(Nicht) in die Ecke gedrängt

von Christoph Reichenau 19. Juni 2023

Die Ausstellung «(un)cornered» in der Volkshochschule Bern und der Kornhausbibliothek zeigt insgesamt 40 Fotografien der ukrainischen Fotografin Julia Wimmerlin. Gezeigt werden Porträts von Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sowie je einen Gegenstand, den sie mitgenommen haben.

Weder die Bibliothek, noch die Volkshochschule sind prädestinierte Ausstellungsorte. Doch die Fotografien, die jetzt dort hängen, sind so stark, dass sie sich aus eigener Kraft den Ort zu eigen machen. Es sind Doppelbilder: Das eine zeigt eine Frau; sie steht in der Ecke des Raumes, den sie nach der Flucht in der Schweiz bewohnt. Sie trägt die Kleidung, in der sie aufgebrochen ist. Das andere Bild rückt den Gegenstand ins Zentrum, den die Frau auf dem Weg ins Ungewisse mitgenommen hat, ein Andenken, einen Talisman, etwas Unersetzliches, das an eine Rückkehr glauben lässt.

Wir fragen uns, wer sind eigentlich diese Menschen, die aus der Ukraine flüchten mussten, wie sind sie hierhergekommen und was haben sie erlebt und gefühlt?

Die Fotografin Julia Wimmerlin, lebt und arbeitet schon länger in der Schweiz. Ihre Porträts der 40 Frauen, die nun vor dem russischen Angriffskrieg zu uns gekommen sind, sind auch ein Willkommensgruss: Hier seid Ihr jetzt, noch in der Ecke, doch bald arbeitet Ihr Euch hinaus. In einer Ecke gefangen fühlen sich die Frauen nicht mehr. Sie sind angekommen, wenn auch nicht unbedingt, um zu bleiben. Sie geben, heisst es in der Medienmitteilung, «ihr Bestes, um ihre Familie zu unterstützen und der Ukraine dazu zu verhelfen, die Invasoren zurückzuschlagen. Ob und wann die in ihr Land zurückkehren werden, ist offen.»

An der Vernissage wies Dorota Czerwiec, Leiterin der Volkshochschule für Didaktik und Qualitätsmanagement sowie Verantwortliche für die Sprachkurse für Ukrainerinnen und Ukrainer auf die Bedeutung der Ausstellung hin:

«Ikonographisch lassen sich alle Werke als Porträts identifizieren, die eine Person, in diesem Fall stets eine Frau, oder eine Personengruppe darstellen, denen jeweils ein Gegenstand gegenübergestellt ist und obwohl diese Gegenstände nicht als Attribute im kunsthistorischen Sinn verstanden werden können, so bilden sie doch gemeinsam mit der Person eine Allegorie des vergangenen Lebens in Frieden.

Jede und jeder von uns kennt die Ahnengalerien in alten Schlössern und Museen – und wer hat sich beim Betrachten noch nicht gefragt, wer waren diese Leute, was haben sie erlebt und was haben sie gefühlt. Heute stellen wir uns die gleichen Fragen im Angesicht des Krieges, welchen Russland gegen die Ukraine führt. Wir fragen uns, wer sind eigentlich diese Menschen, die aus der Ukraine flüchten mussten, wie sind sie hierhergekommen und was haben sie erlebt und gefühlt?

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Wir fragen uns aber auch, wie wir selbst in Anbetracht einer Todesgefahr reagieren würden und was wir in der Eile aus unserem Zuhause, dem eigentlich sichersten Ort, mitnehmen würden.

40 Frauen geben uns hier einen Einblick und gleichzeitig auch Antwort auf diese Fragen und ich freue mich, dass sie den Weg auf diese Porträts geschafft haben und stellvertretend für viele Millionen Menschen Antworten geben auf Fragen, die nie hätten gestellt werden sollen.»

Ein Blick in die Ausstellung in der Volkshochschule (Foto: zvg).

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftswerk der Fotografin, der NGO Ukraine Schweiz Bern, der Kornhausbibliotheken, der Volkshochschule Bern und des Vereins Ukraine Hilfe Bern und läuft noch bis am 12. August 2023.