«Museen sollen unterhaltend sein»

von Beat Kohler 20. März 2013

Das Alpine Museum der Schweiz ALPS ist für den Europäischen Museumspreis nominiert. Direktor Beat Hächler erklärt, wie man eine gelungene und publikumswirksame Ausstellung macht.

Beat Kohler: Museen – auch das Alpine Museum – stehen in direkter Konkurrenz zum Internet. Viele der hier gezeigten Inhalte kann ich online abrufen. Was muss eine Ausstellung bieten, damit sich die Menschen von ihrem Bildschirm wegbewegen und wirklich ins Museum kommen?
Beat Hächler:

Das hat mit der Frage zu tun, was ein Museum heute ist. In der früheren Dauerausstellung im Alpinen Museum waren dreidimensionale Exponate mit dem dazugehörigen, erklärenden Text zu sehen. Es ging um den reinen Wissenstransfer. Diese Art von Wissen ist heute zu einem grossen Teil im Internet abrufbar. Deshalb bin ich der Meinung, dass Museen heute immer stärker zu einem sozialen Raum werden müssen, indem diskutiert und reflektiert werden kann.

«Museen müssen heute immer stärker zu einem sozialen Raum werden.»

Beat Hächler, Direktor SAM

Wie verändert dies das Museum?

Das Museum wird zum Begegnungsraum. Wenn ich mit jemandem vor Ort über eine Ausstellung diskutiere, passiert etwas anderes, als wenn ich dieses Wissen alleine vor dem Bildschirm konsumiere. In dieser Richtung lassen sich neue Ausstellungen konzipieren, indem Raum für solche Begegnungen geschaffen wird. Das habe ich hier im Alpinen Museum versucht. Beim aktuellen Skithema mit der Ausstellung «Intensivstationen» war der Austausch mindestens genauso wichtig wie die Bilder von Lois Hechenblaikner. Mit den Reaktionen kann man spielen. Es lassen sich Anreize schaffen, damit noch mehr Diskussionen stattfinden. Die Reaktionen werden am Schluss Teil der Ausstellung. Das Museum wird zur Piazza, auf der man sich zu den gezeigten Themen Gedanken macht. Es kann so zu einer guten Ergänzung zur Online-Welt werden.

Verleitet diese Konstellation die Museen zur Effekthascherei? Braucht es einen Knalleffekt, damit die Besucher kommen?

Das ist sicher so. Museen sollen auch unterhaltend sein, dagegen wehre ich mich nicht. Die Frage ist, wie intelligent der Auslöser für den Besuch ist. Die «Intensivstationen» haben etwas Provokatives, was zum Teil lediglich als Medienstrategie abgestempelt wurde. Ich denke aber, dass in der Ausstellung ein sehr ernsthaftes Thema behandelt wird.

Ist das Skistiefelweitwerfen an der Museumsnacht ein solch notwendiger Knalleffekt?

Das ist eine kleine Persiflage auf die vorhandene Veranstaltungswut, die Eventitis, die mit dem ganzen Instrumetarium spielt, welches solche Anlässe mit sich bringen. Damit können wir den Besuchern auch Spektakel bieten.

«Die Museumsnacht ist Spektakel.»

Beat Hächler, Direktor ALPS

Wie sorgen Sie dafür, dass es nicht beim Spektakel bleibt?

Die Museumsnacht ist Spektakel. Der Unterhaltungswert steht im Vordergrund. Die Veranstaltung hilft, viele Leute auf eine andere Art an Museen heranzuführen, als dies im Alltag geschieht. So sehen auch Menschen, die sonst keine Museen besuchen, dass es diese Institutionen gibt. Ich bezweifle, dass man mit dieser Veranstaltung neue Museumsgänger findet. Das, was man an diesem Abend erlebt, hat mit einem «normalen» Ausstellungsbesuch herzlich wenig zu tun. Bei der konkreten Aktion ist die Verknüpfung zur Ausstellung dadurch gegeben, dass es einen direkten inhaltlichen Bezug zu «Intensivstationen» gibt. Das Skistiefelweitwerfen ist die Karikatur dessen, was in der Ausstellung auf den Bildern zu sehen ist. Dass nicht alle Besucher diese Verknüpfung machen werden, nehmen wir in Kauf.

«Intensivstationen» ist ein Erfolg. Wie wollen Sie diesen Erfolg wiederholen? Was gilt es grundsätzlich bei einer neuen Ausstellung zu beachten?

Wir machen uns sehr viele dramaturgische Überlegungen, wie wir einen Stoff überhaupt umsetzen wollen. Das ist ein wichtiger Teil, der vordergründig die Ausstellung ausmacht. Es ist für mich aber mindestens so wichtig, die Strategie festzulegen und zu überlegen, welches Zielpublikum man ansprechen will. Ich habe den Eindruck, dass dies nicht immer und überall gemacht wird.

