Kleine Reise in andere Welten

von Christoph Reichenau 16. Juni 2023

Neuer Kunstraum Ein paar Schritte neben dem «Sternen», neben dem Bienzgut, neben dem Alten Schloss oder der Cabane von Jean Nouvel steht der neue Kunstraum. Er bereichert Bümpliz. Und er erfüllt mit der Pflege künstlerischer Nachlässe kulturpolitisch eine wichtige Aufgabe.

Man nimmt am Hauptbahnhof das Tram 7 und steigt nach einer Viertelstunde in «Bümpliz Post» aus. Fünf Minuten später biegt man in die Fussgängerzone ein und steht vor dem Kunstraum Bern Bümpliz. Durch ein grosses Schaufenster mit bodentiefen Gläsern blickt man in – Kunst. Wo lange eine Trouvaille-Brocki des Roten Kreuzes Leute anzog, geht es seit Ende Mai um Bilder, Fotografien, Plastiken.

Der Kunstraum Bern Bümpliz ist 250 Quadratmeter gross und licht, ein neu gegossener hellgrauer Zementboden macht ihn elegant, auf den weiss gestrichenen Wänden erstrahlt die Kunst, niedrige Tische erlauben Blicke von oben und von der Seite.

Mehr als eine blosse Ausstellung

Die von Sebastian Winkler kuratierte Ausstellung zeigt unter dem Titel «ARRIVAL» dreierlei: Nadja Karpinskaya öffnet Blicke in Tagebücher mit Zeichnungen, Notizen, Stoffen und Stickereien. Von Sibel Kocakaya bilden kleine Skulpturen aus Ton, Karton, Draht und Glas so etwas wie die Miniatur einer Stadt. Ernestyna Orlowska wird am 17. Juni «The Broken Tongues» performen.

Neben diesen zeitgenössischen Künstlerinnen präsentiert «ARRIVAL» Werke dreier verstorbener Künstler: Max von Mühlenen, Otto Tschumi und Mario Volpe. Ihre Bilder gehören der ART-Nachlassstiftung, die am Kunstraum beteiligt ist und dort neu auch ihre Arbeitsräume hat, ebenso wie die Plattform videokunst.ch.

Ein Schaufenster von Aussen mit grossen Glasfenstern, drinnen sieht man Bilder.
Ein Laden für und mit Kunst mitten in Bümpliz (Bild: zvg).

Entsprechend laufen im Untergeschoss Videowerke von Sarah Hugentobler, Franziska Megert und Sibel Kocvakaya.

«ARRIVAL» ist mehr als eine Ausstellung und mehr als die erste Etappe eines neuen Kunstraums. Angekommen sind an diesem Ort zwei wichtige Organisationen der Berner Kunstwelt. Ein Team von drei Personen kümmert sich um alles: Danièle Héritier, Sebastian Winkler und Dominik Tomasik. Nadja Zeller ist nach langer Aufbauzeit zurückgetreten.

Vor dem Vergessen retten und der Öffentlichkeit zeigen

Alles, das ist der Betrieb des Kunstorts mit Ausstellungen und Veranstaltungen. Es ist die Betreuung der ART-Nachlassstiftung, die seit 13 Jahren Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern bewahrt, vor dem Vergessen rettet und der Öffentlichkeit zugänglich macht. In der aktuellen Ausstellung sind dies Tschumi, von Mühlenen und Volpe. Weitere Nachlässe stammen etwa von Esther Altorfer über Margrit Jäggli bis Roland Werro. Erbverträge abgeschlossen haben u.a. Christian Megert, Dieter Seibt und Beatrix Sitter-Liver.

In der Betreuung künstlerischer Werknachlässe pflegt die Art-Nachlassstiftung eine enger gewordene Zusammenarbeit mit ArchivArte, dem ähnlich ausgerichteten Verein, der an der Breitenrainstrasse 47 sein Depot und einen Ausstellungsraum hat. ArchivArte, 1998 von der Textilkünstlerin Inga Vatter-Jensen gegründet und zuerst auf Nachlässse von Künstlerinnen ausgerichtet, und die Nachlassstiftung ergänzen sich.

Nur an wenigen weiteren Orten in der Schweiz kümmern sich private Organisationen um diese Aufgabe.

Dass es in Bern gleich zwei Organisationen mit dieser Zweckbestimmung gibt, ist ein Glück. Nur an wenigen weiteren Orten in der Schweiz kümmern sich private Organisationen um diese Aufgabe. Als vor ein paar Jahren die Berner Künstlerin Renate Bodmer und ihr Berner Partner Bendicht Fivian in Winterthur starben, wurde ihr wichtiger Nachlass mangels entsprechender Möglichkeit schliesslich an schäbigen Auktionen verscherbelt.

Reise in eine andere Welt

Verlässt man den Kunstraum, erreicht man durch die beschattete, fast dörfliche Fussgängerzone in zehn Minuten den Friedhof Bümpliz. In dessen neuem Teil lässt sich ein in Funktion gebliebener Nachlass erkunden: die Wasserläufe, Pergolen, Nischen und einzelnen Plastiken von Schang Hutter, der diese Abteilung geschaffen hat. Hutter, 2021 gestorben, bleibt so mit einem wichtigen Werk lebendig.

Nach dem Rundgang steigt man an der Haltestelle «Statthalterstrasse» wieder ins Tram 7 und erreicht nach 20 Minuten den Hauptbahnhof. Eine kleine Reise in andere Welten endet, ein Ausflug innerhalb der eigenen Stadt.

Kunstraum Bern Bümpliz, Bümplizstrasse 112
Öffnungszeiten: Do und Fr 14-17 Uhr, Sa 12-16 Uhr.

Performance «The Broken Tongues» von Ernestyna Orlowska am 17. Juni, 17 Uhr.