Der Aus- und Umbau des Bahnhofs Bern ist keine Baustelle wie jede andere. Es ist vielmehr ein sehr kompliziertes Unterfangen, bei dem das Gros der Arbeiten im städtischen Untergrund, unter teilweise extrem engen Platzverhältnissen und bei laufendem Bahnbetrieb vonstatten geht. Am Ende wird der heute zu kleine RBS-Bahnhof an seinen neuen Standort unterhalb der SBB-Gleise verlegt sein; die SBB werden zwischen diesen beiden Gleisebenen eine neue Unterführung mit Ausgängen zur Länggasse und zum Bubenbergplatz gebaut haben. Die Stadt Bern wird ihrerseits diese Unterführung zum Hirschengraben verlängern, wo ein neuer Aufgang gebaut wird, und sie wird das Verkehrsregime rund um den Bahnhof an die neuen Gegebenheiten anpassen.
Es wird 2029
Mitte Februar warteten die beiden Hauptbauherren, der Regionalverkehr Bern–Solothurn RBS und die SBB an einer Medieninformation mit einer schlechten Nachricht auf. Vor allem wegen unerwarteter Probleme beim Zugangsstollen von der Laupenstrasse zum Bereich des neuen Untergrundbahnhofs rechnet der RBS mit einer weiteren Verzögerung um anderthalb Jahre. Anstatt Ende 2027 wird der Bahnhof nun wahrscheinlich erst Mitte 2029 in Betrieb gehen. Dadurch steigen auch die Kosten deutlich an. Sie werden nach heutigem Kenntnisstand auf 730 Millionen statt auf 614 Millionen Franken zu stehen kommen. Die Mehrkosten werden von Bund und Kanton übernommen. Nach dem ersten Fahrplan hätte das Projekt mit dem Namen «Zukunft Bahnhof Bern» sogar schon 2025 abgeschlossen sein sollen.
Der Rückstand wirkt sich auch auf den Bau der SBB-Unterführung aus, für die im Untergrund eine bis zu 100 Meter breite Grube ausgehoben wird. Sie ist von der Länggasse her inzwischen auf einer Länge von 100 Metern gegraben, bis unter das Gleis 9, kann nun aber nicht fortgesetzt werden, bis die darunter liegende Kaverne für den RBS-Bahnhof abgestützt ist. Auch die SBB rechnen mit etwas höheren Kosten von 375 Millionen statt 360 Millionen Franken, was allerdings noch im Rahmen der Schätzung liegt (die mit Abweichungen von bis zu 10 Prozent rechnet).
Die verschiedenen Bauvorhaben, für die an vier Stellen in der Stadt Zugänge geschaffen worden sind, stehen in enger Abhängigkeit zueinander. In den ersten Jahren, von 2017 bis 2020, wurden in erster Linie diese Zugänge erstellt. Seither kann nun auch an den eigentlichen Bauwerken gearbeitet werden, die dann Bestand haben. Dazu werden die nötigen Hallen, Röhren und Kavernen gegraben und zum Rohbau ausgekleidet und abgestützt. Danach erfolgt ab 2026 der Einbau der Bahntechnik mit den Gleisen und Fahrleitungen.
Schwierigster Zugang
Der wohl anspruchsvollste Zugang ist jener an der Laupenstrasse. Gleich hinter den Häusern liegt der sehr knapp bemessene Installationsplatz mit einem 20 Meter tiefen, durch dicke Stahlstreben gesicherten Schacht, durch den das ganze Material, die Maschinen und die Arbeiter zur Baustelle gelangen und der Aushub über eine Förderanlage weggebracht wird. Es sind dies total 140 000 m3, was einer 20 Meter hohen Decke über einem Fussballfeld entspricht.
