Ökologisches Kleinod mitten in der Stadt

von Willi Egloff 17. August 2023

Bern to be wild: Die Grünflächen auf beiden Seiten des Aargauerstaldens sind ökologisch besonders wertvoll: Sie sind sogar im Bundesinventar der Trockenwiesen und-weiden von nationaler Bedeutung (TWW) eingetragen.

Bekannt ist der Aargauerstalden nicht zuletzt als der saftige Schlussanstieg beim Grand-Prix von Bern. Dort zeigt sich, welche Läufer*innen ihre Kräfte gut eingeteilt haben. Wer gemütlicher unterwegs ist, sollte auch einmal etwas genauer nach oben oder unten schauen. Die beiden Grünflächen rechts und links der Strasse sind nämlich ein ökologisches Kleinod, das es in dieser Art und Qualität im ganzen Berner Mittelland nur einmal gibt.

Es handelt sich um Trockenwiesen, die eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten beherbergen. So gibt es dort beispielsweise nicht weniger als fünf Orchideenarten. An lauen Frühsommerabenden sind mit etwas Glück sogar Glühwürmchen beim Paarungstanz zu sehen. Die am Aargauerstalden lebenden Pflanzen haben sich genetisch den lokalen Gegebenheit angepasst und unterscheiden sich daher markant von der Flora auf Trockenwiesen an andern Orten.

Warum sich an dieser Stelle ein so wertvolles Naturobjekt entwickelte, ist nicht restlos geklärt. Wichtige Faktoren sind sicher die Exposition des Hanges nach Südwesten und sein starkes Gefälle, das zur Folge hat, dass Regenwasser immer sofort wieder abfliesst. Wolfgang Bischoff, der auf diesen Wiesen ein spezifisch regionales Saatgut gewinnt, sieht auch historische Gründe: Er vermutet, dass die Flächen einmal Allmenden waren, die von den Stadtbewohner*innen als Weiden für ihre Nutztiere genutzt und daher nie gedüngt wurden. Das würde erklären, warum der Untergrund relativ arm an Stickstoff ist.

Der Fortbestand dieses ökologischen Kleinods ist keine Selbstverständlichkeit. Die Wiesen brauchen ständige Pflege.

Sebastian Eggenberger von Stadtgrün Bern verweist darauf, dass die unter dem Aargauerstalden liegende Sandfluh lange Zeit als Steinbruch genutzt wurde. Ein erheblicher Teil des für den Münsterbau verwendeten Sandsteins stammt von hier. Später wurde das Gelände wieder aufgeschüttet. Auch danach wurde es wohl nie für eine intensive Landwirtschaft genutzt.

Der Fortbestand dieses ökologischen Kleinods ist keine Selbstverständlichkeit. Die Wiesen brauchen ständige Pflege. So entfernt etwa Stadtgrün Bern mit Hilfe von Zivildienstleistenden regelmässig invasive Pflanzen, die sich auf dem Areal eingenistet haben, wie etwa das Einjährige Berufskraut oder Robinien. Neu wird auch die Saat-Luzerne bekämpft, da sie den Boden mit Stickstoff anreichert, der in einer Magerwiese nicht erwünscht ist.

Saatgut vom Aargauerstalden unterstützt die Biodiversität

Die hohe ökologische Qualität der Trockenwiese wird von Wolfgang Bischoff zur Unterstützung der Biodiversität an andern Orten genutzt. Das ist zwar sehr aufwändig, weil wegen der Steilheit des Geländes fast nur von Hand gearbeitet werden kann. Das dadurch gewonnene Saatgut unterscheidet sich aber durch seine Vielfalt vom standardisierten Saatgut, wie es im privaten Gartenbau vielfach verwendet wird. Dies ermöglicht es, bei der Anlage von neuen Blumenwiesen die regionalen Besonderheiten zu reproduzieren und damit den regionalen Genpool zu stärken. Vor allem Institutionen der öffentlichen Hand und Naturschutz-Projekte machen davon regen Gebrauch.

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Dass sich zwischen Rosengarten und Untertorbrücke ein solch wertvolles Naturobjekt befindet, ist zwar unter Fachleuten bekannt, gehört aber trotzdem nicht zum Allgemeinwissen. Die Tatsache wäre aber durchaus Grund für ein bisschen Lokalstolz. Denn – abgesehen vom «Hoger» in Bremgarten – gibt es zur Zeit in weitem Umkreis keine anderen Objekte, die es in das Inventar der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung geschafft haben.