«One-Night-Stand» in leerer Wohnung

von Jessica Allemann 26. Oktober 2012

Junge Berner Künstlerinnen und Künstler besetzen leer stehende Wohnungen – für einen Abend zwischen Aus- und Einzug als temporäre Ausstellungsräume.

«Künstlerinnen und Künstler sollten sich viel mehr selber organisieren», sagt die Künstlerin Manuela Maurer. Zusammen mit der Künstlerkollegin Eva Maria Gisler hat sie deshalb das Projekt «Leavingroom» ins Leben gerufen. Leer stehende Wohnungen werden zwischen Aus- und Einzug als temporären Ausstellungsraum genutzt, in dem junge Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten präsentieren können. Denn die Gelegenheiten, die eigenen Arbeiten auszustellen, seien gerade für junge Kunstschaffende sehr rar, sagt Maurer.

Estrich statt Galerie

Ihren Anfang nahm die Idee mit der Zwischennutzung der eigenen Wohnungen, aus denen sie früher ausgezogen sind und ihre Künstlerkolleginnen und -kollegen eingeladen haben, in den leeren Wohnungen ihre Werke auszustellen. Das Projekt ist von Ausgabe zu Ausgabe grösser geworden. Für Maurer ist es gerade interessant, in einem lebendigen Raum auszustellen anstatt in nüchtern weiss getünchten Galerieräumen. «Jede Wohnung steht in einem Quartier, an einem eigenen Ort. Wenn man durchs Treppenhaus geht, trifft man Anwohner und in den Wohnungen spürt man das Leben, selbst wenn keine Möbel mehr drin stehen», erklärt sie den Reiz leer stehender Wohnungen. Es gibt einen Estrich und eine Wohnzone, vielleicht auch einen Balkon zum Gestalten. «Man beginnt umzudenken, wenn man eine Arbeit auf ein Badezimmer konzipiert, oder wenn man auf orangefarbene Wände trifft.» Indem man auf diese Bedingungen eingehe, entstünden ganz besondere Werke. Manche passen ihre Arbeit auf eine bestimmte Ecke der Wohnung an. So gab es beispielsweise auch schon eine speziell für den Spiegelschrank des Badezimmers gestaltete Arbeit. Andere bringen ihre bereits fertigen Werke mit, die den Raum beleben – und umgekehrt.

«Wir wollen es unkompliziert»

Die beiden Initiantinnen Maurer und Gisler sehen sich dabei nicht als Kuratorinnen der Ausstellungen. Sie stellen die Rahmenbedingungen her und laden Künstlerinnen und Künstler ein. Die Ausstellungen entstehen gemeinsam. Zwei bis drei Wochen vor jeder Ausstellung findet eine Wohnungsbesichtigung statt, bei der sich die Kunstschaffenden ein Bild der Räume machen können. Am Abend vor der Ausstellung werde alles in gemeinsamer Arbeit aufgebaut, abgebaut in der Regel noch am Abend der Ausstellung, «es ist ein One-Night-Stand». Die bisherigen Wohnungen seien bis jetzt immer Künstlerwohnungen gewesen. Sie suchen die leeren Wohnungen nicht aktiv. «Wir warten, bis die Leute auf uns zukommen», sagt Maurer. Es liege schliesslich immer bei den Mietenden, ob sie sich den Stress machen wollten, früher aus- und anderswo einzuziehen und die Verantwortung gegenüber dem Vermieter zu tragen.

«On-Szene», «Off-Szene» und «Off-off-Szene»

Die Nutzung von Privatraum für Kunstprojekte ist keine Neuheit. Bereits 2004 beschrieb Daniel Walser, Architekt und Forscher im Spannungsfeld von Architektur und Kunst, das «neuartige Phänomen», das «Un-Private Home» als Ort der Kunstvermittlung zu nutzen.  In Abgrenzung zur «On-Szene», den grossen öffentlichen, gesellschaftlich anerkannt und staatlich unterstützten Museen und Kunsthäusern, identifizierte Walser die «Off-Szene», die in experimentellen, alternativen wie «unabhängigen» Kunstorten beheimatet ist und nationalen und internationalen Kunstschaffenden offensteht. Die «neuartige und unabhängige Gruppe von experimentellen Projekt- und Ausstellungsräumen, die im Un-privaten operieren», fallen schliesslich in die Kategorie des «Un-Private Home». In diesen sogenannten «Off-off-Spaces» würden «sowohl junge wie auch experimentellere und ungewöhnliche Positionen» präsentiert, und zwar «parallel zum etablierten Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt, öffentlich in einem privaten Umfeld».

Selber aktiv werden statt warten

Zurück nach Bern: Wo die Wohnungen knapp bemessen, sind auch die Ausstellungsmöglichkeiten rar, und das Potential leer stehender Wohnungen als Zwischennutzungsort für Kunstprojekte wohl noch nicht ausgeschöpft. «Kunst sollte aber in die Öffentlichkeit getragen werden», findet Maurer. Wenn sich dazu keine Gelegenheiten ergeben, müsse man halt selber dafür sorgen, dass «die Werke nicht im Atelier bleiben». Und wenn andere Künstlerinnen und Künstler es ihnen gleich tun würden, wäre das sehr wünschenswert: «Wir erheben keinen Urheberrechtsanspruch auf die Idee», fügt sie an. «Wenn es andere Ausstellungen in dieser Art geben würde, würde ich auf jeden Fall hingehen.»

Am kommenden Samstag findet an der Bonstettenstrasse 6 die vierte Leavingroom-Ausstellung mit Werken von Sereina Steinemann, Joel von Burg und Lea Hofer, Judith Leupi, Esther Leupi, Meret Wüest, Manuela Maurer und Karin Lehmann sowie mit einer Performance von Karin Lustenberger statt.