Museum des Kapitalismus

von David Fürst 18. Oktober 2023

Arbeit strukturiert das Leben der Menschen. Was macht sie mit uns? Wer ist von Arbeit auf welche Weise betroffen? Ein Gespräch mit dem Kollektiv des Museums des Kapitalismus (MDK) in Bern über die neue Ausstellung zum Thema Arbeit.

Journal B: 2019 habt ihr mit vielen interaktiven Elementen eine Ausstellung zum Thema Kapitalismus auf der Schützenmatte gemacht. Die Besucher*innen konnten beispielsweise selbst Vermögen raten, Wasser pumpen, eine Krise nachspielen oder Privilegien auf einem Pfad nachgehen. Nun nehmt ihr euch dem Thema Arbeit an. Wie kommt ihr vom Thema Kapitalismus zum Thema Arbeit?

MDK Kollektiv: Das Thema Arbeit der diesjährigen Ausstellung hängt natürlich eng mit dem Kapitalismus zusammen: Es geht um Arbeiten im Kapitalismus und um Utopien zu Arbeit oder Tätigkeiten jenseits des Kapitalismus. Ausgangspunkt der letzten Ausstellung war der Alltag der Menschen: Wie wirkt der Kapitalismus auf unseren Alltag – bewusst aber auch unbewusst? Dasselbe haben wir uns auch für die neue Ausstellung gefragt: Welche Arbeiten prägen den Alltag der Menschen? Weshalb arbeiten wir so viel? Und wie könnte es auch anders aussehen? Das Ziel ist also nach wie vor, den Kapitalismus im doppelten Sinne ins Museum zu bringen.

Wie würde ich meine Zeit gestalten, wenn ich frei darüber entscheiden könnte?

Beim Thema Arbeit sind fast alle Lohnabhängigen betroffen aber nicht alle leben gleich prekär. Was habt ihr für Wege gefunden, um den Menschen das Thema Arbeit näherzubringen?

Kapitalismuskritik ist oft komplex und theoretisch, was abschreckend wirken kann. Dabei machen wir alle unsere eigenen Erfahrungen damit, dass unsere Welt kapitalistisch organisiert ist, wenn auch – wie du sagst – nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen. Zum Beispiel müssen wir eben alle entweder Lohnarbeit und/oder unentgeltliche Care-Arbeit leisten, Rechnungen am Ende des Monats zahlen. Oder wir haben vielleicht manchmal das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Welche anderen Methoden gibt es also nebst trockenen und komplizierten Texten, die Mechanismen von Arbeit im Kapitalismus zu vermitteln? Wir haben in der Ausstellung verschiedene Wege gewählt, um Aspekte des Thema Arbeit auszustellen: Schätzaufgaben, Fotos und Filme, Audiobeiträge, Spiele, Bereiche, in denen die Besuchenden ihre Wünsche wiedergeben können u.v.m. Im Erstellungsprozess aber auch eine Herausforderung, den Spagat zu finden zwischen Inhalte in möglichst zugängliche Exponate umzuwandeln ohne den Inhalt zu vereinfacht darzustellen. Und dabei auch noch versuchen, unterschiedliches Vorwissen zu berücksichtigen. Die Ausstellung zeigt einige spezifische Blickwinkel und Fragen auf das Thema Arbeit, ist natürlich aber niemals umfassend oder abschliessend.

Nikita arbeitet als Metallbauer (Foto: David Fürst).

Ihr möchtet Menschen auf verschiedenen Ebenen erreichen, mit Spielen, Schätzaufgaben und visuellen Beiträgen. Ich habe oft das Gefühl, dass Emotionen zu wenig erreicht werden in politischer Arbeit. Wie möchtet ihr die Menschen gefühlsmässig ansprechen?

