Räume für Kunst, Kunst für Räume?

von Dorothe Freiburghaus 26. September 2014

Der renommierte britische Bildhauer Antony Gormley hat für «Expansion Field» eine Installation aus 60 Stahlskulpturen geschaffen, die 21 Posen des menschlichen Körpers nachahmen. Die Ausstellung vermag aber nicht zu überzeugen.

In der Presse sah ich grosse Fotos von stählernen, nachtschwarzen, kantigen Körpern, in regelmässigen Reihen hintereinander gestellt. «Ein Soldaten-Friedhof?» So geht es mir fragend durch den Kopf. Corten-Stahl, das Ganze nicht sehr innovativ. Da muss ich nicht hingehen.

Später lese ich im Heft «Kunsteinsicht»: «Am Anfang stand die Idee, den sehr kontrovers diskutierten grossen Ausstellungsraum des ZPK anders als bisher zu nutzen. Die Hängewände verstand Renzo Piano eigentlich als modulares System – wieso also nicht einfach einmal alle entfernen?» Und einen Künstler suchen, der imstande ist, diese leere Halle zu bespielen? Das hingegen interessierte mich.

Zwölf Reihen mit je fünf Körpern

Sachlich und nüchtern stehen die Objekte da, grösser und wuchtiger als ein Mensch. Sie gehen vom menschlichen Körper aus, beinhalten körperliche Bewegungsabläufe und sind vom Künstler im Kontrast zur auf- und absteigenden Welle des Saaldaches in Positionen von vielfältigen auseinander wachsenden Quadern aufgestellt worden. Oft sind die Skulpturen nach oben umfangreicher, greifen wie Arme in den Raum, erinnern an Kreuze. Dann stehen sie wieder da, schlank und verspielt, in zwölf Reihen mit je fünf Körpern.

Der Ort der Objekte wird zu einem sich ausdehnenden Feld. Sie verkörpern die Erfahrung von uns Betrachtern, wenn wir die Augen schliessen und uns in der Dunkelheit des Körpers bewusst werden, dass wir «uns in einem grenzenlosen, sich stetig ausdehnenden Raum befinden», der sich im kosmisch Unendlichen verliert. So der Künstler Antony Gormley, der diese Figuren geschaffen hat.

Der verborgene Raum

Für die Installation wurde der Maurice-E.-Müller-Saal von allen Stellwänden und Sitzmöglichkeiten befreit. Für einmal wird der dahinter verborgene Raum, wie ihn Renzo Piano schuf, sichtbar. Ein riesiger Raum mit seinen 1700 Quadratmetern und einer Höhe von 11 Metern – in der Schweiz offenbar die grösste Ausstellungshalle.

Ich stehe als Betrachterin am Eingang und sehe den gewaltigen Körpern entlang aufwärts, über die Körper hinaus, wo der Blick durch all die Querträger der Lichtinstallation beschnitten und zurückgeworfen wird. Ich beginne von vorne. Mein Blick kann aber nicht nach oben durchdringen. Ich suche eine Position, in der ich den ganzen Raum in seiner Ausdehnung und Höhe mit dem Körperfeld von Antony Gormley sehen und erleben kann. Vergeblich. Jetzt verstehe ich, warum es davon keine Pressebilder gibt.

Das Erfassen des ganzen Raums aus der Position des Betrachters ist gar nicht möglich.

Dorothe Freiburghaus

Das Erfassen des ganzen Raums aus der Position des gewöhnlichen Betrachters ist gar nicht möglich. Der Wunsch, die Höhe auszuloten, mit einem Objekt auch hinaufzugreifen und den Raum tatsächlich als Ganzes zu erleben, wird nicht erfüllt. Die Absicht war da. Die Umsetzung durch den Künstler erreicht nicht das Versprochene: Das Projekt, den Maurice-E.-Müller-Raum als Raum zu zeigen und zu nutzen, würde neue Aspekte öffnen. Grundsätzlich bleibt aber fraglich, ob für einen Raum eine Künstlerin oder ein Künstler mit ihrer Arbeit gesucht wird, oder ob zur künstlerischen Arbeit ein passender Raum zur Verfügung steht. In Absprache mit der Kunsthalle oder dem Kunstmuseum könnte Erstaunliches entstehen.

Klee und Räume

Enttäuscht gehe ich die Treppe hinunter. Gleich unterhalb der Ausstellung von Antony Gormley treffe ich in spannendem Kontrast auf die reichhaltige Ausstellung mit Werken von Paul Klee zum Thema «Raum, Natur und Architektur». Wie leider fast immer geht das immense Angebot über mein Fassungsvermögen hinaus. Und wieder wünsche ich mir Klees Werk in intimerem Rahmen oder doch im Sinne von weniger ist mehr ausgestellt.

Fast hätte ich die feinen Federzeichnungen verpasst: Klee hat sich in ihnen längst von der Zentralperspektive ab- und den inneren Strukturen der Natur und Architektur zugewendet, als er in der «Ordensburg» mit einem Reichtum von feinsten senkrechten und horizontalen Linien und einer einzigen kurzen Diagonale einen immensen Raum vor unseren Augen entstehen lässt. Ein lichter Raum, in dem für mich sofort auch der helle Maurice-E.-Müller-Raum anklingt.