ONO – Kunst in Breite und Vielfalt

von Christoph Reichenau 2. Februar 2024

Kulturlokal Ein kleiner Ort, in dem Kunst aller Sparten in vielen Aspekten hautnah erlebbar ist, wird 20 Jahre alt. Daniel Kölliker hat ihn 2003 übernommen und aus dem damaligen Kleintheater Kramgasse 6 das ONO gemacht. Im Gegensatz zur Tendenz der Spezialisierung pflegt er die Breite und Vielfalt und will dies auch weiterhin tun.

ONO, das Kulturlokal. So steht es seit 20 Jahren über dem Eingang zum Keller an der Kramgasse 6 in der Century Gothic-Schrift. ONO, ein Name ohne tiefere Bedeutung, und gerade deswegen passend für das breite Programm des schönen Kellers, in den eine steile, schmale Treppe hinunterführt. Und doch schwingt auch ein Hauch von Yoko Ono mit, der japanischen Künstlerin und Filmemacherin, Partnerin von John Lennon, der Daniel Kölliker einmal im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich und einmal in New York begegnet ist.

Daniel Kölliker steht am Ursprung von ONO. Er kommt 2002/2003 ins Spiel. Damals hat Thomas Nyffeler nach 50 Jahren das im Ein-Personen-Betrieb geführte Kleintheater Kramgasse 6 einem Verein übergeben, der es seitdem trägt. Kölliker war 40, hatte Erfahrung als Theatermacher, drehte Filme und glaubte, sein Metier gefunden zu haben. An allen Aspekten der Künste interessiert, sah er im Film eine Sparte, in der das Wort, das Bild, der Ton, die Bewegung und die Dramatik sich vereinen. Diese Verbindung wollte Kölliker im neuen Lokal zum Leben erwecken, halbtags, neben dem Filmen.

Der Umbau

Das erwies sich als unmöglich. Kölliker und seine Ex-Partnerin wurden Eltern zweier Kinder und da beide sich in deren Betreuung teilten, reichte es nur für einen Beruf: das Kulturlokal. Der Keller konnte dank Beiträgen der Stadt, des kantonalen Lotteriefonds, der Burgergemeinde Bern von dem im gleichen Haus ansässigen Architekturbüro Graf umgebaut werden. Der Eigentümer kam auf für Wasseranschluss, Lüftung und alles, was es in jedem Gewerbe braucht, der neue Verein finanzierte die kulturspezifische Einrichtung.

An Sylvester 2003 eröffnete ONO mit einem 8-stündigen Marathon durch alle Kultursparten. Es gab Jazz- und klassische Konzerte, wichtig waren Lesungen, ab und zu Theateraufführungen und Ausstellungen bildender Kunst. Ein Ort für viele künstlerische Sparten, für manche Richtungen und Stile. Klein in den Räumen, weit im Geist.
200‘000 Besuchende

Foto: David Fürst

Wiederum an Sylvester 2023 wurden 20 Jahre gefeiert. Mit etwa 200 Veranstaltungen pro Jahr kam es in dieser Zeit zu 4‘000 Kulturanlässen. Bei 80 Plätzen sitzend bzw. 100 Plätzen stehend und einer durchschnittlichen Auslastung von 50 Besuchenden pro Anlass waren wohl 200‘000 Menschen im Kulturlokal. Einige werden hier an Kunst in einer bestimmten Schattierung oder Nuance gepackt worden sein. An anderen Abenden und tagsüber kann der Keller privat gemietet werden. Daniel Kölliker kann mit seiner Familie vom Ertrag leben, da er zudem Einnahmen aus der Vermietung einer Liegenschaft hat.

«Das ONO» ist indes nicht Kölliker allein. Er gestaltet zwar weitgehend in Eigenregie das künstlerische Programm, wobei ab und zu Fachpersonen einzelner Sparten – etwa klassischer Musik oder Psychologie – Kuratierungen übernehmen. Den abendlichen Betrieb allerdings verantworten gegen 30 Personen in Teilzeit und gegen Bezahlung. Alle machen Dasselbe; sie verkaufen Tickets, sie stehen hinter der Bar, sie sorgen für Licht und Ton, es sind Allrounder*innen. Viele davon studieren. Alle sind eingeladen, vom ersten Tag an ihre Beobachtungen einzubringen, damit Verkrustungen gelöst, Betriebsblindheit kuriert werden können.

