Nähe benötigt Zeit und Engagement

von Christoph Reichenau 9. Dezember 2015

Sie war das Gewissen des regionalen Zusammenwachsens: Nach zwanzig Jahren verlässt Geschäftsführerin Isabelle Meyer Ende Jahr die Regionalkonferenz Bern-Mittelland RKBM. Ein Gespräch mit der «Madame Région».

Wann und wie hat Deine Arbeit in der Region Bern begonnen?

Isabelle Meyer:

Ich trat 1994 meine Stelle beim damaligen Verein für die Zusammenarbeit in der Region Bern (VZRB) unter dem neu gewählten Geschäftsführer Denis Forter an. Es wurde gerade die Gründung des Vereins Region Bern (VRB) für 1996 vorbereitet; dieser wuchs von 25 auf zuletzt 49 Gemeinden.

Was bedeutete das?

Einen wichtigen Entwicklungsschritt zu mehr Verbindlichkeit der Entscheide. Die Versammlung des VRB konnte für ihre Kerngemeinden verbindliche Empfehlungen beschliessen. Gemeinden, welche die Empfehlungen nicht umsetzen wollten, mussten dies dem VRB in einer Aussprache begründen.

Wie ging die Entwicklung weiter?

Der VRB entwickelte mit der Regionalen Kulturkonferenz und der Verkehrskonferenz das Modell «Regionalrat». Der Kanton arbeitete daran weiter und verankerte es gesetzlich als «Regionalkonferenz». Der Zweck: Regionale Aufgaben sollten unter einem Dach in einem adäquaten Perimeter wahrgenommen werden. Das Modell wurde in einer regionalen Volksabstimmung in 95 von 101 Gemeinden des Verwaltungskreises Bern-Mittelland im Mai 2009 angenommen und wird seit Anfang 2010 umgesetzt. Drei Argumente waren wichtig: Die Regionalkonferenz wird transparenter sowie effizienter und sie stärkt die Gemeinden gegenüber dem Kanton.

Und was geschah im Bereich der Kultur?

Bereits seit den 1970er-Jahren bestand für die freiwillige regionale Mitfinanzierung der grössten Kultureinrichtungen der Stadt Bern ein Schlüssel, den die regionale Kulturkommission Jahr für Jahr neu festgelegte. Um den Kulturinstitutionen Planungssicherheit zu garantieren und die Stadt zu entlasten, wurden 1995 im kantonalen Gesetz über die Kulturförderung vierjährige Leistungsverträge mit den grössten und regional bedeutenden Kulturhäusern eingeführt.

1997 gründeten wir die Regionale Kulturkonferenz Bern (RKK) mit 84 Gemeinden. Der Perimeter der RKK wurde nach der kulturellen Ausrichtung der Gemeinden bestimmt. Für die Periode 1999–2003 wurden die ersten Verträge mit Historischem Museum, Kunstmuseum, Stadttheater und Symphonieorchester abgeschlossen. 56 Gemeinden mussten den Beiträgen von insgesamt 10 Prozent oder 4,3 Mio. Franken zustimmen; 57 sagten Ja, 27 lehnten ab, wurden aber durch das Gesetz zur Zahlung gezwungen. In den kommenden Perioden war – trotz dem hinzu kommenden Zentrum Paul Klee und der Erhöhung der Beiträge auf 11 Prozent – die Annahme stets gesichert.

Mit der Kulturstrategie des Kantons 2008 und dem neuen Kulturförderungsgesetz 2012 übernahm der Kanton eine bedeutendere Rolle als vorher. Früher wurde auf regionaler Ebene eher auf einen Konsens unter den drei Akteuren hingearbeitet; die Region hatte den Lead, eine Lösung zwischen Stadt, Gemeinden und Kanton auszuhandeln. Heute macht der Kanton mehr Vorgaben und nimmt für sich stärker den Lead in Anspruch.

Was genau tut die Regionalkonferenz Bern-Mittelland RKBM?

