Wer auf der Internetsite der Post unter «Standorte und Öffnungszeiten» im Gebiet der Postleitzahlen 3007 oder 3008 nach Postfilialen sucht, findet (neben dem PostParc, der aber zur Innenstadt gerechnet werden muss) insgesamt sieben Standorte. Das schaut ja mal nicht schlecht aus. Beim genaueren Hinsehen relativiert sich die Situation allerdings. Eine reale Poststelle gibt es im Stadtteil 3 nur noch eine, nämlich die Poststelle Mattenhof am Eigerplatz. Alle anderen von der Post vollmundig ebenfalls als «Filialen» bezeichneten Standorte sind sogenannte Agenturen.
Agenturen sind meist Quartierläden, welche neben ihrem Kerngeschäft auch noch ein Grundangebot an Postdienstleistungen anbieten. Man kann dort Briefe und Pakete aufgeben (auch Einschreiben), Rechnungen bezahlen (allerdings nur mit Karte) und Bargeld bis 500 Franken beziehen (garantiert ist allerdings nur ein Betrag von Fr. 50.‒, wenn der Laden beziehungsweise die Agentur gerade klamm ist).
Was kostet ein Päckli nach Hammamet?
Im Stadtteil 3 verschwand in den Neunzigerjahren bereits die Poststelle Marzili. Weitere fünf Poststellen wurden seit der Jahrtausendwende geschlossen: es sind dies die Standorte Weissenbühl, Fischermätteli, Inselspital, Sulgenbach und letzten Monat die Holligen-Post. Immerhin hielt sich der gelbe Riese bisher an die Vorgabe, für jede Poststellenschliessung eine Agenturlösung anzubieten. Post-Agenturen finden sich im Altai-Laden an der Wabernstrasse im Sandrain, im BLS-Bahnhof Weissenbühl, in den Denner-Filialen Seftigenstrasse, Brunnmattstrasse und Europaplatz sowie im VOI-Laden im Fischermätteli. Viel postalisches Wissen darf man allerdings vom Agentur-Personal nicht erwarten. Die Post verabreicht diesen Leuten lediglich eine Schnellbleiche in Form eines eintägigen Kurses. Kein Wunder, stösst man da bereits mit der Frage nach den Portokosten für ein Auslands-Paket an Grenzen. Und viele Agenturen werden durch die schlecht vergüteten Paketretouren von Zalando und Co. an den Rand ihrer Kapazitäten gebracht, wie der «Bund» am 14. 10. 2019 recherchierte.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich das Geschäft mit Postdienstleistungen mit der Digitalisierung drastisch gewandelt hat und die Post unter Zugszwang steht. E-Mail, WhatsApp und Konsorten haben einen Grossteil der Briefsendungen verdrängt und immer mehr Menschen erledigen den Zahlungsverkehr online. Lediglich die Paketsendungen haben mit dem Onlinehandel zugenommen. In diesem Geschäft steht die Post allerdings in Konkurrenz zu anderen Anbietern wie UPS, Fedex, DHL und DPD.
60% der Poststellen geschlossen
Dramatisch präsentiert sich die Lage für das Poststellenpersonal. Laut Auskunft von Markus Müller, ehemaliger Leiter der Sulgenbach-Post und Vorstandsmitglied der Syndicom-Sektion Bern Postpersonal, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten schweizweit über 60 % der Poststellen geschlossen. Und dieser Abbauprozess ist immer noch im Gang. Damit befindet sich die Post auf dem von ihr gesteckten Zielkurs von zwischen 700 bis 800 Poststellen, welche sie noch selbst betreiben würde.
Eine Berufsgattung wird aufgehoben
Nun wird im Lauf des Jahres 2020 auch noch die Berufsgattung des Poststellenleiters resp. der Poststellenleiterin aufgehoben. Sie wird durch die Position der Teamleiterinnen oder Teamleiter ersetzt. Diese sind neu für ca. vier Poststellen statt nur für eine zuständig. Man rechne: drei von vier der heutigen Poststellenleiterinnen und -leiter werden in Zukunft überflüssig. Da diese Personen nicht mehr nach den Regelungen des Gesamtarbeitsvertrag Post angestellt sind, kann dies – auch nach teilweise 40 und mehr Jahren bei der Post – die Kündigung bedeuten. Gegenwärtig läuft das an eine Lotterie gemahnende Bewerbungsverfahren, an dem sich wohl die meisten Stelleninhaberinnen und -inhaber beteiligen, sofern sie nicht vor der unmittelbaren Pensionierung stehen. Kein Wunder, dass derzeit in vielen Poststellen keine vorweihnachtliche Hochstimmung aufkommen will.
Bereits gewählt sind die Regionenleiter und die Poststellengebietsleiter. Gegenwärtig findet das Wahlverfahren für deren Stellvertreter statt. Sieben Postregionen gibt es in der Schweiz. Diese sind wiederum in mehrere Poststellengebiete aufgeteilt. Die Region Bern Mittelland in deren acht.
Das Schalterpersonal muss sich nicht bewerben. Es ist aber absehbar, dass es in Zukunft mit wesentlich flexibleren Einsätzen bezüglich Arbeitsort zu rechnen hat. Für die Kundinnen und Kunden bedeutet die Reorganisation, dass sie die ihnen namentlich bekannten Ansprechpersonen in den Poststellen weitgehend verlieren werden und die Post anonymer wird. Damit wird der allseits geschätzte Service Public der Post ausgehöhlt.
Keinen grossen Einfluss haben die Poststellenschliessungen auf das Zustellpersonal. Die Feinverteilung der Briefpost für die südlichen Gebiete der Stadt Bern und umliegende Gemeinden erfolgt eh seit rund 10 Jahren von Bümpliz aus, wo die Post dafür das ehemalige Ascom-Industriegebäude Bodenweid nutzt. Die Paketverteilung für das restliche Bern und die weitere Umgebung wird von Ostermundigen aus organisiert. Doch auch die Brief-Zustellerinnen und Zusteller der Post sind bedrängt durch Konkurrenz. Zahlreiche Verteilfirmen absolvieren mehr oder weniger dieselben Touren: Presto (Frühzustellung von Tages- und Sonntagszeitungen), die Zusteller des «Anzeigers für die Region Bern», DMC, Quickmail etc., Firmen, die im Tieflohnsektor (Mindestlohn Fr. 18.27/h) operieren und oft auch Rentnerinnen und Rentner beschäftigen.
Quelle: Quartiermagazin Stadtteil 3, Nummer 206. Die Ausgabe erscheint heute Dienstag 19. November