Politik - Meinung

Print verliert, Online gewinnt, Bern bangt

von Peter Steiger 2. September 2024

Medienlandschaft Tamedia streicht 290 Stellen, 90 davon in den Redaktionen. Kommentar von Peter Steiger, früherer Redaktor bei der Berner Zeitung.

Simon Bärtschi hat es ganz nach oben geschafft. Er war früher Chefredaktor der «Berner Zeitung» und des «Bund». Jetzt ist er publizistischer Leiter des Konzerns Tamedia. Bärtschi ist ein guter Journalist. Allerdings hat er Aussetzer. Vor ein paar Tagen wechselte er ins Marketing-Fach. Auf Schwurbel-Deutsch schrieb er in den Tamedia-Zeitungen zu den geplanten Massenentlassungen: «Die Angebote wollen wir laufend ausbauen. Dabei werden wir unsere journalistische Kraft noch besser zusammenführen (…) Glaubwürdigkeit, Relevanz, Wahrhaftigkeit und Fairness sind die Pfeiler unserer Publizistik.»

Diese «laufend ausgebauten Angebote» bedeuten, dass der Konzern total 290 Stellen abbaut. 90 Entlassungen betreffen die Redaktionen. Heute umfassen die Tamedia-Redaktionen insgesamt 620 Stellen. Unklar ist noch, welche Standorte wie viele Journalistinnen und Journalisten verlieren.

«Bündelung der Kräfte»

Bärtschi spricht von einer «Bündelung der Kräfte». Das ist Schönsprech für Abbau. Die Konzentration soll gemäss Tamedia die vier grossen Marken stärken: die «Berner Zeitung», den «Tages Anzeiger», die «Basler Zeitung» und «24 heures». Der «Bund» wird nur noch als «Traditionsblatt» erwähnt. Das Tamedia-Orakel kann man so interpretieren: Nostalgie ist vor allem dann schön, wenn sie was einbringt. Titel wie das «Thuner Tagblatt», der «Berner Oberländer» oder das «BZ Langenthaler Tagblatt» werden digital mit unterschiedlichen Konzepten wie bereits andere Tamedia-Marken in die vier grossen Plattformen integriert.

Wenigstens vorläufig aufatmen können die Druckerinnen und Drucker im Zentareal in Ostermundigen. Bis auf weiteres läuft die Offset-Rotation hier noch. In Bussigny VD wird die Maschine vermutlich im nächsten Frühling abgestellt, jene in Zürich wird Ende 2026 letztmals angefahren.

Ein Fünftel weniger Stellen

Der Medienkonzern beschäftigt insgesamt 1400 Mitarbeitende. 290 verlieren die Stelle, rund ein Fünftel also. Wann, wer, wo weggespart wird, ist noch ungewiss. Die Massenentlassung bezeichnet der Tamedia-Schaumsprech als Umstrukturierungen. Die Reaktionen fallen erwartungsgemäss aus: Die Gewerkschaften Syndicom und Impressum sind empört und fordern einen Entlassungsstopp. Der Verband Schweizer Medien will mehr indirekte Medienförderung. Und die Bürgerlichen weisen wie eh auf die unabänderliche Macht der Marktwirtschaft. Bei den bisherigen Entlassungen war dies anders: Aufrufe, Demos, besorgte Stadtpräsidentinnen und -präsidenten. Jetzt ist der Abbau bloss noch business as usual.

Der Autor hat das Journalisten-Handwerk bei der «Berner Zeitung» in den Achtzigern gelernt. Es war ein strubes Gewerbe und die Qualität war längst nicht so gut, wie es heute viele verklären. «Haben wir noch Stehsatz für die Letzte?»

Rotationsmaschinen druckten Geld

Dann kamen die Goldenen Neunziger. Dank der Inseratenschwemme druckten die Rotationsmaschinen Zeitungen bis zu 128 Seiten und spülten so Geld auf die Konten. Damit konnte man nach dem Start der Digitalisierung in den Nullerjahren einigen Unfug anstellen: Gelungenes, Misslungenes, gut gemeintes, Unzumutbares für die Mitarbeitenden. Irgendwann wurden sowohl die Geschäftsleitungen wie die Computer schlauer. So gelang, was eigentlich geplant gewesen war: Einsparungen.

Nicht geplant, aber noch weit einschneidender waren die Umsatzeinbussen. Die Werbetreibenden platzierten ihre Millionen online. Die Printnutzerinnen und -nutzer entdeckten, dass sie die Artikel auch digital und vorläufig gratis lesen konnten. Sie verzichteten aufs Abo und die Kiosk-Zeitung. Innerhalb weniger Jahre verloren die Medienhäuser 30 bis 50 Prozent ihres Umsatzes. Tamedia rettete sich mit Umlagerungen ins Online-Geschäft, mit Einsparungen bei den Immobilien und mit schön geschminkten Fusionen. Und vor allem mit «Freistellungen», Marketing-Speech für Entlassungen.

«Mai-Massaker»

Tamedia war unterdessen zum gemeinsamen Verlag für «Berner Zeitung» und «Bund» geworden und verantwortete 2009 eine drastische Kündigungswelle. Die Redaktionen bezeichneten den Abbau eingängig als «Mai-Massaker».

Weitere Entlassungen realisierte der Konzern 2021. «Berner Zeitung» und «Bund» hatten bereits vorher nur noch regionale Themen getrennt behandelt und fast alles übrige von der Zürcher Verlagszentrale bezogen. Nun gaben die beiden Blätter auch diese bescheidene Konkurrenz auf. Die Publikationen unterschieden sich nur noch unwesentlich. Am stärksten durch die Buntfarbe, blau für den «Bund», rot für die «BZ». Und ein wenig durch die Blattarchitektur: Die «BZ» priorisierte die regionalen Themen. Der «Bund» zügelte diese in den hinteren Teil und garnierte den Schluss mit dem «kleinen Bund». Ausserdem durften sie sich inhaltlich ein bisschen unterscheiden. Der «Bund» war eher städtisch orientiert. Die «BZ» war in der Agglo und auf dem Land präsent.

Tamedia beschwurbelte die neue Mixtur schon damals als «Bündelung der Kräfte». Und vernichtete 20 Vollzeitstellen. 2023 entliess das Unternehmen weitere 80 Mitarbeitende. Jetzt, bloss ein Jahr später, will Tamedia die «laufend ausgebauten Angebote» wiederum mit einem massiven Stellenabbau erreichen.

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Offizielle Tamedia-Mitteilung

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels war die Rede davon, dass die Tamedia-Redaktionen nur 270 Vollzeitstellen umfassen und mit den 90 abgebauten Stellen einen Drittel verlieren würden. Diese Angabe war falsch. Es sind 620 Vollzeitstellen.