Nussknacker – «Hauptstadt»-Brief #253

von Jürg Steiner 5. Dezember 2023

Hauptstadt Dienstag, 5. Dezember 2023 – die Themen: Berner Kammerorchester; Lokalmedien; Journal B; Hauptsachen-Talk; Dählhölzli; Nadine Masshardt; Klimakonferenz; Grasburg; Welttag der Freiwilligen.

Am Sonntagabend sass ich oben auf der Galerie im Konzertsaal des Berner Casinos. Ich hörte wunderbare Musik, den «Nussknacker» von Pjotr Tschaikowsky. Das Berner Kammerorchester, verstärkt durch das Jugendsinfonieorchester des Konservatoriums, spielte sich in einen Rausch, die silbernen Haare von Dirigent Philippe Bach flogen wild wie in einem Wintersturm.

An mir zog die von Nik Hartmann witzig erzählte Geschichte von Klara und ihrem zum Leben erweckten Nussknacker vorüber. Dazwischen schmetterte das Orchester Tschaikowskys musikalische Einfälle, für die er nach der Uraufführung 1892 noch heftig kritisiert worden war.

Ich war ganz Ohr. Und doch konnte ich meine Augen nicht lösen von diesen zwei jungen Musikern ganz hinten im fast 90-köpfigen Orchester. Regungslos standen sie da, minutenlang, während vorne die Geigenbogen rasten. Dann, aus dem Nichts, eine elegante Bewegung. Ein einziger Schlag auf die Pauke. Plötzlich ein Zischen der Cymbals. Unvermittelt ein paar Töne auf dem Xylofon. Und ja, mit der Ratsche wurden sogar die knackenden Knochen von Klaras tanzendem Grossvaters hörbar.

Zwei Stunden dauerte das Konzert, die beiden Perkussionisten machten maximal ein paar Minuten Musik. In diese paar Augenblicke investierten sie alles. Ihr Können, ihre Präzision, ihre Spielfreude.

In so konzentrierter Form habe ich das noch selten gesehen. Und es ist das, was ich von den Musiker*innen als Inspiration für mich nach Hause in meinen Alltag genommen habe: Passion. Davon gibt es nie zu viel.

Es werde Licht. (Bild: Tamara Reichle)

Das möchte ich dir sonst noch in den Tag mitgeben:

Lokalmedien I: Regionalzeitungen sind in der Krise. Für lokalen Journalismus ein Geschäftsmodell zu finden, das nicht zum finanziellen Fass ohne Boden wird, ist sehr, sehr schwierig geworden. Der frühere Geschäftsführer des Fussballclubs Young Boys versucht es trotzdem: Stefan Niedermaier ist beim Bieler Gassmann-Verlag eingestiegen, der unter anderem die Bieler Zeitung herausgibt. Dort lehnt er sich mit dem Walliser Unternehmer Fredy Bayard gegen die Krise auf. «Ich finde es wichtig, dass wir Medienvielfalt mit stolzen Journalisten haben», sagte Niedermaier meinem Kollegen Joël Widmer. 

Lokalmedien II: Diese Woche lässt sich die «Hauptstadt» gemeinsam mit dem Online-Medium Journal B auf ein Experiment ein: Wir tauschen sieben Tage lang unsere Artikel aus, alles ist auf beiden Portalen zu lesen. Angefangen haben wir am Montag mit den Kolumnen der Askforce und der Autorin Basrie Sakiri-Murati. Ende Woche werden wir dich um deine Meinung zu diesem Versuch fragen.

Lokalmedien III: Medien sollten nicht nur finanziert und gemacht werden, sondern auch Leser*innen erreichen. Doch das tun sie häufig nicht: Gemäss Umfragen konsumieren über 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung keine klassischen Medien mehr – ob Print oder Online. «Warum konsumierst du keine Medien?», fragt deshalb am Donnerstagabend (19.30 Uhr) der öffentliche Hauptsachen-Talk, den «Hauptstadt» und Journal B in Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum Progr organisieren. Eine Tiktokerin, eine Politikerin und eine Medienwissenschaftlerin diskutieren – und freuen sich auf deine Fragen.

Dählhölzli: Im Berner Tierpark geht es wild zu und her – nicht bei den Tieren, sondern bei den Menschen. Mit der Ankündigung, mittelfristig den Streichelzoo aufzugeben, hat Tierparkdirektorin Friederike von Houwald heftigen Widerspruch ausgelöst. Die SVP sammelt Unterschriften für den Streichelzoo. Kritik an der Direktorin üben in einem Artikel von Bund/BZ jetzt aber auch Mitarbeiter*innen des Tierparks. Es rumore hinter den Kulissen, die Rede ist von einem «vergifteten Betriebsklima». Der zuständige Gemeinderat Reto Nause (Mitte) stellt sich in Bund/BZ hinter von Houwald. Das Dossier Tierpark gehört in der Stadt Bern zu den politisch ganz heiklen: 1996 wurde Gemeinderätin Theres Giger (FDP) nach einem Konflikt mit dem Tierparkdirektor abgewählt. 2009 geriet Gemeinderätin Barbara Hayoz (FDP) nach Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Bärenparks in Turbulenzen.

Absage: SP-Nationalrätin Nadine Masshardt kandidiert im November 2024 nicht für einen Sitz in der Berner Stadtregierung, wie sie auf dem Social-Media-Kanal X schreibt. «Nach reiflicher Überlegung» sei sie zum Schluss gelangt, sich auf die nationale Ebene zu konzentrieren. Masshardt wäre für die SP eine interessante Option gewesen, 2024 den Sitz des abtretenden Michael Aebersold zu verteidigen und spätestens 2028 zu versuchen, das Stadtpräsidium zurückzugewinnen.

Klimakonferenz: Noch bis zum 12. Dezember dauert die Welt-Klimakonferenz, für die fast 100’000 Personen nach Dubai fliegen. Wie schon letztes Jahr unter ihnen ist auch GLP-Stadträtin Gabriela Blatter, beim Bundesamt für Umwelt zuständig für Umweltfinanzierung. Um was es in Dubai geht, erklären vier Forscher*innen der Universität Bern in kurzen Videos knapp und verständlich. In der Klimawissenschaft gehört das Oeschger Zentrum der Universität Bern zur Champions League.

Grasburg: Ab sofort ist die Ruine Grasburg im Sensegraben bei Schwarzenburg wieder zugänglich, die Sanierungsarbeiten sind abgeschlossen. Das teilt die Stadt Bern mit, der die Ruine gehört. Die Sanierung kostete 1,5 Millionen Franken, wobei sich auch der Lotteriefonds, das Bundesamt für Kultur und die Gemeinde Schwarzenburg an den Ausgaben beteiligten.

PS: Heute Dienstag ist der Welttag der Freiwilligen. Hast du dir schon einmal überlegt, ob und wie du für dich ein freiwilliges Engagement einfädeln könntest? Vor einem Jahr haben die Autorinnen Yvonne Pfäffli und Madeleine Pfäffli Schmid das Buch Freiwillig aktiv. Bern publiziert. Heute Abend (19 Uhr, Kornhausbibliothek) diskutieren sie mit Gästen über die Zukunft der Freiwilligenarbeit.