Wir können uns gut vorstellen, dass die Posten durch ihre Inhalte bei Besuchenden diverse Emotionen auslösen werden. So kommen viele Ungleichheiten zur Sprache, wie zum Beispiel unbezahlte und abgewertete Arbeit, (neo)koloniale Ausbeutung oder ungleiche Verteilung von Wohlstand.  Die Ausstellung geht im Grundsatz vom Alltag der Menschen aus: Für welche Arbeiten verwenden wir unsere Zeit? Was für Arbeiten stecken beispielsweise in meiner Jeans? Wie lange müsste ich Arbeiten, um so reich zu werden wie Elon Musk? Wie würde ich meine Zeit gestalten, wenn ich frei darüber entscheiden könnte? Was wäre mir wichtig in der gesellschaftlichen Organisation von Arbeiten? Wir versuchen, die Menschen in ihrem Alltag abzuholen, mit der Kritik an den Mechanismen des Kapitalismus dort anzusetzen, wo Emotionen ausgelöst werden.

Denn wie unsere Welt heute ist, ist nicht in Stein gemeisselt, es könnte auch anders sein.

Was erwartet ihr für einen Effekt durch die Ausstellung?

Das Ziel ist, dass Menschen sich aus ihrer persönlichen Perspektive Gedanken machen und davon ausgehend Zusammenhänge zur Gesellschaft herstellen. Das Projekt soll die herrschenden Verhältnisse kritisieren und es wäre schön, wenn sich Menschen durch den Museumsbesuch angeregt fühlen, sich mit solchen Themen und Fragen auseinanderzusetzen. Durch den interaktiven Aufbau wollen wir Diskussionen anstossen und die Besuchenden zum Hinterfragen ermuntern. Denn wie unsere Welt heute ist, ist nicht in Stein gemeisselt, es könnte auch anders sein.

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Wie setzt sich das Kollektiv zusammen? Seid ihr politisch aktive Menschen, die in ihrer Jugend und 20igern viel auf der Strasse waren und jetzt in den 30igern die Strategie wechseln?

Wir sind unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Hintergründen und machen bereits seit mehreren Jahren politische und kulturelle Projekte. Wir versuchen nach wie vor viel auf die Strassen zu gehen, Gründe gibt’s genug. Aber für den Weg in eine gewalt- und herrschaftsfreie Welt braucht es wohl auch Ansätze auf verschiedenen Ebenen. Demos, DIY-Museen und weitere politische Aktions- und Bildungsformen schliessen sich ja nicht gegenseitig aus, sondern können Teil einer gemeinsamen Bewegung sein. Es ist aber eindeutig auch unsere Absicht, mit dem Museum auch Leute ausserhalb einer klassisch linken Szene anzusprechen.

Sophie ist Juristin und Mutter (Foto: David Fürst).

Wie waren eure Erfahrungen in der Vergangenheit? Und wie werden Menschen ausserhalb einer klassisch linken Szene angesprochen?

Die Erfahrungen im 2019 waren eigentlich sehr positiv. Während der vierwöchigen Ausstellung gab es circa 2’000 Besuchende mit unterschiedlichen Hintergründen, aus unterschiedlichen Altersgruppen und die auch über verschiedene Wege vom Museum erfahren hatten – beispielsweise über Mund-zu-Mund-Propaganda, über Zeitungsartikel in Leitmedien, über Plakate oder weil sie per Zufall dran vorbeigelaufen sind. Es kamen auch einzelne Gruppen aus Bildungskontexten vorbei. Das Museum ist dann nach der Ausstellung in Bern weitergereist und wurde ebenfalls in Grindelwald, Zürich, im Graubünden und in Interlaken ausgestellt und teilweise auch adaptiert. In Grindelwald ging es beispielsweise auch darum, wie (Massen)-Tourismus Orte und Räume verändert. Wir versuchen auf unterschiedlichen Kanälen und Weisen auf das Museum und seine Themen aufmerksam zu machen – denn schlussendlich betreffen die zentralen Fragen der Ausstellung «Wie ist Arbeit in unserer Gesellschaft verteilt? Und wie wollen wir Arbeit gerechter organisieren? » alle.

Valbona arbeitet in einer Bäckerei (Foto: David Fürst).

Dieses Interview erschien zuerst in der Zeitschrift «megafon».