Musik als radikale Kunst

von Kylie Barth 13. Dezember 2013

Nach zehn Jahren gemeinsamen Wirkens bringen die zwei Berner Rapper Tommy Vercetti und Dezmond Dez ihr Album «Glanton Gang» heraus. Im Interview erzählen sie, weshalb das neue Album komplexe Themen aufgreift und wie die Zusammenarbeit mit Produzent Sir Jai war.

Das Album ist nach der Glanton Gang aus dem Roman «Blood Meridian» von Cormac McCarthy benannt. Wie kam es zu dieser Betitelung?

DEZMOND DEZ: Der Schriftsteller ist einer unserer Lieblingsautoren. Dieses Buch ist eines seiner prägnantesten Werke. Sein Stil und seine Präzision haben uns sehr beeindruckt. Der Name «Glanton Gang» hört sich aber auch sonst gut an als Bandname.

TOMMY VERCETTI: Wir haben uns von der Form des Buches inspirieren lassen. Die Gang ist für uns weniger wichtig. Die Figur Glanton stellt die Ausgeburt des Systems dar, wie es im Buch dargestellt ist. Ein System, das aus der Kontrolle gerät.

Wieso ist die Zusammenarbeit für ein Album erst nach zehn Jahren entstanden?

TOMMY: Wir hatten viel Zeit gebraucht für unsere Solo-Alben. Und ein ernsthaftes Album zu zweit aufzunehmen ist komplizierter. Um eine gemeinsame Vision abzuhandeln, ist es schwieriger, sich zu finden. Aber wir konnten uns gut arrangieren, weil wir in letzter Zeit die gleichen Sachen gelesen haben und über die gleichen Themen diskutierten. Dadurch konnten wir uns auf die Themen einigen. Die gleichen Interessen führten zu den gleichen Stossrichtungen.

Hattet ihr Zeitdruck?

DEZMOND: Ja das hatten wir. Aber es war gut so. Hat man einen Termin, dann muss es bis dahin fertig sein. Ansonsten läuft man Gefahr, in eine Endlosschlaufe zu geraten.

Wie war das Zusammenwirken mit dem Produzent Sir Jai (Dj von Kool Savas)?

DEZMOND: Die Samples haben wir alle zusammen ausgesucht und besprochen, was von der Stimmung her passt. Sir Jai ist ein versierter Produzent und meistens waren wir schon mit seinen ersten Skizzen sehr zufrieden.

TOMMY: Musikalisch ist es eigentlich sein Album. Technisch ist er auf einem jenseitigen und internationalen Level. Und er tickt genauso wie wir. Deshalb haben wir erst danach aus unseren Notizen die Texte zusammengefasst.

Ihr habt klare Botschaften in den Songs, wie wichtig sind euch diese?

DEZMOND: Die Inhalte sind uns wichtig. Im Rap kann man in wenig Zeit extrem viel sagen und dieser Voraussetzung versuchen wir, mit unserer Musik gerecht zu werden. Auf dem Album haben wir unsere persönliche Auffassung wiedergegeben. Aber jeder kann das so Auffassen, wie er es möchte. Deshalb sind die Songs auch wohl überlegt und sollen den Zuhörer anregen, es mehrmals anzuhören.

Wieso  greift ihr gesellschaftskritische Themen auf?

TOMMY: Weil wir politisierte Menschen sind und wir denken, dass es wichtig ist, solche Themen aufzubringen. Zumal wir auch auf einem ganz persönlichen und egoistischen Level leiten und lenken können. Am Schluss hocken wir alle im gleichen Boot und die Auswirkungen treffen uns alle.

Rap wird oft als Jugendmusik bezeichnet. Beeinflusst ihr durch eure Musik die jüngere Generation?

DEZMOND : Beeinflussen wäre viel zu stark. Es ist eher so, dass sie sagen, «durch diesen Song habe ich über dies und jenes nachgedacht». Und das ist viel Wert, wenn wir schon die Jüngeren anregen können, über einige relevante Themen nachzudenken.

TOMMY: Man muss schauen, inwiefern es kontraproduktiv werden kann. Aber wir sind auch durch Musik politisiert worden. Wir haben uns damals auch mit den Themen auseinandergesetzt und nachgedacht in was für eine Gesellschaft wir leben und was überhaupt passiert. Das ist bei uns auch durch Musik geschehen.

Wie beurteilt ihr die Verständlichkeit der Songs?