Köllikers Schreiben

Von den 20 ONO-Jahren waren zwei durch Corona geprägt. Das Kulturlokal sei gut durch die Lockdowns gekommen, findet Daniel Kölliker. Die Finanzhilfen des Bundesamts für Kultur mit ihrer Wertschätzung für die Kultur hätten geholfen, auch die Entschädigung der Kurzarbeit. Dazu hätten Gutscheine für spätere Anlässe unmittelbar Geld in die Kasse gebracht, aber auch Gönner*innen-Beiträge ohne Gegenleistungen. Da habe wohl ein jahrelanger freundlicher Umgang mit den Menschen gefruchtet. Er habe das Gefühl gehabt, «ernten» zu können, mutmasst Kölliker, der indes das Wort sofort hinterfragt: «Ernten» könne er im Grunde jederzeit, seine Arbeit empfinde er stets schon als Ernte.

Dem Winzling ONO, niemandes Konkurrenz, helfe man gern.

Daniel Kölliker ist ein sprachsensibler Mensch. Er hinterfragt seine Ausdrucksweise andauernd. Während der Corona-Zeit begann er, vermehrt zu schreiben. Mit Newsletters und auf der Website sei es wichtig gewesen, die Beziehung zu den Menschen aufrecht zu erhalten. Da habe er ab und zu auch mehr von sich selbst preisgegeben und in kleine Geschichten verpackt, kurlig und lustig aus dem Alltag berichtet. Das Schreiben pflegte er vor der ONO-Zeit als Autor von Drehbüchern und schon als Teenager, indem er viele Briefe verfasste. Mittlerweile habe er die Ansprüche an sich gesteigert und gerate deswegen ab und zu in die Nähe einer Schreibblockade. Um nicht alles auf sich zu nehmen überlege er sich, Autor*innen zu fragen für gelegentliche Texte im Newsletter.

Es geht weiter

Sylvester 2023 war ein Höhepunkt im ONO, doch kein Schlusspunkt. Kölliker macht weiter. Mit 61 Jahren mag er nicht aufhören, kann sich aber vorstellen, mehr Arbeiten zu delegieren. Anderseits empfindet er die Arbeit im ONO als Privileg; eine Work-Life-Balance sei kein Thema, er trenne nicht zwischen Arbeit und Freizeit. An enge Finanzverhältnisse sei er gewöhnt, er ernte genügend nicht-monetäre Entschädigung.

Foto: David Fürst

Das Verhältnis von Kulturmachen und Kulturförderung in Bern erlebe er – so sagt er wirklich – als phantastisch. Die Menschen der Abteilung Kultur-Stadt-Bern seien wahre Ansprechpersonen.
Gut und unkompliziert seien auch die Beziehungen zu anderen Kulturinstitutionen. Funktioniere das Lichtpult nicht oder sei die Investition in neues LED-Licht zu evaluieren, komme über Mittag jemand von Bühnen Bern vorbei und wisse kollegial Rat. Dem Winzling ONO, niemandes Konkurrenz, helfe man gern. Und oft gelte halt auch bei Anfragen «c’est le ton qui fait la musique».

Das Normale

Ob es aus seiner Sicht ein Wiederaufflammen der Kellerkultur in der Berner Altstadt gebe? Daniel Kölliker sieht Kontinuität: das Kellerkino, das Narrenpack-Theater, den Kunstkeller (heute da Mihi), die Galerie Art+Vision. Und er erlebte das Aus des Katakömbli, von Sous-Sol, aber auch die neue Vision Lunaire. Es sei ein Kommen und Gehen. Das gelte auch für Künstler*innen: Einzelne im ONO gross Gewordene kämen auch noch später, andere bleiben weg, wenn sie das Bierhübeli füllen könnten. Das sei normal.

Seit Sylvester 2003 betreibt Daniel Kölliker das ONO (Foto: David Fürst)

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