Politik - Meinung

Personalreglement: Privilegien für wenige?

von Willi Egloff 7. Juni 2023

Die Stadt Bern beschäftigt rund 4’300 Personen. Ihre Arbeitsbedingungen sollen durch eine Teilrevision des Personalreglements vereinheitlicht und punktuell auch verbessert werden. Dagegen gibt es Widerstand von bürgerlichen Parteien und Unternehmerverbänden.

Von Mehrkosten im Personalbereich von «deutlich mehr als 10 Millionen Franken» hatte das Referendumskomitee während seiner Unterschriftensammlung noch gesprochen. Die Zahl war wohl frei erfunden und offensichtlich falsch. In der laufenden Abstimmungskampagne findet sie sich nämlich nicht mehr. Jetzt geht es den Gegenrinnen und Gegnern der Vorlage darum, angebliche «Privilegien für wenige» zu bekämpfen.

Ist es ein Privileg, wenn die Löhne am Ende des Jahres so an die Teuerung angepasst werden, dass die Beschäftigten mit dem neuen Lohn wieder gleich viel einkaufen können wie zu Beginn des vergangenen Jahres?

Diese neue Stossrichtung überrascht. Denn ein Grundanliegen der Revision ist es, die Anstellungsbedingungen der Stadt Bern zu vereinheitlichen. Es soll im Regelfall keine privatrechtlichen Arbeitsverträge mehr geben, sondern eine einheitliche öffentlich-rechtliche Anstellung. Es soll auch keine Kettenarbeitsverträge mehr geben, sondern in der Regel nur unbefristete Anstellungen. Privilegierungen werden also zumindest hinsichtlich des Anstellungsverhältnisses nicht geschaffen, sondern beseitigt.

Wahrscheinlich meint das Referendumskomitee gar nicht diese formellen Unterschiede, sondern es findet einfach die Anstellungsbedingungen der Stadt insgesamt zu günstig. Was aber hat das mit Privilegien zu tun? Sind denn schlechte Arbeitsbedingungen die Norm, und jede Besserstellung ist ein Privileg? Ist es ein Privileg, wenn die Löhne am Ende des Jahres so an die Teuerung angepasst werden, dass die Beschäftigten mit dem neuen Lohn wieder gleich viel einkaufen können wie zu Beginn des vergangenen Jahres? Und sind 4’300 Personen wirklich «wenige»?

Städtische Arbeitsbedingungen als Messlatte

Die Kampagne der Gegnerinnen und Gegner segelt daher unter einer falschen Flagge. Es geht nicht um Privilegien, sondern es geht darum, dass nach Meinung des Referendumskomitees die vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen der Stadt Bern  im Vergleich zu den Arbeitsbedingungen in privaten Unternehmen als vorteilhaft beurteilt werden. Das müssen sie auch sein, wenn die Stadt in der Lage sein soll, qualifiziertes Personal zu finden. Denn natürlich bewerben sich Stellensuchende zunächst einmal dort, wo die Arbeitsbedingungen am besten sind. Das heisst im Wirtschaftsdeutsch «Arbeitsmarkt».

Denn natürlich sind diese städtischen Arbeitsbedingungen auch eine Vergleichsgrösse, die auf die Arbeitsbedingungen bei privaten Unternehmen zurückwirkt.

Es ist denn auch nicht erstaunlich, dass die Abstimmungskampagne gegen das Personalreglement vor allem von den Unternehmerverbänden getragen wird. «Handels- und Industrieverein Bern», der Verband «Berner Arbeitgeber» und «KMU Stadt Bern» haben zusammen 36’000 Franken bereitgestellt, um diese Revision des Personalreglements zu verhindern. Sie wollen damit die Stellung der Stadt, also einer ihrer Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt, möglichst verschlechtern.

Daran kann eigentlich ausser diesen privaten Arbeitgeber:innen niemand ein Interesse haben. Denn natürlich sind diese städtischen Arbeitsbedingungen auch eine Vergleichsgrösse, die auf die Arbeitsbedingungen bei privaten Unternehmen zurückwirkt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben daher nichts davon, wenn es den Kolleginnen und Kollegen bei der Stadt möglichst schlecht geht. Sie müssen vielmehr in ihrem eigenen Interesse dafür sorgen, dass es diesen möglichst gut geht. Indirekt profitieren sie davon nämlich mit.

Flexibilisierung der Arbeitsdauer

Das gilt nicht zuletzt für die inhaltlichen Neuerungen, die das neue Personalreglement mit sich bringt. So soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden, indem ein vorgeburtlicher Urlaub von drei Wochen für die Mutter und ein Vaterschaftsurlaub von acht Wochen eingeführt werden. Ausserdem soll es einen Anspruch auf sechs Wochen bezahlte Elternzeit geben, die innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Geburt eines Kindes bezogen werden können.

Diese Neuerungen sollen dazu beitragen, den Beschäftigten, die Eltern werden, etwas mehr Zeit zu geben, um sich auf die neuen familiären Belastungen einzustellen. Wenn das so attraktiv ist, wie das Referendumskomitee es behauptet, so wäre es in einer Zeit des Arbeitskräftemangels nur naheliegend, wenn diese Neuerungen auch von privaten Arbeitgeber:innen übernommen würden.

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Daneben werden durch die Revision des Personalreglements auch bestimmte Sonderregelungen entschärft. So wird die sture Altersguillotine bei 63 Jahren abgeschafft; wer will und gesundheitlich dazu in der Lage ist, kann bis 65 weiterarbeiten. Weiter kann niemand mehr gegen seinen Willen mit 58 Jahren frühpensioniert werden; dafür ist in Zukunft das Einverständnis der Betroffenen notwendig. Beides macht offenkundig Sinn und kann zu einer Entschärfung des Fachkräftemangels beitragen.

Schwache Gegenargumente

Nüchtern betrachtet, steht die Kampagne der Gegnerinnen und Gegner auf sehr schwachen Füssen. Sie will uns weismachen, dass die Beschäftigten der Stadt Bern gegenüber dem Rest der Bevölkerung «privilegiert» seien und dass das zu Lasten der ganzen Bevölkerung gehe. Das ist ein ziemlich billiges und auch unzutreffendes Argument.

Es mag sein, dass die Arbeitsbedingungen bei der Stadt im Vergleich zu denjenigen von privater Unternehmen vorteilhaft sind. Schon im Vergleich zu den Beschäftigten bei Bund und Kanton ist es aber nicht der Fall. Gute Arbeitsbedingungen der städtischen Verwaltung liegen zudem im Interesse der ganzen Bevölkerung: Weil wir für eine qualifizierte städtische Verwaltung auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen sind und weil damit auch die Arbeitsbedingungen in privaten Betrieben positiv beeinflusst werden.