Quartierkommissionen als Drehscheibe

von Thomas Göttin 10. März 2021

Sabine Schärrer, Geschäftsführerin der «QuaVier» (Quartierkommission des Stadtteil IV), und Rachel Picard, Geschäftsleiterin der Quartierkommission Bümpliz-Bethlehem QBB, diskutieren im zweiten Teil des Gesprächs über das «Berner Modell», Finanzen und die Zukunft der Quartierkommissionen.

Thomas Göttin: Woher kommt die Idee der Quartierkommissionen?

Sabine Schärrer: Die ersten Vorstösse zur Partizipation stammen von 1973. Schon 1979 wurde die Mitwirkung im eidgenössischen Raumplanungsgesetz verankert, später auf Kantons- und erst im Jahre 2000 auf Stadtebene. Die erste Generation hatte noch die Idee von Quartierparlamenten, so quasi städtischen Dorfparlamenten, aber dazu fehlt wohl die kritische Grösse.

Rachel Picard: Oft heisst es, wir seien «das Quartier oder die Stimme des Quartiers». Aber wir sind kein Entscheid-, sondern ein Mitwirkungsorgan und es gibt auch andere Stimmen. Wir sammeln Einschätzungen, diskutieren und bilden uns eine Meinung. Wir stellen auch Mehr- und Minderheitsmeinungen dar, das ist wichtig. Damit kann die Verwaltung nicht immer gleich gut umgehen. Sie möchte manchmal fast Garantien, dass es keine Einsprachen gibt, das ist unmöglich – und auch nicht Sinn der Sache.

Schärrer: Die «soziokulturellen» Aspekte in den Aufgaben der Quartierkommissionen sind heute wichtiger geworden. Da braucht es viel Information und Vernetzung, z.B. über mögliche Zwischennutzungen, die dann an alle Vereine oder Freiwilligen im Stadtteil gehen. Geschehen ist das seinerzeit beim Punto, oder heute beim Egelsee, wo der «Verein am See» das Gebäude für ein Jahr für die Zwischennutzung erhält. Oder mit unseren 13 Infosäulen im Stadtteil.

Picard: Das könnte heute auch eine App sein, ein Quartierchat oder andere soziale Medien.

Schärrer: Die Quartierkommission ist die Drehscheibe in beide Richtungen, zur Stadt und Bevölkerung. Wobei nicht alle gleich vertreten sind, die ausländische Wohnbevölkerung etwa viel weniger als die aktiven Stimmbürger*innen.

«Berner Modell» mit Zukunft

Göttin: Ich habe den Eindruck, Demokratie in der Schweiz bedeutet immer gleich Entscheiden, und dann geht es um Abstimmungsverfahren und Wahlen. Was bedeutet Partizipation im Zusammenhang mit den Quartierkommissionen heute?

Schärrer: Man kann das am Beispiel Zürich zeigen. Zürich hat zwar gute Quartierzentren, aber die Partizipation erfolgt immer nur punktuell. Quartierarbeiter*innen schauen ad hoc, wer wo von einem Projekt betroffen sein könnte. Dabei beginnen sie immer wieder von vorne, und knüpfen neue Kontakte. Wir sind da einen level höher im Kontakt zwischen Verwaltung und Bevölkerung. Institutionalisierung und Kontinuität macht Entwicklung möglich. Die Ebene der Quartierkommissionen ist mehr sach- und weniger parteipolitisch orientiert.

 

«Das Berner Modell könnte auch für andere Städte interessant sein

 

Picard: Dieses «Berner Modell» der Quartierkommissionen ist ein wertvolles Instrument, das auch für andere Städte interessant sein könnte. Das Stadtparlament fühlt sich manchmal etwas konkurrenziert, aber wir haben eine ganz andere Funktion, das müssen wir mehr herausschälen. Mit den zunehmenden Anforderungen an die Quartierkommissionen steht eigentlich eine Organisationsentwicklung an. Die wird wohl im Zuge der Fusionsverhandlungen mit Ostermundigen kommen. Es stehen mehrere Modelle zur Diskussion. Die Quartierkommissionen sehen viele Stärken im heutigen Modell, aber es muss weiterentwickelt werden. Gewählte Stadtteilparlamente sehen wir eher als schwierig an, das birgt die Gefahr, dass die sachliche und fachlich fundierte Diskussion verloren geht.

 

«Die finanzielle Ausstattung ist himmeltraurig.»

 

Schärrer: Das Gewicht der Quartierkommissionen hat klar zugenommen in den letzten Jahren. Allerdings ist die finanzielle Ausstattung himmeltraurig, es gibt – für alle zusammen – gerade mal 330’000.- im Jahr. Der spezifische Informationsauftrag, den wir für die Stadt erbringen, wird überhaupt nicht abgegolten. Und das Wissen und Engagement derjenigen, welche für diese Kommissionen arbeiten, steht in keinem Verhältnis zur Entschädigung.

Zum Abschluss ein Kränzchen

Göttin: Wie funktioniert die Zusammenarbeit unter den Quartierkommissionen?

Schärrer: Die hat sich klar verbessert und an inhaltlicher Qualität zugelegt. Seit einiger Zeit gibt es zweimal im Jahr Stadtteil-Gespräche von allen Quartierkommissionen mit den Generalsekretär*innen der städtischen Direktionen. Da treffen wir uns regelmässig zur Vorbereitung und besprechen natürlich auch andere Themen.

Picard: Dazu braucht es aber auch Leute mit einem politischen Verständnis für die gesellschaftlichen, sozialräumlichen Aspekte, die genau diesen Austausch und die Vernetzung anstossen, die weiter denken und nicht am eigenen Stadtteil-Tellerrand aufhören: wie eben Sabine eine ist, um ihr hier ein Kränzchen zu widmen. Sie war 5 Jahre lang für die Vorbereitung dieser Gespräche verantwortlich.

Schärrer: Ja und es braucht themenübergreifendes, interdisziplinäres Denken und politisches Gespür – genau das hat Rachel, und deshalb hat sie vor einigen Jahren diese Vorbereitung übernommen.

Göttin: Sabine sollte längst einen Preis erhalten.

Picard: Im Westen Berns könnten wir die «Königin Bertha Medaille» verleihen. Diese wird an Personen verliehen, die im Stadtteil 6 durch eine besondere Leistung herausragen.

Schärrer: Sicher nicht. Ausser wenn es Geld gibt, dann würde ich es dem Familienzentrum spenden.

Göttin: Wir bleiben dran.