Beim daran anschliessenden Zugangsstollen traten die erwähnten Probleme auf. Es geht einerseits um eine zwar nicht sehr grosse ölgetränkte Schicht, für die aber ein Entsorgungskonzept nötig war und die gesondert entsorgt werden musste. Die Herkunft des Öls ist nach den Angaben des RBS-Gesamtprojektleiters Adrian Wildbolz unbekannt. Andererseits tauchten Findlinge auf, was zusätzliche Umtriebe verursachte. Ein Ausweichen war unmöglich. Der Stollen führt zunächst durch Lockergestein, also nicht durch festen Felsen. Um den Durchgang graben zu können, verfestigten es die Fachleute mit einem Gefrierverfahren, das präzise Bohrlöcher erforderte, in die die Gefrierleitungen eingebracht wurden. Der Stollen ist inzwischen erstellt, der Untergrund aufgetaut. Der Gang ist so eng, dass die Fahrzeuge kaum kreuzen können. Der Boden ist feucht und etwas matschig. An den Decken und Wänden hängen dicke Rohre für die Frischluft und Stromleitungen. Über einer Kreuzungsstelle ist in einer Nische die Figur der Heiligen Barbara zu sehen, der Schutzpatronin der Bergarbeiter.
200 Meter lange Kavernen
Der Stollen führt zu den beiden Kavernen, wie die Bauleute die künftigen Bahnhofhallen mit den vier Gleisen nennen. Sie sind wie eine Kirche gewölbt, werden 17 Meter hoch, 24 Meter breit und 200 Meter lang sein. Die Kavernen werden gegenwärtig in zehn Phasen von oben nach unten gegraben. Sie sollen bis 2024 fertiggestellt sein. Bis 50 Mineure und Baufachleute sind von Montag bis Freitag im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr an der Arbeit. Die Gewölbe werden mit Ankern, Drahtgittern und mehren Betonschichten gesichert, am Schluss wird die Wand
80 Zentimeter dick sein. Laut Adrian Wildbolz kommen diese Arbeiten gut und planmässig voran, ein Aufholen des Rückstands sei allerdings ausgeschlossen.
Die Kavernen sind gegen Westen etwa zehn Meter länger als eigentlich nötig. Dies ist für den Fall gedacht, dass die RBS-Linie später eine Fortsetzung Richtung Inselspital, Köniz oder sogar bis nach Schwarzenburg finden sollte. Das ist allerdings Zukunftsmusik. Die Kavernen liegen im Felsbereich, der aus Sandstein besteht. Um diesen abzutragen, kommen keine Sprengmittel zum Einsatz, sondern vielmehr grosse Bagger mit einer drehenden, mit Dornen besetzten Fräse, die das weiche Gestein präzise «abraffelt». Der grösste Teil des Sandes wird als Baumaterial wiederverwertet.
Da die Arbeiten unter dem Boden vonstatten gehen, merken die Passanten wenig vom Ausmass und vom Fortschritt des Werks. Immerhin sind auch die Zugpassagiere von Zeit zu Zeit betroffen, wenn die SBB einzelne Gleise ausser Betrieb nehmen und – meist am Wochenende – Züge ausfallen. Aber auch die Bahnhofhalle verändert das Gesicht. So sind einzelne Perrons verlängert und andere erhöht worden, damit ein ebenerdiger Einstieg möglich ist. Auf dem hintersten Perron ist bereits die Zugangstreppe zur Unterführung gebaut. Benutzbar ist sie natürlich noch nicht. Auch von den anderen Perrons aus wird die Passerelle über Treppen und Lifte direkt erreichbar sein. Auf den Einbau von Rolltreppen verzichten die SBB aus Platz- und Kapazitätsgründen, wie SBB-Gesamtprojektleiter Benno Nussberger begründet.
Öffnung nach Süden
Nach wie vor vorgesehen ist der Durchbruch der südlichen Perronhallenwand zum Burgerspital hin. Die Reisenden werden in Zukunft somit etwas mehr Tageslicht und einen Blick Richtung Stadt erhalten. Der Bahnhof Bern, der im Prinzip eine Art Tiefgarage für Züge ist, wird dann sicher freundlicher erscheinen. Zum Bauprogramm der SBB gehört der Neubau des Bubenbergzentrums 10–12, das die Ecke zur Schanzenstrasse bildet und in das der neue, wichtige Westzugang in den Hauptbahnhof integriert wird. Der Baustart ist bereits erfolgt, das Gebäude für Büros, Läden und Gastronomie wird Ende 2024 fertiggestellt sein.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Berner Landboten.