«Komm, wir steigen aus» sagt einer meiner beiden Freunde, mit denen ich im Tram sitze, und ich schrecke hoch. Sobald wir ausgestiegen sind, beginnen sie zu diskutieren. Ob ich das auch mitbekommen hätte, fragen sie. Ich gähne nur und schüttle den Kopf.
Es ist drei Uhr nachts, wir kommen gerade von «King Kong» nach Hause. Ein Veranstaltungsformat im Gaskessel, das explizit queere Menschen einlädt, zu relativ schlechter Musik zu tanzen. Wir hatten es gut. Wir haben gelacht, anderen Menschen beim Rumknutschen zugeschaut und, natürlich, getanzt.
Wir sind eine Station zu früh ausgestiegen, erklären mir die andern. Und da weiss ich schon, worum es geht. Wir wurden queer gelesen.
Es sind kleine Blicke aus dem Augenwinkel. Sie schleichen über mich, als wären sie aus Versehen da gelandet, obwohl alle wissen, dass es Absicht war.
Dass man Menschen ihre Sexualität nicht ansehen kann, ist uns wohl allen bewusst. Dass dasselbe eigentlich auch für das Geschlecht zählt, wissen inzwischen auch schon viele. Wie kann ich also behaupten, Menschen sähen mir das an?
Manchmal trage ich T-Shirts mit politischen Slogans oder mit Bildern von queeren Personen drauf. An diesen Tagen ist mir sehr bewusst, dass Menschen diese Aufschriften lesen können und mich aufgrund dessen anschauen. An anderen Tagen werde ich jedoch trotzdem angeschaut. Es sind kleine Blicke aus dem Augenwinkel. Sie schleichen über mich, als wären sie aus Versehen da gelandet, obwohl alle wissen, dass es Absicht war.
An guten Tagen rede ich mir ein, angestarrt zu werden, weil ich gut aussehe – an schlechten hingegen starre ich oft zurück oder versuche, in meiner Jacke zu versinken.
Wenn ich mit anderen sichtbar queeren Personen unterwegs bin, verstärkt sich der Effekt. Das Starren wird heftiger, rauf und runter geht der Blick, regelrecht zuschauen kann man, wie sich manche Menschen den Kopf daran zerbrechen, welches Geschlecht jetzt wer hat und ob wir vielleicht zusammen sind, weil sich unsere Hände vielleicht berühren.
Wenn ich mit anderen sichtbar queeren Personen unterwegs bin, verstärkt sich der Effekt. Das Starren wird heftiger, rauf und runter geht der Blick.
Zu zweit wurden wir auch schon öfters kommentiert. Letztes war ich in Olten und eine Person lehnte sich aus dem Laster, um «Ha! Gay!» zu rufen. Als wüsste ich das nicht selbst schon. Auch wenn ich solche Kommentare lächerlich und vor allem sehr unkreativ finde, lastet es auf mir, zu wissen, dass Menschen mich beleidigen wollen. Dass etwas an mir sie so sehr provoziert, dass es regelrecht aus ihnen herauszuplatzen scheint, mir sagen zu wollen, dass diese Welt nur ihnen gehört.
Gelegentlich erlebe ich auch schöne Momente, wenn mein Blick den einer Person trifft, die auch queer gelesen wird. Wenn ich schnell queere Freund*innen finde, weil sie mich als eine queere Person erkennen und wissen, dass sie bei mir sie selbst sein können.
Wenn ich mich über meine Erfahrungen beklage, muss mir auch bewusst sein, dass meine Situation ein Privileg ist. Weil sich Menschen nicht sicher sind, welches Geschlecht ich habe, und es doch vielleicht sein könnte, dass ich ein Cis-Mann bin, erlebe ich keine physische Gewalt aufgrund meines Transseins. Transfrauen hingegen haben es anders. Wer weiblich ist, als weiblich oder als «nicht ganz zuordnungsbar» gelesen wird und dabei Feminität ausdrückt, läuft ein grösseres Risiko, Gewalt zu erfahren.
Und trotzdem ist es leider so, dass sogar die privilegiertesten unter uns, die weiss, cis, able-bodied sind, transmaskulin – also Menschen wie ich – tagtäglich Diskriminierung erfahren müssen.
Gelegentlich erlebe ich auch schöne Momente, wenn mein Blick den einer Person trifft, die auch queer gelesen wird.
Dies spüre ich auch, wenn ich Aktivismus mache.Wenn ich die einzige Person bin, die nach Pronomen gefragt wird, weil ich «so aussehe, als würde mensch nach meinen Pronomen fragen müssen», und daraufhin suggeriert wird, dass ich keine Pronomen bräuchte, weil ich «den nonbinären Look» hätte.
Wenn Menschen, die mich noch nicht kennen, etwas über mich sagen und statt Pronomen zu gebrauchen mit den Händen fuchteln und peinlich berührt stottern. Wenn queerfeminstische Themen, bei denen es um meine Lebensrealität geht, vertagt werden. Oder wenn in feministischen Gruppen in meiner Anwesenheit darüber diskutiert wird, ob sie denn jetzt auch offen für Transpersonen sind.
Diese Situationen beeinflussen meinen Aktivismus und insbesondere die Orte, an denen ich schliesslich bleibe, um aktiv zu sein. Wenn ich nicht zuerst um eine Daseinsberechtigung kämpfen muss, bevor es um die eigentlichen Themen gehen kann, will ich bleiben.
Nachdem ich mich strecke und meine zwei Freunde frage, was genau im Bus passiert ist, erzählen sie kurz davon. Eine Freundesgruppe junger Männer sei in unserer Nähe abgesessen und habe uns angestarrt. Einer habe nicht aufgehört zu starren, und es sei klar gewesen, dass sie sich über uns unterhielten. Meine zwei Freunde entschieden aus Sicherheitsgründen, eine Station früher auszusteigen.
«Alltag», murmle ich vor mich hin und wir wechseln das Thema.