DEZMOND: Wenn man selbst das Album macht, dann ist es schwierig einzuschätzen, wie es für den Hörer sein wird. Aber ich finde, das kann zu einer Langlebigkeit der Musik führen. Man muss ja auch nicht immer alles im Detail verstehen. Es reicht das Verstehen des Kontextes.

TOMMY: Es ist eine ganz bewusste künstlerische Entscheidung, in welchem Verständlichkeitsgrad man sich bewegt. Das hat man auch in Büchern und Gedichten. Es ist beabsichtigt, dass man sich das Album mehrmals anhört und immer neues dabei entdeckt.

Auf dem Album habt ihr Sketches eingefügt. In dem einen sagst du, Tommy, du bist Künstler geworden für ein Minimum an Freiheit. Was meinst du damit?

TOMMY: Es gibt dir eine Plattform zu sagen, worüber du nachdenkst. Es ist aber eine überspitzte Aussage, denn du wirst nicht als Künstler geboren, sondern wächst hinein. Für mich ist aber damit das folgende gemeint: «Ein Raum, in dem man radikal zu sich selbst sein und seine Gedanken äussern kann.» Widersprüchlich wäre es, diesen Raum aufzugeben.

Neben der Musik bist du, Tommy, Grafiker. Wo findest du deinen Ausgleich?

TOMMY: Ausgleich ist ein schwieriges Wort. Man sollte nämlich nichts machen, was einem Ausgleich bringt. Man sollte nur das machen, was man gerne macht. Ich bin aber so ein Mensch, der verschiedene Sachen braucht, um eine gute Konzentration zu haben. Es gibt aber viele Parallelen in meinem Alltag.

Verbindest du Politik mit Musik in der Umsetzung von Veranstaltungen?

TOMMY: Nicht unbedingt. Ich schaue Musik als eine radikale Kunst an, natürlich auch kommerziell durchdrängt. Kunst ist schon per se politisch, da sie seine eigenen Aussagen macht. Jedoch darf sie nicht realpolitisch, nicht instrumentalisiert werden. Und wenn ich bei solchen Anlässen auftrete, dann geht es nur um Engagement.

Du, Dezmond, hast an der Universität Bern Philosophie und Germanistik studiert, jetzt fängst du mit Pädagogik an. Inwiefern färbt sich dein Studium auf deine Musik ab?

DEZMOND: Ich habe mich immer sehr für Sprachen interessiert. Somit war es logisch, in diese Richtung zu studieren. Literatur hat schon früh meine Aufmerksamkeit geweckt. Sicherlich haben mein Studium und meine persönliche Lektüre auf meine Musik  gewirkt, dies geschieht wohl oft auch unbewusst.

Im Song «Glasmönsch» geht es um das Thema «social networking». Wie wichtig ist euch die Privatsphäre?

DEZMOND: Für mich ist sie extrem wichtig. Bei uns ist das ein ambivalentes Thema. Wir sind erst später in das Medium reingekommen als die heutige Jugend und haben darum wohl auch eine gewisse Distanz dazu. Privates und/oder Intimes öffentlich auszubreiten, käme für mich nicht in Frage.

TOMMY: Für uns ist dieses Medium dennoch sehr wichtig, da wir öffentliche Menschen sind. Aber wir achten darauf, was in diese Öffentlichkeit kommt.

Wie wichtig sind euch Rückmeldungen von nahstehenden Personen?

DEZMOND: Für mich sind sie extrem wichtig, weil man an Beurteilungsvermögen verliert, wenn man lange an einer Sache arbeitet. Du musst Leute finden, die den Mut haben, offen zu dir zu sein und Verbesserungsvorschläge einzubringen.

TOMMY: Es sind eben diese bestimmten Personen, die dir ähnlich sind und gleich ticken. Deren ehrliche Meinung ist uns sehr wichtig. Es kann natürlich dazu kommen, dass es kommerziell nicht erfolgreich wird. Aber in erster Linie geht es darum, sich selbst gut zu finden.

Habt ihr vor einem Auftritt überhaupt noch Lampenfieber?

DEZMOND: Eigentlich selten. Aber es kommt darauf an, wie speziell die Veranstaltung ist. Beispielsweise am Gurtenfestival ist man schon ein bisschen nervös, aber man entwickelt gewisse Routinen, die einem vor zu grosser Nervosität bewahren.

TOMMY: Im Bierhübeli ist es zum Beispiel so, dass du weißt, die Leute kommen nur wegen dir. Es ist so wie ein Heimspiel. Die Grösse ist eigentlich irrelevant. Am nervösesten war ich aber an der Literaturpreisverleihung bei der Lesereihe. Da hatte ich Lampenfieber aufgrund des unbekannten Terrains.