Morden für die wahre Realität

von Fredi Lerch 18. Juni 2014

In Elio Pellins eben erschienenem Kriminalroman wird Bern von einem literarischen Serienmord erschüttert. Ein Fall für Krissy Kraut, der man nur wünschen kann, dass sie unserer Polizei für weitere Fälle erhalten bleibt.

Eine schlimme Geschichte: Auf dem Grebel-Hof in Niederbottigen wird der alte Röthli erschossen und der Jungbauer Grebel verhaftet. Aber es kommt noch schlimmer: Im Brockenhaus Hiob am Pappelweg findet man den Mitarbeiter Emmenberger, geschlachtet wie ein Vieh und säuberlich ausgenommen. Und im Garten des «Sternen» in Bümpliz wird auch noch Hans Steiger erstochen, und zwar, man staune, mit einer Velospeiche.

Eine Mordserie in Bern! Krissy Kraut, die Fahnderin, Ramon Bieli, der Kollege von der Kripo, und Bastiano Boscardin, der blitzgescheite Ballistiker, sind gefordert.

Literaturmorde in Bern

Boscardin erinnert sich: Wurde nicht in C. A. Looslis Roman «Die Schattmattbauern» der alte Andreas Rösti erschossen und danach der Jungbauer Grädel zu Unrecht in Untersuchungshaft genommen? Boscardins Geliebte, die Literaturwissenschaftlerin Patrizia Bühler, fügt später bei, in Friedrich Dürrenmatts Krimi «Der Verdacht» habe doch jener teuflische Arzt, der Leute bei vollem Bewusstsein zu Tode operierte, Emmenberger geheissen. Und bald ist auch klar, in welchem Schweizer Krimi ein Jean Stieger mit einer Velospeiche umgebracht wird. Damit ist der Zusammenhang zwischen den Morden geklärt. Aber wo ist das Motiv? Und wo der Täter?

Schon spricht der Feuilletonist Burri (ein Kollege von Sury) in der Zeitung von «Literaturmorden» und fragt: «Welcher Autor inspiriert den Mörder als Nächster?»

Ein Text aus verschiedenen Texten

Einen solchen Krimiplot traut man in Bern zum Beispiel weder E. Y. Meyer noch Alex Gfeller zu. Und der Berner Krimispezialist Paul Lascaux liebts in der Regel kulinarischer. Dieser Plot muss zwingend von jenem Literaturwissenschaftler stammen, der als Ghostwriter auch schon Satiresendungen von Radio DRS ein bisschen lustiger gemacht hat, als sie sonst gewesen wären und uns daneben als hoffnungsvoller Jungautor des Verlags Scharfe Stiefel unsterbliche Figuren wie Kobi Kühn, Schranz oder Tinu Torriani geschenkt hat: Elio Pellin. Sein Krimierstling erscheint in diesen Tagen und trägt den Titel «Risotto für Krissy Kraut».

Als Krimi ist die Lektüre ein Vergnügen wegen Sprache und Tempo, der klugen Konstruktion und dem bösen Witz, der stets mit ausgesucht höflichem Understatement vorgetragen wird. Aber wer gern genau liest, findet en passant immer wieder Hinweise darauf, dass der Text nicht einfach ein Krimi ist, sondern raffiniert mehrfachcodiert funktioniert. Er ist auch ein bisschen Essay über die bernische Krimigeschichte und über krimi-, erzähl-, erkenntnis- und sprachtheoretische Fragen. Und ein bisschen ist er, besonderes vergnüglich, ein Schlüsselroman, in dem nicht nur Personen, sondern auch Texte entschlüsselt werden können.

Leitmotiv bildet eine Frage, die auch nicht gerade in jedem Krimi abgehandelt wird: Wieviel hat ein Text im Allgemeinen und ein Krimi im Besonderen mit Realität zu tun? Die Position, Krimis hätten «mit Realität nichts zu tun», steht der gegenteiligen gegenüber, gerade recherchierte «Realitätsnähe» sei ein Markenzeichen des guten Krimis. Wer genau liest, hört aus dem Mund eines Protagonisten dazu sogar Niklaus Meienberg mitdiskutieren (Seite 48). Dass Pellin schliesslich eine quasi fundamentalistische Position innerhalb dieser Diskussion zum Motiv des mordenden Serientäters werden lässt, ist die bewundernswürdige Pointe der Konstruktion.

Hinweis an allfällige Ignoranten

Selbstverständlich löst Krissy Kraut diesen Fall. Aber sie muss sich am Schluss auf dem Fahrrad doch ziemlich beeilen, damit die Literaturwissenschaftlerin den Fall überlebt.

An dieser Stelle können noch alle Ignoranten und Ignorantinnen beruhigt werden: Man muss diesen Krimi nicht gelesen haben. Aber wer sich in diesem Sommer ohne Kraut und Boscardin ins Lorrainebad legt, verpasst definitiv etwas. (Schön sind die beiden auch noch!)