Wer ist nicht auch gelangweilt von der immer gleichen 0815 Radiomusik? «Le Convoi du Folklore Moderne» versprach, alles andere als langweilig zu werden. Nach über zwei Jahren beinahe kompletter Livemusik-Abstinenz kommt schon beim Gang durch die Stadt, die so schmerzlich vermisste Vorfreude eines vollgepackten Konzertabends auf.
Im Hof des PROGR’s herrscht auch schon eine ausgelassene Stimmung. Die ungeliebte Sommerzeitumstellung hat uns zwar eine Stunde Schlaf geraubt, macht dies aber durch den längeren Sonnenschein mehr als wett. Die Zeit bis zum ersten Konzert des Abends vertreiben sich die Meisten dann auch an der frischen Luft bei Bier und Tabak.
Rhythmus geladener Auftakt mit viel Humor
Kurz vor 17:30 zieht es die Masse langsam ins Innere der Turnhalle, in der die Nebelmaschinen ganze Arbeit geleistet haben. Vor der Bühne verteilt stehen einige Stehtische, was leider etwas die Stimmung eines Apéro Konzertes aufkommen lässt. Doch als Cyril Cyril, das Duo aus Genf, bewaffnet mit Banjo, Gitarre und einem Schlagzeug der etwas anderen Art, die Bühne betritt, ist dieses Gefühl schnell verflogen. Die packenden Rhythmen des Drummers, begleitet von Banjo und mal französischem, mal libanesischem Gesang nehmen mich schnell mit, irgendwo in die Sphären über Afrika und dem Nahen Osten.
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Obwohl noch früh am Abend, zeigt auch das Publikum, dass es in Tanzlaune ist. Zum Abschluss tauchen die beiden Cyrils dann in gelben Lamettaanzügen und Mickey Mouse Ohren aus Schallplatten auf und geben noch einmal alles. Der Auftakt des Minifestivals hinterlässt bei mir damit nicht nur ein Schmunzeln, sondern auch das glückliche Gefühl, dass die Livemusik in zwei Jahren Pandemie nichts von ihrem Zauber verloren hat.
Einmal nach Anatolien via Berlin
Nach kurzer Pause geht die Entdeckungsreise weiter an den Bosporus. Derya Yildrim & Grup Şimşek bestechen mit türkischem Gesang, der unter die Haut geht, begleitet von anatolischer Folklore mit funkigen und psychedelischen Einflüssen. Mit viel Groove schafft es auch diese Band, das Publikum mitzureissen und in ein hin und her wippendes Meer zu verwandeln. Ich verstehe zwar kein Wort des türkischen Gesangs, aber dennoch schafft es Derya Yildrim eine geballte Ladung Emotionen zu transportieren.
Mit viel Groove schafft es Derya Yildrim das Publikum mitzureissen und in ein hin und her wippendes Meer zu verwandeln
Mit ihrer Stimme und der Laute ruft die Musikerin aus Berlin in einem Moment wehmütige Traurigkeit hervor, nur um mich im nächsten Song wieder an ein anatolisches Volksfest mitzunehmen. Obwohl es nicht mein erstes Konzert der Band ist, entdecke ich immer wieder neue Aspekte der Songs und die Qualität ihrer Musik beeindruckt immer wieder aufs Neue.
Niederländisch-asiatische Soundwand
Wie das an Konzertabenden so ist, war auch mit Verspätungen zu rechnen. Nachdem sie beim Soundcheck mit einigen Problemen zu kämpfen hatten, konnten YĪN YĪN schliesslich mit einer knappen Stunde Verspätung anfangen. Glücklicherweise wurden die Stehtische noch vorher beiseite geräumt, denn die Band aus Maastricht brachte die Masse so richtig in Bewegung. Energiegeladen, funkig und mit südostasiatischen Einflüssen bringt schon «One Inch Punch» als erster Song jedes müde Bein zum Tanzen. Mit markanten Bassläufen, mitreissenden Rhythmen von Perkussion und Schlagzeug und leichten Melodien der Gitarre ist das einfach gute Laune Musik.
In einer kurzen Pause folgt die Vorstellung der Bandmitglieder durch den Drummer. Der Niederländer leiert aber nicht etwa einfach die Namen runter, sondern versucht es auf Deutsch. Sogar einige berndeutsche Ausdrücke und ein beeindruckend gut gerolltes R gibt er zum Besten. Nach dieser Verschnaufpause geht es in gleicher Manier weiter und YĪN YĪN beenden das Konzert mit «Dis̄ kô Dis̄ kô», einer weiteren Perle aus ihrem vorletzten Album.
Müder Kopf und müde Knochen
Nach diesem Tanzgelage und mit dem ganzen Wochenende in den Knochen rief mich mein Bett zu laut und ich konnte mir leider die letzten beiden Konzerte des Abends nicht mehr anhören. Meridian Brothers versprachen aber ebenfalls ein Erlebnis zu werden. Die Band aus Kolumbien um Eblis Álvarez verbindet verschiedenste Lateinamerikanische Musikstile mit einer Vielzahl von anderen Einflüssen aus Funk oder Elektro.
Den Abschluss des Abends bildete Sofyann Ben Youssef alias Ammar 808. Er bringt die Musik und den Gesang aus dem Maghreb in das elektronische Zeitalter und verbindet alles mit packenden Beats. An dieser Stelle meine kleine Kritik an diesem Abend. Die Wahl des Wochentages war leider nicht ideal. Obwohl man gerne bis in alle Nacht hinein das abwechslungsreiche Programm genossen hätte, wog die Müdigkeit der ganzen Woche zumindest bei mir schwerer. Was vielleicht auch nur an meiner Pandemiefaulheit liegen könnte. Alles in allem aber ein mehr als gelungener Abend mit grandiosen Bands und ausgelassener Stimmung.