Zum Anlass des zehnjährigen Geburtstags von Journal B haben wir (die zwei dienstjüngsten Redaktionsmitglieder) mit drei langjährigen Vorstandsmitgliedern gesprochen: Über Pionierarbeit, Nischen und selbstverständlich: Die nächsten zehn Jahre Journal B. Namentlich sind das der ehemalige Co-Präsident Willi Egloff (W.E.), Vorstandsmitglied Rita Jost (R.J.) und der amtierende Co-Präsident Luca Hubschmied (L.H.)
Rita, Willi und Luca, ihr seid alle schon längere Zeit Teil von Journal B. Auf welche Geschichte aus dieser Zeit seid ihr besonders stolz?
R.J.: Ich habe keine einzelne Geschichte, aber worauf ich stolz bin, ist die Art, wie wir während des Lockdowns funktioniert haben. Wir hatten keinen Einbruch und haben fleissig weitergeschrieben. Ausserdem ist die Zusammenarbeit mit der BKA für mich eine Erfolgsstory.
L.H.: Darf ich auch zwei nennen?
Noch so gerne!
L.H.: Da wäre zum Einen die Berichterstattung von Willi Egloff und Fredi Lerch über das «Gruebe-Buch», wo es darum ging, das «Gruebe-Buch» der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Das war ja temporär ein verbotenes Buch. Journal B hat das Buch als PDF erstmals wieder online zugänglich gemacht. Letzten Endes hat das sogar dazu geführt, dass das Buch wieder zugänglich wurde. Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie Journal B auf lokaler Ebene Einfluss hat, wenn man seine Sache ernst nimmt und an einer Geschichte dran bleibt.
W.E.: Beim Gruebe-Buch schliesse ich mich an: Das war ein Grosserfolg!
R.J.: Erst kürzlich hat das jemand in einem Gespräch wieder erwähnt: Das hat auf diese Weise nur Journal B gemacht.
W.E.: Ich würde zudem die Gurlitt-Geschichte erwähnen. Da waren wir ein absolut führendes Medium. Wir haben von Beginn weg gesagt, dass man dieses Erbe annehmen soll, wo alle noch die Hände verworfen haben. Anschliessend haben wir regelmässig über die Entwicklung berichtet und alle Ausstellungen begleitet.
Und was ist die zweite Geschichte, auf die du besonders stolz bist, Luca?
L.H.: Meine Reportage über die Besetzung des Gaswerkareals, die sich heutzutage «Anstadt» nennt. Ich durfte diese samt Vorbereitung begleiten. Die Involvierten sind dort anonym aufgetreten und haben mir aber sehr viele Einblicke gewährt. Ich wertete das als grosses Vertrauen in meine Arbeit. Der Text wurde von anderen Medien aufgegriffen. Damals bezeichnete mich die «Berner Zeitung» als «eingebetteten Journalisten». Da war natürlich eine gewisse Spitze drin, die ich dem Autor nicht übel nehme, denn sie zeigt, dass andere Leute gerne genauso nah dran gewesen wären. Durch die Reportage wurde deutlich, dass Journal B bei solchen Themen Vertrauen geniesst. Uns wird in einer sehr heiklen Angelegenheit Einblick gewährt und doch berichten wir so, dass der Artikel keine Carte-Blanche für die Besetzenden ist. Dass die nötige kritische Distanz gewahrt wird, ist ein Zeichen unserer Professionalität.
Die grossen Tageszeitungen betrieben in unseren Augen einen rot-grün-feindlichen Lokaljournalismus.
Zurück zum Anfang. Wie startete das jetzt zehnjährige Projekt Journal B?
W.E.: Die Initialzündung gab Thomas Göttin, unterdessen Co-Präsident des Vorstandes von Journal B. Er fragte mich für das Projekt an. Wir waren uns in der Beurteilung der Situation damals einig: «Der Bund» und die «Berner Zeitung» betrieben in unseren Augen einen rot-grün-feindlichen Lokaljournalismus, der sich stark an der Agglomeration orientierte. Die einzige Alternative bot Radio Rabe, welches allerdings nicht auf Lokaljournalismus spezialisiert war. Deshalb wollten wir diese Lücke füllen. Finanziell gesehen war ein Onlinemedium die einzig realistische Form. In der Folge begannen wir, diese Idee mit anderen Leuten zu besprechen. Daraus entstand eine Projektgruppe, deren Kern Thomas Göttin, Urs Frieden und ich bildeten.
Wie verliefen dann die ersten Monate, als Journal B definitiv an den Start ging?
W.E.: Wir begannen mit einer professionellen Redaktion und einem Beirat, die für die inhaltliche Arbeit zuständig waren. Redaktion und Beirat lagen sich aber schon bald ständig in den Haaren. Gleichzeitig funktionierte unser Finanzierungsmodell nicht: Die Mitgliederzahlen sanken eher, als dass sie stiegen.