Die RKBM hat fünf Aufgaben, die ihr durch kantonale Gesetze übertragen sind: Sie ist in ihrem Gebiet zuständig für die Raumplanung, die Gesamtverkehrsplanung, die Kulturförderung, die Energieberatung und die neue Regionalpolitik. Letztere will im ländlichen Raum die Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. In diesem Rahmen werden beispielsweise Wärmeverbünde unterstützt, die Arbeitsplätze schaffen, oder Tourismusangebote im Naturpark Gantrisch. Der Kanton subventioniert diese Politik. Neben den obligatorischen Aufgaben übernimmt die RKBM in Teilkonferenzen freiwillig weitere Geschäfte, zum Beispiel im Auftrage der Gemeinden die Wirtschaftsförderung im Wirtschaftsraum Bern. Diese wird durch die beteiligten Gemeinden finanziert.

Ist das im Alltag nicht sehr kompliziert und aufwendig?

Im Prozess bis zur Endfassung einer Vorlage sind wir bestrebt, die Gemeinden und ihre Anliegen einzubeziehen, mit ihnen zu diskutieren, ihre Haltung zu verstehen. «Steht» ein Geschäft, werden die Gemeinden dazu konsultiert. Bisher ist es uns gelungen, mehrheitsfähige Vorlagen auszuarbeiten. So bei den jüngsten Kulturverträgen, die im Frühjahr mit grossem Mehr genehmigt worden sind. Mit zwei Regionalversammlungen pro Jahr werden die Gemeinden durch ihre RKBM effizient «bedient». Die RKBM ist nicht mehr ein privatrechtlicher Verein, sondern eine öffentlich-rechtliche Organisation. Sie fasst für ihre Mitglieder verbindliche Beschlüsse. Sie verleiht ihnen gegenüber dem Kanton eine stärkere Stimme. Aber noch ist die RKBM keine Selbstverständlichkeit. Noch muss immer wieder klargemacht werden, dass die RKBM die Dienstleisterin ihrer Gemeinden ist, nicht eine übergeordnete Instanz.

Stimmt die Grösse der Regionalkonferenz oder ist sie zu gross?

Die RKBM ist das Resultat einer Fusion von sieben regionalen Organisationen. Unterschiedliche kleinräumige Strukturen sind in einer Organisation aufgegangen. Im grösseren Gebilde fühlt man sich nicht auf Anhieb gleichermassen zugehörig. Die Gemeinden müssen sich gegenseitig neu und besser kennenlernen. Nähe benötigt Zeit und Engagement. Dazu hilft, dass die RKBM in Sektoren eingeteilt ist, innerhalb deren es relativ gut läuft. Nach meiner Erfahrung stimmt die Grösse. Der Perimeter entspricht dem Statthaltergebiet (Verwaltungsregion). Am Rand gibt es einzelne Gemeinden, die sich eher in andere Regionen orientieren. Ich finde, das RKBM-Gebiet deckt den funktionalen Raum ab, in dem sich in unserer Region der grösste Teil des Lebens abspielt.

Bei der Suche nach Lösungen ist eine harte Grenze zu respektieren: die Kantonsgrenze. Plant man über diese hinweg, zum Beispiel im Gebiet Laupen-Bösingen-Kerzers kommt der Kanton zum Zug, der mit dem Nachbarkanton Freiburg verhandeln muss.

Wie ist es mit dem oft beschworenen Stadt-Land-Graben?

Ich lehne das Bild des Stadt-Land-Grabens in der RKBM ab. Ich negiere nicht, dass etwa das Wahlverhalten der Bevölkerung in der Stadt, in der Agglomeration und in ländlicheren Gebieten unterschiedlich ist. Aber das ist für die RKBM nicht entscheidend. Wir machen nicht Parteipolitik, nicht Stadt- oder Landpolitik, wir betreiben Sachpolitik. Unsere Projekte sollen den Gemeinden der Region unter den gegebenen Bedingungen – auch Vorgaben von Kanton und Bund – optimale Voraussetzungen für ihre kommunale Entwicklung schaffen. Die Gemeinden entscheiden schliesslich, wie sie unsere Vorstellung zum Beispiel in ihrer Ortsplanung umsetzen. Da sind sie autonom. Es gibt nicht «die Stadt» und «das Land». Das ländliche Gebiet besteht aus grösseren und kleineren Gemeinden. Wo immer eine grössere Gemeinde Zentrumsfunktion für kleinere erfüllt, gibt es Fragen und Diskussionen. Die Gemeinde Obertal etwa, reines Streusiedlungsgebiet, findet anderes wichtig als zum Beispiel Konolfingen als regionales Zentrum.
Ist die Grösse der Stadt Bern für die RKBM ein Risiko oder eine Chance?

