Tommy Vercetti kommt mit einem Überraschungs-Release daher. Und das Tape ballert wie gewohnt wütend. Kapitalismuskritik und Fuck-All Club-Attitüde auf Burner-Beats: «Ds letschte Einhorn vo däm Texte-Game», rappt Tommy. Alles beim Alten also?
Simon Küffer (1981) alias Tommy Vercetti hat 2003 sein erstes Mixtape veröffentlicht. Spätestens seit seinem Studioalbum «Seiltänzer» (2011), für das er sowohl mit dem Swiss Rap Award wie auch dem Literaturpreis des Kantons Bern ausgezeichnet wurde, ist Tommy Vercetti eine Schweiz-Rap-Koryphäe. Zudem ist Küffer gelernter Grafiker und doktoriert aktuell zu massenmedialen Bildern des Geldes. Dieses Jahr hat er im Bernischen Historischen Museum eine Gesprächsreihe zum Thema Geld kuratiert und geleitet, wie Journal B berichtete.
«Sympathie für Hyäne» beackert aktuelle Themen wie etwa den Pflegenotstand («Profit ir Pfleg heisst: i wirde d Höu erläbt ha scho aus Greis»), oder die Corona-Politik («niemer het’s planet, doch si pokere mit üs, u je me dr Tisch wagglet, desto lockerer si d Chips»). Das kommt pointiert und gewohnt kapitalismuskritisch daher.
Altbewährtes weiterentwickelt
Schon die ersten paar Takte des ersten Tracks verbreiten einen Vibe, der an die Mixtapes «Stadt unter» und «Bugarach Beach» seiner Crew Eldorado FM denken lässt. Der Beat wird getragen von einer schnurrenden Baseline und gepitchten Vocals. Darüber und dazwischen platziert Tommy seinen mit Reimen vollgepackten Text mit einer Mischung aus sich zurücklehnen und Arroganz.
Fans virtuoser Flow- und Reimtechnik kommen bei diesem Mixtape garantiert auf ihre Rechnung.
Das bedeutet nicht, dass Tommy Vercetti musikalisch in den frühen 2010er-Jahren stehen geblieben ist. Schon in seinen letzten Projekten zeigte er seine Experimentierfreudigkeit. Das Ergebnis zeigt sich auf Songs wie «Oh Shit»: Über einen schnellen, jazzigen Beat entwickelt Vercetti seine Flowtechnik weiter und findet so zu neuer Grösse.
Damit beweist Tommy Vercetti vor allem eines: Rapper, die vom Boom-Bap her kommen, können sich weiterentwickeln, ohne verpassten Trends nachlaufen zu müssen. Dabei erreicht er zwar nicht die Melodiösität der aktuell angesagten Rapstile, doch Fans von virtuoser Flow- und Reimtechnik kommen bei diesem Mixtape garantiert auf ihre Rechnung.
Klassenkampf oder «immer nur vom Figge rede»?
Tommy macht eloquente Gesellschaftsanalysen in Rapform (etwa auf dem preisgekrönten Album «Seiltänzer») oder aber er macht wie hier: Battlerap gegen Kapitalist*innen. Letzteres macht Spass, denn es ist im besten Sinne des Wortes vulgärmarxistisch. Und klingt etwa so: «Eigetum isch d Abchürzig für: eigetlech dumm / wüu di Vile wo drfür si, si eigetlech dumm / usser dä Wenige wo’s hei, het ja keine ä Grund».
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«I hane Lösig für aues: Klassekampf», rappt Tommy auf einem anderen Track. Im aktuellen innerlinken Diskurs keine unbestrittene Haltung. So griff etwa das Rapkollektiv HATEPOP Vercetti mit einer Punchline frontal an: «U der Tommy würd de Chindli gärn e Gschicht verzeue / leider cha der Tommy immer nur vom Figge rede».
Im Zuge der Debatte um Homophobie und Sexismus im Schweizer Hip Hop nach der letzten Bounce Cypher veröffentlichte Vercetti auf Journal B einen einsichtigen und entschuldigenden Essay: «Mit meinem Fokus auf den Klassenkampf habe gerade ich die verschwisterten Kämpfe auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben», schrieb Vercetti vergangenen Sommer.
Das Ringen zwischen neueren identitätspolitischen Diskursen und marxistischer Fundamentalkritik beschäftigt Vercetti.
Alles nur, um das auf seinem neuen Mixtape wieder zu verwerfen? Nein. Das griffe zu kurz. Die Thematik ist voller Ambivalenzen und Widersprüchen. Wer etwas anderes behauptet, macht es sich zu einfach. Was hingegen klar ist: Dieses Ringen zwischen neueren identitätspolitischen Diskursen und marxistischer Fundamentalkritik beschäftigt Tommy Vercetti – und das drückt auch auf dem neuen Tape durch.
Dort klingt dies mal selbstkritisch: «o ig gib’ mini blinde Fläck aus Realness us / u gse a mine beste Täg wi dr Bushido us». Und mal abgrenzend: «i schreie: Wirtschaft! Wirtschaft! / doch si hei s Youtube gluegt zur Diskurstheorie / u säge: Tommy Tommy Tommy, säg doch bitte nümme B—».
Letztlich verwandelt sich Tommy: Früher nannte er sich noch «Schnäbi-Prinz». Und heute? «i häb’ di Linki zäme, si säge mir: dr Chläbi-Prinz».
Ob der Kleber halten wird, muss sich zeigen. Der «Hyäne» zu lauschen lohnt sich ohnehin.
Tommy Vercetti, «Sympathie für Hyäne» – ab heute auf Bandcamp und ab Sonntag auf sämtlichen Plattformen verfügbar.