Mitmachen als Chance zur Veränderung

von Christoph Reichenau 7. Juni 2024

Quartierpartizipation Seit 2020 pflegt das Zentrum Paul Klee die Partizipation und kulturelle Teilhabe der Bevölkerung im Quartier und darüber hinaus. Ein Projekt wurde vor kurzem abgeschlossen. Die Kooperation Museum-Bevölkerung geht weiter.

Zuerst fiel zwischen dem Parkplatz und dem Restaurant Schöngrün der Garten auf mit Gemüse und Blumen. Dann las ich: «Durch das Projekt hat das Wir-Gefühl zugenommen; das Museum sind auch wir, als Besucher:innen.» Der Satz steht im Magazin «Kunsteinsicht» von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee. Die Neugier war geweckt: Wer pflegt den Garten? Wer sind wir? Was will das Projekt?

Es gibt im Zentrum Paul Klee (ZPK) seit ein paar Jahren Bemühungen um den Einbezug der Quartierbevölkerung. Auf Initiative von Direktorin Nina Zimmer finanzierte seit 2017 der Migros-Pionierfonds das Projekt «paul&ich«; Paul ist Klee, die «ich» wurden gesucht. Nach einer externen Person übernahm 2019 Eva Grädel die Projektleitung. Sie hatte zuvor im Museum Aargau gearbeitet und als Vermittlerin am Bernischen Historischen Museum. Das Quartier – Schöngrün, Schönberg-Ost, Schosshalde, Giacomettistrasse – sollte in seiner Gesamtheit angesprochen werden. Auch Menschen von anderswo waren willkommen.

Als schwierig zu erreichen erwies sich die Bevölkerung an der Giacomettistrasse; die Bewohner*innen der günstigen Wohnungen wechseln rasch und es gibt kein vereinendes Organ wie einen Quartierverein, über den die Bewohner*innen angesprochen werden können. Das Projekt «paul&ich» wurde 2023 abgeschlossen und als Einheit «Partizipation und kulturelle Teilhabe» in die Organisation des ZPK übergeführt.

Gemeinschaftsgarten

Die Gruppe, die sich im Projekt bildete, bestand mehrheitlich aus Frauen über 50 Jahren; diese bilden laut Statistik auch die Mehrheit der Besuchenden des ZPK. Mit Eva Grädel, die auch den Kontakt zum Kindermuseum Creaviva pflegte, machte sich die Gruppe auf den Weg. Aus einer Ideenwerkstatt 2020 entstanden in der Diskussion von mehr als 80 Personen gemeinsame Vorhaben.

Sichtbar ist der erwähnte Gemeinschaftsgarten. Er wurde auf 1‘200 Quadratmetern Ackerland angelegt, das vom grossen Monokulturfeld abgetrennt worden war. Zum Kern des Anfangs stiessen stets wieder neue Personen, die mit-gärtnern wollen.

Derzeit engagieren sich etwa 30 Personen. Sie organisierten sich selbst, legten das Aussehen des Gartens fest, bestimmten, was gesät und gepflanzt wurde, gossen, jäteten, ernteten. Sie sammelten Rezepte zur Nutzung des angepflanzten Gemüses und initiierten und co-kreierten eine Publikation zu Garten und Natur im «Fruchtland» (wie die Adresse des ZPK heisst).

Bilderclub

Eher unsichtbar ist der Bilderclub. Regelmässig versammeln sich Lai*innen vor einem Bild aus einer Ausstellung, lassen es auf sich wirken und äussern sich dazu. Eine Kunsthistorikerin gibt dann Informationen und ordnet die Bedeutung des Bildes ein. Abschliessend betrachten die Teilnehmenden das Bild nochmals und entdecken dabei zuvor Ungesehenes.

Es gab auch Ideen, die nicht umgesetzt werden konnten: Eine Rutschbahn etwa oder der Nachbau einer vom japanisch-amerikanische Künstler Isamu Noguchi inspirierten Landschaftsskulptur; Einsprachen und sicherheitstechnische Bedenken verhinderten das Vorhaben.

Die neu gewachsene Gemeinschaft hat eine wichtigen Anteil an der Motivation der Gärtner*innen, dabei zu bleiben.

Die Beziehungen unter den «ichs» und zwischen diesen und dem ZPK wurden schrittweise tragfähiger. Eva Grädel half nach mit vielen Gesprächen, Sitzungen, an Austauschtreffen. Es bildete sich eine partizipative Struktur heraus. Sie ist nicht abschliessend. Die höchste Stufe der Partizipation wäre Autonomie, Selbstbestimmung. Dies wird sich aus dem weiteren Prozess heraus und in Zusammenarbeit aller Beteiligten ergeben.

Eine Arbeitsgruppensitzung

Der Berichterstatter hatte Gelegenheit, an einem Arbeitsgruppentreffen teilzunehmen. 14 Personen sassen um den Tisch, darunter zwei Männer. Die einzelnen Arbeitsgruppen – Herbstfest, Bilderclub, Gemeinschaftsgarten – berichteten über das Erreichte, Probleme und neue Ansätze. Es ging darum, ob eine Einerleitung des Bilderclubs besser funktioniere oder ein kleiner Ausschuss vorteilhafter wäre. Plant man ein ganzes Jahr oder nur das nächste Mal? Wie verbinden sich die Gruppen mit anderen Organisationen, etwa der Nachbarngruppe Obstberg und der IG Schönberg-Ost? Kann die Gruppe Gemeinschaftsgarten einen Aussen-Parcours des ZPK gestalten?

