Wegen des Bauprojekts hatte man in den Familiengärten im Holligen-Quartier Rot anstatt Grün gesehen. Auf dem Areal Mutachstrasse, das stadtauswärts rechts von der Schlossstrasse liegt, sollen 110 Wohnungen entstehen. Zudem ist zwischen dieser Überbauung und der Schlossstrasse ein Stadtpark geplant. Auch sieht die «Planung Holligen» in einer zweiten Etappe die Integration der Familiengärten im Areal Schlossgut links der Schlossstrasse in eine weitere Parkanlage westlich des Schlosses Holligen vor.
Aufschub durch Einsprachen
Dass sie «ihr» zum Teil während Jahrzehnten gehegtes und gepflegtes Reich aufgeben sollten, konnten viele der PächterInnen von Familiengärten nicht akzeptieren. Die Folge waren diverse Einsprachen gegen den Zonenplan sowie gegen die im März 2011 vom Stadtrat beschlossene Überbauungsordnung. Dem Widerstand gehörten nebst Gärtnerinnen und Gärtnern insbesondere auch zwei Familiengärtner-Organisationen sowie Vorsorgestiftungen und politische Parteien aus dem linken Lager an.
Die Einsprachen bescherten den 117 Familiengärten des Areals Mutachstrasse eine Gnadenfrist.
Martin Mäder
«Wir haben Kenntnis von acht Pächterinnen und Pächter des Areals Mutachstrasse, die eine Einsprache machten», erklärt Walter Glauser. Er leitet bei Stadtgrün Bern den Bereich Friedhöfe und Familiengärten und ist auf städtischer Seite erster Ansprechpartner im Zusammenhang mit den durch die Stadt in 26 Arealen verpachteten 2000 Familiengärten.
Die durch die Opposition entstandene Rechtsunsicherheit bescherte den 117 Familiengarten-Parzellen des Areals Mutachstrasse eine Gnadenfrist und auch den 184 Pächterinnen und Pächtern im Schlossgut Areal kam der Aufschub nicht ungelegen.
2017 soll gebaut werden
Nachdem im Sommer diese Einsprachen gerichtlich erledigt und nicht mehr weitergezogen wurden, ist nun der weitere Fahrplan für das Projekt bekannt. «Im Anschluss an die Volksabstimmung wurde stadtintern die Entwicklungsarbeit für die ‘Planung Holligen’ weiter vorangetrieben», erklärt Thomas Widmer. Der bei Immobilien Stadt Bern zuständige Portfoliomanager führt aus, dass man zudem für das weitere Vorgehen eine Arealstrategie festgelegt habe. Laut Widmer gehen die Stadtbehörden davon aus, dass «ohne weitere Verzögerungen der künftige Bauträger 2017 mit der Realisation der Bauten starten kann».
Bis aber effektiv die Bagger auffahren können, ist noch viel zu tun.
Martin Mäder
Bis aber effektiv die Bagger auffahren können, ist noch viel zu tun. So müssen gemäss Walter Glauser «bei der Abgabe des Areals alle Einrichtungen wie Gartenhäuser, Gewächshäuser, Wege, Garteneinteilungen, Wasserleitungen und Brunnen abgeräumt sein».
Dabei werden die GärtnerInnen von der Stadt Bern nicht alleine gelassen. Walter Glauser: «Im Areal Mutachstrasse übernimmt die Stadt die Kosten für den Rückbau der Häuser, doch persönliches mobiles Material wie Einrichtungen und Werkzeuge müssen von den Pächterinnen und Pächtern auf eigene Kosten entsorgt werden.»
Die Stadt informierte laufend
«Wir hatten an einer Infoveranstaltung vom 10. September 2012 im Kirchlichen Zentrum Steigerhubel den anwesenden Pächterinnen und Pächtern als Termin für die Räumung der Parzellen an der Mutachstrasse Ende 2014 oder Anfang 2015 mitgeteilt», erinnert sich Walter Glauser von Stadtgrün Bern. Als Baubeginn für die neue Siedlung sei damals noch 2015 oder 2016 definiert gewesen.
Weil man wegen den Einsprachen beim Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons die notwendigen Fristen habe abwarten müssen, sei eine für Herbst 2013 geplante zweite Infoveranstaltung, an der man das genaue Räumungsdatum habe bekanntgeben wollen, verschoben worden. Nachdem nun diesen Sommer die Einsprachen am Verwaltungsgericht nicht weitergezogen wurden, konnte am 6. August 2014 über den definitiven Zeitpunkt informiert werden.
«Zu dieser Orientierung waren von aktuell an der Mutachstrasse noch rund 60 aktiven Pächtern deren 30 erschienen», sagt Glauser. Man habe mitgeteilt, dass mit dem Rückbau der Parzellen im Herbst 2016 begonnen werden müsse.
Mit dem Garten eng verbunden
Ob Dusanka Matic ihre Parzelle 129 im Areal Mutachstrasse effektiv so lange behalten wird, weiss sie heute noch nicht. Obwohl um sie herum einige der Pächter das Handtuch geworfen haben – um entweder mit dem Gärtnern zum Beispiel aus Altersgründen aufzuhören oder weil man in eine von der Stadt angebotene Ersatzparzelle umgezogen ist – kümmert die Kroatin wenig.