Eine Chance! Die RKBM braucht ein starkes Zentrum. Die Stadt Bern mitsamt der engeren Agglomeration erfüllt – als Stadtkörper – wichtige Funktionen für das gesamte Umland. Bern ist der Kern unserer Region; die Stadt hat eine hohe Professionalität, von der auch andere Gemeinden profitieren können. Stadt und Umland bedingen einander gegenseitig und bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Nur in einer gemeinsamen Organisation kann man gegenseitig ins Gespräch kommen, Verständnis für die jeweiligen Probleme sowie Ansichten schaffen und umsetzbare Lösungen finden. Es ist mir aber auch klar, dass Bern in seiner Funktion als Hauptstadt von Kanton und Bund zusätzlich einen anderen Horizont hat, sich in weiteren Zusammenhängen als den regionalen bewegt.

Ist die Fusion von Gemeinden ein Thema in der Regionalkonferenz?

Nein. Fusionsbestrebungen müssen von den Gemeinden her kommen. Wir können ihnen dazu keine Empfehlungen oder gar Vorgaben machen. Seit 2010 ist die Zahl unserer Mitgliedsgemeinden von 101 bereits auf 85 gesunden, wegen Fusionen.

Hat die Parteipolitik in der Regionalkonferenz eine Bedeutung?

Für die zwanzig Jahre, die ich überblicke: Nein. Aber ich sehe, dass die Interessenvertretung einzelner Gruppen wichtiger wird. Beispielsweise hat sich in dieser Zeit die Landwirtschaft in unserer Region stark verändert. Sie wird durch die Raumplanung von Bund und Kanton bedrängt und via eidgenössische Landwirtschaftspolitik unter Druck gesetzt. Die RKBM ihrerseits entwirft ein Bild der räumlichen Entwicklung der Region. Umsetzen muss dies die einzelne Gemeinde, in der die Landwirte oft wichtige Grundeigentümer sind, die sich auch beruflich neu zu orientieren haben. Mit dieser Frage, die auch eine der Generationen ist, wird die RKBM vermehrt konfrontiert.

Wie siehst Du die Entwicklung im Rückblick?

Vor zwanzig Jahren war Aufbruchstimmung in der Region. Der Wille zur Zusammenarbeit war sehr gross. Das Gemeinsame wurde betont, man wollte für die Region etwas erreichen. Das Ganze bedeutete mehr als die Einzelteile. Heute sind die Gemeinden von den Themen und Ressourcen her so gefordert, dass jede mehr zu sich schaut und schauen muss und vielleicht etwas egoistischer wird. Hier müsste man ansetzen und in Zukunft als Region wieder mehr an den Gemeinsamkeiten arbeiten und Ziele stecken, die es sich lohnt, anzuvisieren. Aber: Die Gemeinden der Region Bern-Mittelland haben sich einfache, effiziente und verbindliche Strukturen gegeben. Sie haben sich im Kanton ein gute Position erarbeitet. Sie haben etwas erreicht.

Warum gehst Du dann gerade jetzt?

Ich habe beim Aufbau einiger regionaler Organisationen mitgeholfen und bei der Entwicklung der RKBM die Projektleitung gehabt, also über zwanzig Jahre immer wieder Veränderungen mitgestaltet. 2009 sagte ich, ich möchte die neue Organisation noch zum Laufen bringen. Sechs Jahre später ist der Aufbau geschafft. Jetzt braucht es neuen Atem, um das Bestehende über vier bis fünf Jahre weiter zu entwickeln. Das verlangt eine neue Person. Ich will für mich ein «déjà vu» vermeiden. Am wichtigsten waren mir in der Arbeit für die Region die Weiterentwicklung der Organisation und der Instrumente, der interne Interessenausgleich, das Mitnehmen der Gemeinden in ihrer Unterschiedlichkeit, das Argumentieren mit ihnen bei der Lösungssuche. Dabei war ich – wie die ganze Organisation – oft in einer Situation, in der ein Weg erst gefunden werden musste.

Was nun?

Nun höre ich hier auf und eröffne mir mit 60 Jahren die Möglichkeit, etwas Neues anzupacken! Ich freue mich darauf. Fehlen werden mir die Kontakte mit den Gemeinden, die Vielfalt der Themen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Menschen. Aber wer weiss, was kommt.