Was ist Ihre Strategie und Ihr Ziel mit der neuen Ausstellung?

Der SAC, der auch zu den Trägern und Gründern dieses Museums gehört, feiert dieses Jahr sein 150-Jahre-Jubiläum. Da tauchte die Frage auf, ob wir darauf Bezug nehmen. Wir haben uns dafür entschieden, die nächste Schwerpunktausstellung diesem Jubiläum zu widmen. Wir mussten für uns die Frage beantworten, warum wir genau dieses Projekt in Angriff nehmen und was wir damit erreichen wollen. Die neue Ausstellung soll den SAC und das Alpine Museum näher zueinanderbringen. Ich möchte viel mehr Mitglieder des SAC dazu bringen, hierherzukommen. Das ist bis jetzt nicht so. Der SAC ist eine Art Schweiz im Kleinen. Er enthält die Zellstruktur der Schweiz, beispielsweise bezüglich des Umgangs mit dem Föderalismus oder der Frauenfrage. Unsere Zielsetzung ist zu entschlüsseln, was diesen SAC ausmacht. Wir wollen nicht die Heldengeschichte des Alpinismus nacherzählen, sondern herausfinden, was sich anhand des SAC über die Gesellschaftsgeschichte der Schweiz sagen lässt.

«Wir bauen eine Struktur auf, damit wir eine Geschichte erzählen können.»

Beat Hächler, Direktor ALPS

Diese Ausgangslage ist deutlich weniger provokativ, als sie es bei «Intensivstationen» war. Wie setzen Sie dieses Thema um?

Wir bauen eine Struktur auf, damit wir eine Geschichte erzählen können. Es ist wichtig, dass die Ausstellung einen unterhaltenden Wert hat. Es braucht die passende Dramaturgie, Szenographie und Raumgestaltung, damit ich mir als Besucher eine Geschichte selber vorführen kann. Im Unterschied zum Theater und zum Film sitze ich nicht fest auf einem Stuhl und die Geschichte wird an mir vorbeigeführt. Im Museum ist die Szenerie fest aufgebaut und ich bewege mich selber durch diesen «Film» hindurch. Als Austellungsmacher habe ich deshalb den Faktor Zeit nicht im Griff. Es gibt Leute, die schneller durch die Ausstellung gehen und andere langsamer. Die Ausstellung muss für verschiedene Besucher funktionieren. Deshalb muss ich gut überlegen, was für eine Inszenierung ich wähle, welche Medien ich einsetze, welche Erzählhaltung ich einnehme und wer überhaupt erzählt.

Hat die Definition der Zielgruppe einen Einfluss auf die Dramaturgie? Wird diese zielgruppengerecht inszeniert?

Im Extremfall schon. Im Vermittlungsbereich bei Kindern und Jugendlichen wird das sehr deutlich. Dort muss die Vermittlung der Stoffe stufengerecht erfolgen. Wenn wir Workshops oder Führungen vorbereiten, schauen wir, inwieweit die Themen überhaupt in den Lehrplänen vorkommen. Wenn wir nun SAC-Mitglieder hierher locken möchten, dann geschieht dies nicht durch die Inszenierung, sondern durch direkte Kommunikation. Wir haben schon sehr früh Tourenleiter informiert, damit sie ihre Ausflüge hierher planen können. Wir haben auch die Kulturdelegierten der SAC-Sektionen während eines Tages eingeladen, um ihnen unser Konzept vorzustellen. Das kann auch inhaltlich einen Einfluss haben. Etwa wenn wir eine Idee diskutieren oder wenn wir etwas von diesen Leuten für die Ausstellung einfordern. Konkret waren wir auf der Suche nach Fotos aus Clublokalen in den Städten. Der SAC ist ja nicht nur in den Bergen zu Hause. Wir haben danach von vielen Sektionen Bilder aus ihren Clublokalen zugeschickt erhalten. So erhielten wir eine hübsche Auswahl an städtischen Räumen, welche an sich mit Bergen nicht viel zu tun haben.

Entsteht so auch eine stärkere Verbindung zwischen Zielpublikum und Museum?

Das kann ein positiver Effekt sein. Vielleicht sind aber bei diesen Besuchern auch ganz andere Vorstellungen vorhanden, wie eine solche Ausstellung aussehen sollte. Es gibt ganz vieles aus diesen 150 Jahren, das wir nicht unterbringen können. Wer ganz nahe an einem Thema dran ist, bringt seine eigenen Vorstellungen mit.

«Der Vergleich mit der Regie scheint mir richtig.»

Beat Hächler, Direktor ALPS

Übernehmen Sie als Ausstellungsmacher im Museum die Aufgabe eines Regisseurs? Wie stark spielt Ihre Intuition beim Inszenieren einer Ausstellung eine Rolle?