Spürbar war die Bedeutung der Projektleiterin. Eva Grädel hielt die Fäden zusammen, fragte nach, mahnte Entscheidungen an, hielt diese nachfragend fest, moderierte partizipativ. Ruhig, klar, ohne Machtanspruch bot sie den Teilnehmenden sowohl Freiraum als auch Rückhalt – ein Kunststück.

Die Projektleiterin berichtete über zwei Evaluationsrunden zu «paul&ich», die wertvolle Einschätzungen der erreichten Wirkung erbracht habe. Eine nicht geplante Folge sei, dass sich manche Beteiligte heute gegenseitig einladen und an Festen anderer Quartiere teilnehmen.
2025 wird das ZPK 20 Jahre alt. Es schenkt sich selbst eine neue Signaletik im Innen- und Aussenraum. Und es wird im Juni 2025 ein grosses Fest feiern.

Schliesslich kommt ein Vorschlag für das weitere Vorgehen zur Diskussion. Das «Forum Paul Klee & Nachbarschaft» soll ein Wirkungsraum werden, «in dem Ideen ausgetauscht, entwickelt und umgesetzt werden können sowie Anliegen aus den Quartier in Bezug auf das ZPK wie auch umgekehrt besprochen und ausgelotet werden können.» Mindestens alle fünf Jahre soll es ein «offenes Ohr» geben, eine Ideenwerkstatt für die breite Bevölkerung zur Standortbestimmung und für neue Vorhaben.

Die Stimme der Freiwilligen

An einem Mittwochnachmittag, ein warmer Regen tröpfelt, arbeiten Frauen im Gemeinschaftsgarten. Sie jäten, schneiden, hacken. Je eine Gruppe kümmert sich um das Gemüse, die Blumen, die Kräuter. Einzelne waren fast von Anfang an dabei. Uta Fäh wohnt mit ihrer Familie in der Nähe, sie kam dazu als die ersten Beete gerade abgesteckt waren. Regelmässig gärtnert sie mit. Für sie ist der Garten eine ideale Form der Partizipation: alle können beitragen, Vorwissen ist nicht erforderlich, man kann ernten und sieht das Ergebnis der Arbeit. Und für das ZPK ist der bunte, durchmischte, nicht durchwegs gepützelte Garten eine Art Vorfeld des eigentlichen Museums, das ja in ein Feld hinein gebaut worden ist.

Für die Freiwilligen ist Eva Grädel ein Glücksfall. Sie mache keine Vorgaben, mache sich nicht wichtig, vermittle hin-und-her zwischen den Freiwilligen und den Professionellen des Museums, sei verlässlich. Unter den Freiwilligen gebe es keine grosse Fluktuation, auch da gelte Verlässlichkeit. Mittlerweile gebe es Überscheidungen der Freiwilligen des ZPK mit den Nachbarschaftsgruppen im Quartier.

Den Kontakt zu der Bevölkerung zu suchen, ist dem Museum hoch anzurechnen.

Allgemein kämen die Freiwilligen eher aus privilegierten Kreisen, hätten Zeit und ein Interesse an Kunst. Im Garten, der einem grossen Schrebergarten gleicht, bestünden zwar sozio-kulturellen Unterschiede und Barrieren – zum Beispiel hätten nicht alle (Schweizer)deutsch als Muttersprache – doch alle könnten mitmachen. Es gebe viel persönlichen Austausch, der weit über das Garten-Thema hinausgehe; die neu gewachsene Gemeinschaft habe eine wichtigen Anteil an der Motivation der Gärtner*innen, dabei zu bleiben.

Insgesamt findet Uta Fäh, die Freiwilligen mischten sich nicht in die Belange des ZPK ein. Sie fügten dem Museum etwas hinzu. Und sie fühlten sich im ZPK mehr zu Hause.

Mein Eindruck

Das ZPK liegt etwas ausserhalb der Stadt, eingebettet in die Landschaft des Schöngrüns bis zum Wyssloch. Den Standort hat seinerzeit die Mäzenenfamilie Müller bestimmt, die im Gegenzug den Bau des Zentrums weitgehend finanzierte. Die begrünten drei Hügel der Architektur Renzo Pianos sowie die Birkenallee und ein Birkenwäldchen betonen den Bezug des Museums zur Landschaft.

Vom Foyer des Museums lenken die grossen Fenster den Blick auf das Grün der Umgebung und die fernen Berge. Dennoch ist das ZPK kein selbstverständlicher Bestandteil des umliegenden Wohnquartiers. Den Kontakt zu der Bevölkerung zu suchen, ist dem Museum hoch anzurechnen. In wenigen Jahren ist Vieles gelungen, Beziehungen sind entstanden und, wie gesagt, das Wir-Gefühl ist gewachsen.

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Das geht nicht von selbst. Dass Partizipation funktioniert, hat viel zu tun mit der Projektleitung, die unermüdlich zwischen Museum und engagierten Quartierbewohner*innen vermittelt. Eva Grädel versteht Partizipation nicht als Einbahnstrasse, sondern als Hin-und-her. Im guten Fall führt Teilhabe «der Leute» zur Veränderung der Kulturinstitution. Im Schöngrün ist man auf dem Weg. Und man weiss, dass es dafür eine feste Struktur braucht. Die Organisationseinheit Partizipation und kulturelle Teilhabe ist eine Pionierleistung in Bern.

Von der Teilhabe-Erfahrung im Schöngrün können alle Kulturhäuser profitieren, gerade auch das Museumsquartier Bern. Schliesslich gehören sie, nicht alle in gleicher Weise, uns allen.