Ein weiteres Problem war, dass manche Leute sehr klare, aber eben auch sehr unterschiedliche Vorstellungen hatten. Viele waren dann enttäuscht. Ich mag mich beispielsweise erinnern, wie jemand an einer Mitgliederversammlung sagte: «Den Bund steckt ihr doch mit links in die Tasche!» Das waren natürlich unrealistische Vorstellungen. Beim Bund sassen damals ungefähr 100 Leute in der Redaktion, bei uns hingegen deren fünf. Den Bund überflüssig zu machen war aber auch nie unser Anspruch, noch wäre das ein realistisches Ziel gewesen.
Wie habt ihr diese Redaktion zusammengestellt?
W.E.: Die Stellen hatten wir ausgeschrieben. Der Chefredaktor Beat Kohler stiess von der «Jungfrau Zeitung» zu uns, als seine Redaktionsstelle dort aufgehoben wurde.
R.J.: Wie sah denn damals euer Budget aus, um eine solche Redaktion inklusive Büro bezahlen zu können?
W.E.: Ich glaube, wir hatten damals ein Jahresbudget von 300 000 Franken. Auf der Ausgabenseite funktionierte das gut, auf der Einnahmeseite hingegen überhaupt nicht. Auch Werbeeinnahmen hatten wir quasi keine.
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Bald darauf musstet ihr die Redaktion entlassen. Was passierte dann? Habt ihr eine Pause eingelegt, um zu schauen, wie es weitergehen soll?
W.E.: Nein, es gab nie einen Unterbruch. Wir haben im Vorstand zur gleichen Zeit beschlossen, das Projekt auf Milizbasis weiterzuführen. Wir haben also ohne Unterbruch weitergemacht. Damals begann vor allem Christoph Reichenau damit, regelmässig zu schreiben. Manuel Gnos und später Fredi Lerch waren in kleinen Pensen für die Betreuung der technischen Infrastruktur und redaktionelle Arbeiten angestellt. Die Artikel entstanden aber alle in Freiwilligenarbeit.
Rita und Luca, ihr wart damals noch nicht involviert. Wer von euch ist als nächstes zu Journal B gestossen?
L.H.: Das war ich. Fredi Lerch wollte seine Stelle der redaktionellen Vielfalt wegen auf zwei Personen aufteilen. Das war 2015. Ich hatte damals mit der «bärner studizytig» bereits einige Erfahrung gesammelt und wurde deshalb angefragt.
Du wurdest also wegen der studizytig vom Journal B-Vorstand wahrgenommen?
L.H.: Einerseits dadurch. Andererseits kannte ich einige der Leute bereits über sieben Ecken – schliesslich ist Bern klein – oder über ihre Söhne.
W.E.: Luca und auch Yannic Schmezer – der später ebenfalls Redaktionsmitglied war – sind mit den Söhnen von Thomas und mir zur Schule gegangen. Damals wohnten sie alle zusammen, die Informationswege waren dadurch praktischerweise kurz.
Wann wurde Yannic denn Redaktionsmitglied bei Journal B?
L.H.: Als Fredi im Herbst 2017 aufhörte, habe ich ihn als Nachfolger vorgeschlagen. So befand sich das Redaktionsbüro von Journal B zu der Zeit de facto in unserer WG.
Die gegenseitige Wertschätzung ist der Hauptmotor für meine Tätigkeit bei Journal B.
Wie bist du, Rita, zu Journal B gestossen?
R.J.: Als Leserin. Ich fand bei meiner Lektüre immer wieder überraschende Aspekte und Zugänge – teils richtiggehende Trouvaillen – und fand: Das lohnt sich! Seither lese ich es jeden Tag.
Und du füllst es unterdessen auch selbst mit Inhalten.
R.J.: Ja. Ende 2017 stellte Journal B in ihrer ersten Winterserie die Quartierzeitungen vor. Ich schrieb damals für das Quavier (die Quartierzeitung des Stadtteils IV, Anm.d.Red.). Also hat Yannic mich interviewt – das war der erste Kontakt. Kurz darauf wurde ich von Journal B angefragt, ob sie einen meiner Quavier-Artikel übernehmen dürfen. Als ich zusagte, schrieb ich Thomas zugleich, dass ich den «Plausch» hätte, bei Journal B mitzumachen. Ich habe mich eigentlich selber eingebracht (lacht). Seither mache ich als Vorstandsmitglied mit und schreibe ab und zu.
Du bist langjährige Journalistin und hast verschiedene Redaktionen von innen erlebt. Wie unterscheidet sich Journal B?
R.J.: Ich finde es neckisch, wie sich hier der Wissensstand generationsbedingt unterscheidet. Das ist für mich neu. Auf den Redaktionen, auf denen ich zuvor gearbeitet habe, war der Wissensstand weniger polarisiert. Während wir Älteren besser beurteilen können, für welche Berner Persönlichkeit ein Nachruf angebracht ist, wissen wir teils kaum, was euch Jungen umtreibt …
W.E.: … Quidditch! (Coming Soon, Anm. d. Red.)