Der Vergleich mit der Regie scheint mir richtig. Der Ausstellungsmacher hat eine ähnliche Funktion. Viele Spezialisten in einzelnen Sparten sind an der Produktion einer Ausstellung beteiligt. Es gibt Spezialisten für Szenographie, für das Licht, für Medientechnik und vieles mehr. Der Ausstellungsmacher muss den ganzen «Film», die ganze Ausstellung im Auge behalten. Wichtig ist mir, dass nicht alles, was technisch machbar ist, inhaltlich auch sinnvoll ist. Man muss nicht überall noch einen QR-Code zum Einscannen zeigen, damit die Besucherinnen und Besucher ihr Handy aktiv für die Ausstellung nutzen können. Heute kann man aus einer Vielzahl von Optionen auswählen. Das macht die Arbeit anspruchsvoller. Man muss den richtigen Mix finden, wie man etwas vermittelt. Letztlich ist das auch eine Frage des Geldes. Das Budget schränkt den Einsatz der Mittel ein.

Spielt Intuition in Ihrer Funktion eine wesentliche Rolle?

Intuition und Erfahrung. Ich lerne in jeder Ausstellung wieder neu dazu, was funktionieren kann und was nicht. Die gute Grundidee ist die halbe Miete. Eine gute Idee, die gut umgesetzt wird, ergibt ein gutes Resultat. Eine schlechte Idee kann ich noch so gut umsetzen, sie wird wahrscheinlich nie zum Erfolg. Es ist schwer zu sagen, inwieweit man eine solche Idee herbeizwingen kann. Manchmal wird man von einer solchen Idee angesprungen und manchmal ist es ein Kampf, wie das bei kreativen Prozessen häufig der Fall ist.

Wie messen Sie für sich schliesslich den Erfolg einer Ausstellung? Sind die Besucherzahlen wichtiger als gute Kritiken und viele Diskussionen?

Die Antwort ist wenig überraschend: Alle Faktoren spielen eine Rolle. Wenn ich eine Ausstellung mache, von der ich überzeugt bin, dass sie inhaltlich hervorragend ist, ich damit aber kein Publikum finde, müsste ich ziemlich überheblich sein, sie immer noch so gut zu finden. Die Publikumszahlen lassen sich nicht ausblenden. Wir budgetieren Publikumszahlen. Das ist ein überlebenswichtiger Faktor für dieses Haus. Wir brauchen einerseits das Geld. Andererseits ist die Besucherzahl auch ein Leistungsausweis. Danach fragen Politiker und private Geldgeber als erstes. Darum komme ich nicht herum. Selber bin ich aber an der Interaktion mit dem Ausstellungsbesucher interessiert. Je mehr Publikum, desto besser, wenn es im Dienste dessen ist, was ich mit der Ausstellung vermitteln will.

«Wenn der Zwang zum Volumen mich als Ausstellungs- macher korrumpieren würde, wäre das falsch.»

Beat Hächler, Direktor ALPS

Blendet man unbequeme Themen eher aus, um möglichst viel Publikum zu erreichen?

Im Gästebuch der «Intensivstationen» gehen die Meinungen zu den gezeigten Inhalten diametral auseinander. Ich finde es toll, wenn sich möglichst viele Besucherinnen und Besucher mit diesem Thema beschäftigen. Auch aus diesem Grund habe ich lieber 15 000 Besucher als nur 10 000. Deshalb habe ich auch nicht Mühe damit, wenn solche Ziele definiert werden. Problematisch fände ich es, wenn man Themen ausschliessen würde aus Angst, eine bestimmte Zuschauerzahl nicht zu erreichen. Wenn der Zwang zum Volumen mich als Ausstellungsmacher korrumpieren und die Ausstellung konfektionieren würde, wäre das falsch. Von solchen Problemen bin ich im Moment im alpinen Museum glücklicherweise noch ziemlich weit entfernt. Die Leitung des Hauses erhält die Freiheit zugesichert, das Thema wählen zu können, das sie als richtig und notwendig erachtet. Sie setzt sich gleichzeitig Ziele, wie viel Publikum damit erreicht werden soll. Das ist eine gesunde Mischung.

Sie dürfen also den SAC – der auch Träger des Hauses ist – in der Ausstellung kritisch beleuchten und finden dennoch genügend Publikum?

Auf jeden Fall. Kritisch kann in diesem Fall heissen, dass wir Aspekte hervorheben, die vielleicht nicht als erstes auf einer SAC-Webseite zu finden sind. Wir können den Stoff in einer grossen Unabhängigkeit umsetzten. Das ist für mich – vergleichbar mit einer journalistischen Arbeit – eigentlich eine Grundbedingung, um überhaupt arbeiten zu können.