Punsch gegen soziale Kälte

von Tina 22. Dezember 2022

Nur noch zu zweit duschen, kalte Wohnung um die Heizkosten zu senken, immer schön den Deckel auf die Pfanne – kurz: die Energiekrise ist da und sie betrifft uns alle. Einige Menschen trifft sie aber härter als andere. Wieso das Problem politisch ist und sicher nicht durch weniger Tee-Trinken oder durch Badeverzicht gelöst werden kann, erzählt Tina in diesem Auftakt unserer neuen Kolumne.

Dampf steigt aus der Tasse auf, an der ich meine steifen Hände wärme. Es ist ein Samstag im Dezember, es ist kalt. ​Mit ein paar anderen Aktivist*innen warte ich auf dem Vorplatz eines Supermarktes. Gerade ist eine Frau stehen geblieben. Auch sie hält nun einen Becher in der Hand. Ein Schild an unserem Wagen hatte ihre Aufmerksamkeit auf uns gezogen: «Gratis Punsch gegen soziale Kälte.»

Diesen Winter frieren wir, die Sommer werden immer heisser. Das Problem: Das Heizen wird teurer und teurer – unbezahlbar – und diese Kosten werden auf uns Einzelpersonen abgewälzt. Gleichzeitig verheizt der Bund mehrere hundert Millionen Franken für den Bau neuer Öl- und Gaskraftwerke und kurbelt damit die Klimakrise weiter an.

Was sarkastisch daherkommt, bedroht besonders die Menschen in ihrer Existenz, die schon vorher nur knapp über die Runden gekommen sind. Wer die Miete noch gerade so decken konnte, muss jetzt durch explodierende Nebenkosten im schlimmsten Fall eine Kündigung fürchten. Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, die durch das teurere Leben bei gleichbleibenden Löhnen eigentlich auf Sozialhilfe angewiesen wären, können diese nur in Anspruch nehmen, wenn sie dafür in Kauf nehmen, dass sich ihre Bleibechancen massiv verschlechtern. Wieder einmal verstärkt die Krise also bestehende Ungerechtigkeiten.

Gigantische Summe für Gas- und Ölkraftwerke

Ungerechtigkeit wird auch dadurch potenziert, dass der aktuelle Anlass dazu genutzt wird, neue Infrastruktur für fossile Energie aus dem Boden zu stanzen. Im Jahr 2022, sieben Jahre nachdem auch die Schweiz sich im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet hat, das 1,5°C-Ziel anzustreben, beschliesst der Bund, im Rekordtempo Gas- und Ölkraftwerke im aargauischen Birr zu bauen. Ganz zu schweigen davon, dass die gigantische Summe, die dafür vorgesehen ist, in etwa dafür reichen würde, um die vierfache Leistung mit Hilfe von Photovoltaik zu erzeugen.

Die Erzählung: Russlands Krieg in der Ukraine sorge unumgänglich, fast schon einem Naturgesetz gleich, dafür, dass bei uns die Preise steigen und die Energie knapp wird. Was dagegen hilft: Eben ein bisschen sparsam sein, das täte dem Geldbeutel gut und würde helfen, eine drohende Strommangellage abzuwenden.

Ich gebe mein Bestes und trotzdem reicht es nicht.

Was die Frau sagt, habe ich so oder so ähnlich heute schon mehrere Male gehört. Sie erzählt, dass sie spart, wo es geht. Dass sie zuhause Pullover stapelt und seltener warm kocht. Und egal, wie genau die Geschichten lauten, ob sie vom Kampf um den IV-Bezug oder von der Sorge um die Zukunft der eigenen Kinder handeln – ein Satz fällt immer wieder: «Ich gebe mein Bestes und trotzdem reicht es nicht.»

Ist der Teekocher schuld?

Ich kenne diesen Gedanken. Wenn ich morgens im Tram wieder einem Plakat der «Nicht verschwenden»-Kampagne gegenüber sitze, bekomme ich einmal mehr das Gefühl, mein Wasserkocher sei schuld an der Krise. Alter Energiefresser. Besser das nächste Mal auf die tägliche Tasse Tee verzichten, schliesslich müssen wir ja alle unseren Beitrag leisten. Nicht?

Das Problem ist weder individuell noch naturgegeben. Es ist politisch.

Was die Plakate nicht erzählen, ist, dass es nicht die Wasserkocher sind, die uns in diese Situation gebracht haben, oder die Leute, die sich in Zeiten wie diesen noch trauen, alleine zu duschen. Mir sagt niemand, dass es kaum einen Unterschied macht, ob ich das 1×1 des Energiesparens herunterbeten kann oder die Sache eher locker sehe. Dass die ganze Wirkung von tausenden Wasserkochern im Winterschlaf verpufft, wenn die energieintensivsten (und nebenbei emissionsreichsten) Industrien weiter laufen, als wäre nichts gewesen.

Das Problem ist weder individuell noch naturgegeben. Es ist politisch. Beides, sowohl steigende Kosten bei gleichbleibendem Einkommen, sowie die erneute Investition in Öl und Gas, sind Geschenke für Konzerne, die auf fossile Energien setzen. Schliesslich sind diese nicht wegen drohender Insolvenz dazu gezwungen, die Preise anzuheben.

Profite in der Krise wittern

Im Gegenteil: Energiekonzerne wie Alpiq, Axpo und BKW sprechen stattdessen von «sehr gelungenen Jahresergebnissen». Die Preise steigen nicht, weil sie das müssten. Die Preise steigen, weil Energieunternehmen in der aktuellen Krise die Chance wittern, ihre Profite zu steigern. Dies geschieht auf Kosten von uns allen.

«Kommt alle her, hier gibt es Punsch», ruft die Frau anderen Einkaufenden zu. Einige von ihnen bleiben interessiert stehen. «Das ist eine gute Sache, für die ihr da kämpft», sagt sie mit einem Zwinkern. «Ich mache auf jeden Fall Werbung für euch!»

Manchmal, inmitten von Gesprächen, die um eine gemeinsame Sorge kreisen, gesellt sich zu meiner Wut auf die Verhältnisse ein zweites Gefühl dazu. Dann ist da auch ein kleines bisschen Hoffnung. Denn es ist Fertig Luschtig! Nicht mit uns.

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