«Meine drei Kinder wuchsen praktisch hier auf und der Platz verbindet mein Leben und mein Hobby.»
Dusanka Matic, Familiengärtnerin
«Ich habe meinen Platz seit 1993 und fühle mich hier wie Zuhause. Meine drei Kinder wuchsen praktisch hier auf und der Platz verbindet mein Leben und mein Hobby.» Wenn sie zum Beispiel über die Strasse in das Areal Schlossgut wechseln würde, sei dies einfach nicht das gleiche, sagt Dusanka Matic.
Diese Skepsis ist verständlich, denn Matic hat zum Platz «eine tiefe Beziehung». Sie kenne diese Erde und wisse genau, was sie hergebe. «An einem andern Ort müsste ich wieder lernen, was wächst, und was nicht.» Dabei sei ihr bewusst, dass an ihrem eher schattigen Platz nicht alles gedeihe, zum Beispiel Tomaten und Peperoni, doch ihr sei das egal. Sie fokussiert sich auf Bohnen, Gurken, Zwiebeln, Kartoffeln und Zucchetti. Der ganze Stolz seien sonst die Sonnenblumen, doch der schlechte Sommer habe diesen nicht gut getan.
Aufhören oder umziehen?
Zwei Gärtner, die zu ihrer jahrelang fleissig bestellten Erde eine ähnlich enge Beziehung aufbauten, sind Rudolf Meister und Gottfried Künzi. Die beiden seit fast fünfzig Jahren im Quartier wohnhaften Rentner waren deshalb auch erbitterte Gegner der «Planung Holligen». «Es ist schade, dass dieses Idyll einem Bauprojekt geopfert werden soll», bedauert Rudolf Meister.
«Wir konnten sogar einmal den Bau eines Gefängnisses verhindern.»
Gottfried Künzi, Familiengärtner
Gottfried Künzi fügt hinzu, dass man vor der verlorenen Abstimmung schon einige Male habe Vorlagen zur Überbauung des Areals Mutachstrasse erfolgreich bekämpfen können. «Wir konnten sogar einmal den Bau eines Gefängnisses verhindern», meint Künzi stolz. Doch als dann 2012 über das aktuelle Projekt informiert wurde, habe er die Gelegenheit genutzt und aus gesundheitlichen Gründen seine Parzelle abgegeben.
Meisters haben ihren Familiengarten zu einem schmucken und beschaulichen Refugium gestaltet. Sie sind stolze Besitzer eines wohnlichen Häuschens mit Küche und gemütlicher Essecke. Dort wird noch heute mancher Jass geklopft. Doch sie sind sich bewusst, dass ihr Paradies nun ein Ablaufdatum hat und haben vorgesorgt. Rudolf Meister: «Wir haben uns schon vor zwei Jahren im Schlossgut-Areal eine Parzelle gesichert. Weil wir uns aber dort jetzt noch weniger aufhalten, pflanzten wir im Schlossgut bislang nur Blumen, während wir an der Mutachstrasse noch Gemüse ernten können.»
Stadtteilpark bringt neue Ungewissheit
Zwar ist Rudolf Meister froh darüber, dass sie gleich über die Strasse im Schlossgut einen neuen Garten ergattern konnten, doch dessen Zukunft ist alles andere als in Stein gemeisselt. Walter Glauser von Stadtgrün Bern erklärt: «Wie die in der ‘Planung Holligen’ vorgesehene Parkanlage Schlossgut dereinst aussehen wird, und wann sie erstellt wird, ist heute noch nicht klar. Sicher wird aber ein grosser Teil der bestehenden Familiengärten in die neue Parkanlage integriert werden.» Bis dahin könnten alle Pächterinnen und Pächter auf diesem Areal bleiben. Es gibt also nun auch für das Schlossgut eine Art Gnadenfrist.
«Wie die in der ‘Planung Holligen’ vorgesehene Parkanlage Schlossgut dereinst aussehen wird, ist heute noch nicht klar.»
Walter Glauser, Stadtgrün
Davon betroffen ist ebenfalls Milan Zürcher. Auch der aus Serbien stammende 42-Jährige war vor vier Jahren von der Mutachstrasse ins Schlossgut umgezogen. «Ich fände es wegen den vielen Kindern im Quartier sehr schade, dass wegen eines Parks dieses so vielfältige Familiengarten-Areal mit all den Möglichkeiten zu Spielen verschwinden könnte», sagt der Familienvater.
Man wisse, dass die Mutach-Pächter Priorität auf der Suche nach neuen Plätzen hätten, doch das Areal Schlossgut sei voll und jährlich würden vielleicht nur rund ein halbes Dutzend Parzellen frei. «Es gibt hier nicht genug Gärten, dass jetzt alle herüber wechseln können. Und wir wissen ja auch nicht, was mit uns geschieht.»