen Schweizer Meisterschaft im Freestylen. Der Saal liegt den beiden zu Füssen, und spätestens beim Oldie «Rezession» würde das kopfnickende Publikum den beiden ohne Widerrede auf ein dem Weltuntergang entgegen fliegendes Ufo folgen. Mit ihrem neuesten Streich «Aues wird eis» entlässt das Berner Rapduo das Publikum in die Eldorado-FM-Umbaupause. Im Einklang mit den vereinzelt hochgehaltenen Feuerzeugen im dunklen Saal wird man von Lucs Stimme für einen kurzen Moment an einen weihnachtlichen, melancholischen Ort getragen, bevor sich die beiden unter verdientem Applaus von der Bühne verabschieden.

«Gerettet wird man nur in Bugarach»

Apokalyptisch beginnt der zweite Teil des Abends: «Mutter Erde gab Signale an die höchste Raumzentrale, SOS … Gerettet wird man laut Endzeitpropheten nur im französischen Bugarach.» Fast ist es, als hielte das Publikum kollektiv den Atem an. Endlich wird der Vorhang gezogen und gibt den Blick auf die mit fluoreszierenden Schriftzügen geschmückte Bühne von Eldorado FM frei. Am «Bugarach Beach» tauft die Rap-Crew ihr neues, nach dem französischen Pilgerort für Anhänger verschiedener Weltuntergangstheorien benanntes Album. Ein Umriss wird erkennbar, Tommy Vercetti steht alleine am Bühnenrand und rappt mit eindringlicher Stimme die ersten Lines von «Zügä vor Zügig». Nach und nach, Strophe für Strophe gesellen sich die anderen Mitglieder der Crew dazu – die Eldorado-FM-Weihnachtsfeier hat begonnen.

«Die inflationäre Verwendung von Kraftausdrücken huldigt dem Rap auf unangestreng- te Weise.»

Ada Fehr, Volontärin Journal B

Das Publikum ist den vier Mundartrappern von Anfang an verfallen. Die melodiös untermalte Hookline des ersten Songs («Si schreie EFM, EFM, figgedmer nid mi Flow ab, figgedmer nid mi Flow ab, all di Bitches wei nur e Show ha. Si schreie EFM, EFM …») hat sich – so scheint es – seit dem Album-Release Anfang Dezember in die Köpfe der Konzertbesucher eingebrannt: «EFM, EFM», hallt es auf die Bühne und die Masse verfällt in eine wie im Stillen ausgemachte Choreografie. Hände werden unaufhörlich von links nach rechts geschwenkt. Wie zu einem grossen Ganzen zusammengewachsen imitiert das Publikum die auf der Bühne vorgezeigten Bewegungen. Plötzlich bricht jedoch das monotone Bewegungsmuster, die Menge teilt sich in der Mitte und macht Tommy und Manillio Platz, welche sich für «Maison Eldorado» auf Augenhöhe mit ihrem Publikum begeben.

Im Bierhübeli wird mittlerweile dünne, dunstige Luft eingeatmet, während sich das Rap-Quartett EFM, Tommy Vercetti, Dezmond Dez, CBN und Manillio, selber laut und deutlich feiert. Vielleicht sind sie dabei etwas weniger lyrisch als Lo&Leduc, dafür nicht minder treffsicher. Humoristisch ausgelegte Gesellschaftskritik vermengt sich mit augenzwinkernder Ironie für die Rap-Szene. Die fast inflationäre Verwendung von Kraftausdrücken huldigt dem Genre, in welchem sich Eldorado FM musikalisch aufhalten, auf unangestrengte Weise. Das Spiel mit dem Wort funktioniert auch bei Lines wie dieser: «Wede irgendwenn es Zähni am bürschte bisch, chasch sicher si, dass irgendwo mini Zahnbürschte isch.»

«Bevori gang»: Greis als Weihnachtsgeschenk

Wie durch Watte gedämpft, wie von einem fernen Ort her gelauscht, erlebt man im stickigen Bierhübeli «On»: Einer der beiden Gäste auf dem an diesem Abend getauften EFM-Album – Greis – erweist dem Bierhübeli die Ehre. Im Kapuzenpulli steht er auf der Bühne, seine weiche Stimme lässt die französischen Worte in einer Klangwolke verschwinden.

«Stage-Diving-Versuch der etwas anderen Art: Luc lässt sich im aufblasbaren Aare-Gummiboot von der Menge auf Händen tragen.»

Ada Fehr, Volontärin Journal B

Musik wird zu einem erlebten Moment. Als wäre der Gastauftritt von Rapgrösse Greis nicht Weihnachtsgeschenk genug, erscheint die Crew am Ende des fulminanten Familientreffens noch einmal in kompletter Formation: Beim Song «Caran d’Ache», welcher ein Stage-Diving-Versuch der etwas anderen Art hervorbringt – Luc lässt sich im aufblasbaren Aare-Gummiboot von der Menge auf Händen tragen –, verbindet sich die sprachlich derbe Momentaufnahme der EFM-Jungs mit Los Flow. «Feestoub, Tinkerbell, lueg i bine chline Peter Pan, hallo, willkomme im Nimmerland, mini Wimpere sind Pinselhaar – lueg, was sich drin verfaht.» Seine Stimme ahmt durch unterschiedliche Betonung der verwendeten Wörter den den Song untermalenden Beat nach, eine Unterscheidung zwischen eingespieltem Rhythmus und stimmlich produziertem wird unmöglich.

Die freitägliche Alltagsflucht im Bierhübeli endet mit einem eingängigen Song, welcher vor knapp einem Jahr an gleicher Stelle Taufe feiern durfte: «Bevori gang». Und das Publikum folgt den gerappten Worten der vierköpfigen Crew, Hände verfallen unisono in die obligate Links-rechts-Bewegung, Köpfe nicken im Takt, Zeilen werden lauthals mitgesprochen. «Bevori gang gib mir d Hand und dreh di im Chreis für en allerletschte Tanz und, bevori gang, vori gang, druck mich mitem Arsch no es letschts Mal ad Wand, Wand. Und all di Bitches winked und tanzed, all Gs hebed ihri Guns richtig Alpe und all di Bitches winked und tanzed.» Die Weltuntergangs-Afterparty kann beginnen.