Rätselhaft und irritierend

von Esther Fischer-Homberger 10. Dezember 2013

Das titelgebende Tier aus dem Film «Das merkwürdige Kätzchen» ist eine einfache Hauskatze, aber das Filmchen, in dem sie herumstreift, ist bemerkenswert. Gemacht wurde der Film von Berner Zwillingen, gezeigt wird er auf diversen Festivals.

Es ist eine Low-Budget-Schularbeit des jungen Berners Ramon Zürcher, der an der Berliner Film- und Fernsehakademie sein Métier erlernt. Sein Bruder Silvan, ebenfalls Schüler an der Akademie, fungiert als Produzent.

«Das merkwürdige Kätzchen» spielt in einer Berliner Altbauwohnung, wo eine grosse Familie sich zusammenfindet. Selten sieht man das Thema der Familie im Film derart nahe am Erleben dargestellt: ein Netz von unsichtbaren Bindungen, Spannungen, Brüchen; eine Ansammlung von unbekannten Universen, Rollen, Ausdrucksweisen – eingeordnet  für kurze Zeit ins Kristallgitter Familie. Indem alle Aktionen und Reaktionen unendlich komplex und vielfach determiniert erscheinen, bleibt es im gegebenen Zeitraum oft unklar, wer auf wen und worauf reagiert, so entwickeln sich absurd wirkende Interaktionen.

Klein- und Nicht-Geschichten

Zürcher filmt zum Teil auf Kniehöhe, zeigt Beine und Schuhe, während weiter oben geredet wird, ohne dass klar wäre, von wem, nicht einmal, ob und welche Rede zur Situation im Bild gehört. Ton und Bild folgen oftmals verschiedenen Spuren. Kinder mögen ihre Umgebungsfamilie so erleben – gleichzeitig geborgen und orientierungslos in Bodennähe.

Den Plot bildet ein harmloses Familientreffen, aber präsentiert wird eine Komposition von zahllosen heterogenen und durchaus auch unheimlichen Klein- und vor allem Nicht-Geschichten. Bilder, die in konventionellen Filmen die Handlung vorantreiben – Blutspuren zum Beispiel – bleiben hier folgenlos.

Vertrautes und Befremdliches

Einige Orientierung bietet vielleicht die Figur der Mutter, vielleicht die Wohnung. Freilich, die Mutter (Jenny Schily) spiegelt eher Rätselhaftes zurück, so erzählt sie unvermittelt und ohne Echo oder Konsequenz, wie sie im Kino eine möglicherweise erotische Annäherung erlebt hat. Sie tapeziere mit ihrer Stimmung die Wohnung, sagt Ramon Zürcher dazu.

Und was die Wohnung betrifft: Ja, der Grundriss scheint klar, dann aber auch wieder nicht. Manche Räume ausserhalb, in einem Jenseits der Familie, werden einbezogen, andrerseits lebt da etwa ein Falter in seiner ganz eigenen Topographie. So klar ist nicht, was Heim und was unheimlich ist, plötzlich fliegt ein Ball durchs Fenster mit Wucht in die Küche – er hätte, findet die am Fenster stehende grosse Tochter, die Lampe beschädigen können.

Manche Dinge führen ein Eigenleben, auf Beachtung sind sie nicht angewiesen, noch nicht einmal auf die Aufmerksamkeit des Publikums. Zuweilen kreuzen sie auf ihre Weise die Wege der Familie, so die murmelnde Flasche, die singenden Gläser, die fettspritzende Wurst, die brodelnde Kaffeemaschine, die fallenden Orangenschalen.

Und dann gibt es da noch die Tiere: eine sichtbare Taube, eine verschwundene Ratte, einen grossen Hund und eben – die Katze. Die äussern sich auf ihre Weise, der Hund bellt hie und da ins Geschehen, die Kaffeemaschine überdröhnt und unterbricht alle Gespräche. Die Erstklässlerin Clara, die Jüngste, liebt es, hie und da sehr laut zu schreien, so kann sie sogar die Kaffeemaschine übertönen.

Von ihr zur Mutter laufe die Hauptachse der Erzählung, kommentiert der Filmer. Und die stille Katze sei die einzige gewesen, die ihre Rolle ganz und gar improvisiert habe.

Ein merkwürdiger, bemerkenswerter Erstling

«Das merkwürdige Kätzchen» (D, CH 2013) ist ein erstaunlicher, unterhaltender, liebenswürdiger, gleichzeitig unheimlicher Film über ein alltägliches Familientreffen, ein Schulfilm gegen alle Konventionen, aus lauter gewöhnlich unbeachteten, normalerweise weggeschnittenen, scheinbar nebensächlichen Partikeln zusammengesetzt. Allerdings so kunstvoll zusammengesetzt, dass es gelingt, einen familiären Alltag in all seiner irritierenden Rätselhaftigkeit zu zeigen.