R.J.: (lacht) Genau. Ich finde diesen Unterschied sehr erfrischend – zudem manifestiert er sich beidseitig als ein gutes Korrektiv. Ganz allgemein herrscht eine totale Wertschätzung untereinander – ein total angenehmes Klima. Das ist der Hauptmotor für meine Tätigkeit bei Journal B: Weil es Freude macht, mit euch zu arbeiten.
W.E.: Das beruht auf Gegenseitigkeit!
Es wäre wohl klüger gewesen, etwas frecher aufzutreten.
Wie seht ihr die heutige Rolle von Journal B auf dem Berner Medienplatz?
L.H.: Als Vorzeigebeispiel, das zeigt: Es ist möglich, als kleines Medium zu überleben und eine konstante Basis an Leser*innen zu haben. Dadurch sind wir auch Inspiration für andere tolle Projekte wie etwa die «Hauptstadt». Zugleich müssen wir noch immer um Beachtung kämpfen. Der Reiz eines neuen, aufregenden Projekts ist nach zehn Jahren endgültig verwirkt. An diese zehn Jahre heranzukommen ist dennoch eine grosse Leistung – gerade, wenn ein Grossteil davon in einem Milizsystem und mit viel ehrenamtlicher Arbeit geschehen ist. Darauf können wir stolz sein. Wir sollten aber auch selbstkritisch sein und anerkennen, dass wir bis heute nicht das erreicht haben, was wir wollten.
W.E.: Es ist für mich schon ein Rätsel, wieso die Mitgliederzahlen nicht schneller stiegen.
L.H.: Rückblickend würde ich wohl mehr Zeit investieren, Journal B zu den Leuten zu bringen, statt an Feinheiten der Berichterstattung zu tüfteln: Etwas mehr Zeit ins Marketing – dafür dürfte ein Artikel auch mal 4000 Zeichen weniger lang sein. Wir hatten aber immer hohe Ansprüche an unsere Arbeit, vielleicht zu hoch für die Möglichkeiten, die wir hatten. Da wäre es wohl klüger gewesen, etwas frecher aufzutreten.
Also, raus aus der Nische?
R.J.: Wir sind uns da vielleicht nicht einig, aber ich hatte immer das Gefühl, unter diesen Voraussetzung kann Journal B nur ein Nischenprodukt sein. Das müsste auch unsere Leitschnur bleiben: Das wir machen, was die anderen nicht machen.
W.E.: Wir sollten schon aus der Nische rauskommen. Das ist aber nur mit öffentlichen Geldern möglich. Zumal meines Erachtens Lokaljournalismus nur so überhaupt eine Zukunft hat. Online-Medien werden mehr und mehr zum zentralen Faktor der lokalen öffentlichen Meinung. Damit sie dem gerecht werden können, müssen sie vom Staat finanziell unterstützt werden.
L. H.: Nein, ich denke nicht, dass wir aus der Nische raus müssen – ich denke aber, dass diese Nische viel grösser ist, als wir sie im Moment wahrnehmen oder bedienen. Journal B als Online-Medium, das nicht First-News liefert, sondern eine differenzierte Berichterstattung oder Hintergründe zu bereits diskutierten Themen oder neue Stoffe ans Tageslicht bringt – das sind unsere Spezialitäten. Aber es gibt mehr Menschen, die daran interessiert sind, als momentan Journal B lesen – und es gäbe wohl auch mehr Leute, die bereit wären, dafür zu bezahlen.
Das klingt schon fast nach einem Ausblick. Was bringen die nächsten zehn Jahre Journal B?
L.H.: Im Traumszenario oder als Prognose?
Am liebsten beides!
L.H.: In meinem Wunschszenario wächst Journal B in den zehn Jahren ähnlich schön wie in den letzten zwei Jahren. So werden Pensen in der Redaktion erhöht und der Online-Auftritt laufend verbessert. Dann wird Journal B in zehn Jahren sicher ein zehnköpfiges Redaktionsteam haben, das grosse, chaotische Sitzungen abhält. Es wird weiterhin ein lokales Produkt sein, das aber ein Gewicht hat und einen unangenehmen Gegenspieler zu etablierten und querfinanzierten Tageszeitungen darstellt. Es hat in dieser Zeit das ganze Vertrauen, das es von vielen Seiten geniesst, nie verspielt, sondern konnte es zurückzahlen. Journal B wird auch dank einer staatlichen Medienförderung an diesen Punkt gelangt sein. Eine Förderung, die es erlaubt, nachhaltig Mitglieder gewinnen zu können, um dann ohne Förderung wieder bestehen zu können.
Journal B wird in zehn Jahren nach wie vor online funktionieren und hoffentlich eine Vielfalt an medialen Inhalten bieten. Es gibt dann in Bern vielleicht noch eine Tageszeitung und am liebsten drei Online-Projekte wie Journal B, die sich hoffentlich auch konkurrenzieren. Das ist meine Wunsch-Vision für die nächsten zehn Jahre und somit auch gleichzeitig meine Prognose. Wir wollen schliesslich nicht tiefstapeln!