Mitarbeitende sollen Papier sparen, Stadträte nicht

von Jessica Allemann 26. April 2013

Der Stadtrat fordert: Die Mitarbeiterzeitung MAZ soll künftig nur noch in elektronischer Form verfügbar sein. 1’800 Personen werden so vorderhand ausgeschlossen. Die Unterlagen für die Stadtratssitzungen sollen per Beschluss weiterhin in Papierform versendet werden.

Die MAZ – die Zeitschrift für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Bern – soll künftig nur noch in elektronischer Form verfügbar sein. Dies hat gestern der Stadtrat im Rahmen einer Planungserklärung zuhanden des Gemeinderates entschieden. Damit sollen Druckkosten in Höhe von 12’000 Franken und Portokosten von 18’000 Franken pro Jahr eingespart werden. Mit 44 zu 32 Stimmen fällte das Parlament an der gestrigen Ratssitzung diesen Entscheid. SP und FDP waren gegen die Planungserklärung, unterlagen jedoch in der Abstimmung. Beim Entscheid zum papierlosen Parlament konnten SP und FDP hingegen auf die Unterstützung der SVP zählen: Mit 40 zu 23 Stimmen lehnten die Stadträtinnen und Stadträte Einsparungen bei Druck-, Papier- und Portokosten von Stadtratsunterlagen ab.

Rund 1’800 Mitarbeitende ohne Internetzugang am Arbeitsplatz

Die vier Mal jährlich erscheinende Zeitschrift geht jeweils an rund 4’000 Mitarbeitende, weitere 2’000 werden Pensionierten zugestellt. Walter Langenegger, Leiter des städtischen Informationsdienstes, schätzt, dass rund 1’800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung keinen direkten Zugang zu einem Computer haben. Demzufolge ist der Zugang zur elektronischen MAZ für nicht ganz die Hälfte aller städtischen Angestellten (45 Prozent) am Arbeitsplatz nicht sichergestellt. Dessen sei man sich bewusst. «Ich vermute, dass es nicht einfach sein wird, ganz alle zu erreichen», sagt Langenegger. Aber: «Der Entscheid des Parlaments ist klar. Unser Ziel ist jetzt, eine Möglichkeit zu finden, wie die Zeitung auf digitalem Weg zu möglichst allen Mitarbeitenden und Pensionierten gelangen kann.»

«Tablets für alle?»

Inakzeptabel findet das Michel Berger, Regionalsekretär vom Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste vpod: «Das ist ein ‘Sparen auf Teufel komm raus’ und geht nicht. Der Gemeinderat ist per Bundesverfassung dazu verpflichtet, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleich zu behandeln.» Auf Gewerkschaftsseite habe man die «blöde Idee» zur Kenntnis genommen und sei gespannt, welche Vorschläge der Gemeinderat zur Umsetzung des Entscheids und zur Sicherstellung der Informationen für alle vorbringen wird. «Vielleicht gibt es ja bald ein Tablet für alle?»

«Der Gemeinderat ist dazu verpflichtet, alle Mitarbeitenden gleich zu behandeln.»

Michel Berger, Regionalsekretär vom Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste vpod

Erste Lösungsansätze zur «elektronischen Erreichbarkeit» aller Verwaltungsangestellten gibt es bereits. Matthias Stürmer von der EVP (Ja zu papierloser MAZ und zu papierlosem Parlament) und Kurt Hirsbrunner von der BDP (zwei Mal Ja) können sich vorstellen, alle Pausenräume der Verwaltungsangestellten, mit Internetzugang auszustatten. Dass der digitale Graben durch die Abschaffung der MAZ in Papierform grösser werde, glaube Stürmer nicht, sofern man sich jetzt vehement für einen Internetzugang für alle Verwaltungsangestellten einsetze. «Internetzugang bedeutet nicht nur Zugang zur MAZ, sondern zu allen digitalen Medien.» Das Abschaffen des Papiers sei ein Schritt in diese Richtung und entspreche dem heutigen Zeitgeist. «Es gibt viele gute Beispiele dafür, dass Medien heutzutage nicht mehr gedruckt werden müssen.»

Stadtratsunterlagen weiterhin als Papierstapel

Brisant: An der gleichen Sitzung an der sich eine Mehrheit des Stadtrats gegen künftigen Druck und Versand der MAZ ausgesprochen hat, befand das Parlament auch, dass die Stadtratsunterlagen weiterhin in Papierform zur Verfügung gestellt werden. Damit nicht einverstanden ist Fraktionspräsident BDP/CVP Kurt Hirsbrunner (BDP). «Auch wir 80 Stadträtinnen und Stadträte müssen sparen und die benötigten Dokumente zuhause ausdrucken – ohne Entschädigung.» Wie viel Geld dadurch beim Ratssekretariat, welches für den Druck und Versand der Dokumente zuständig ist, eingespart werden könnte, sei noch zu eruieren.

«Auch wir Stadträtinnen und Stadträte müssen sparen.»

Kurt Hirsbrunner, Fraktionspräsident BDP/CVP

Die Einsparungen eines papierlosen Parlaments zu beziffern sei schwierig, sagt Ratssekretär Daniel Weber. «Wir sind denn auch nicht unglücklich darüber, dass diese Planungserklärung abgelehnt worden ist.» Man strebe aber sowieso den elektronischen Weg an, «der Übergang von Papier zum elektronischen Dokument wird jetzt aber sanfter gestaltet.» So wird nächste Woche ein elektronisches Ratsinformationssystem (kurz RIS) aufgeschaltet, auf dem sämtliche Stadtratsunterlagen verfügbar gemacht werden. «Die Ratsmitglieder erhalten vor jeder Sitzung den Link zu den Dokumenten», erklärt Weber. «Und jene, welche diese nur noch elektronischer Form erhalten möchten, können uns dies mitteilen und fortan aufs Papier verzichten.»

«Auch aus Eigeninteresse gehandelt»

Dass sich das Parlament nicht schon gestern zu einem papierlosen Betrieb durchringen konnte, sei eine Frage der Generationen, sagt Stéphanie Penher, Fraktionspräsidentin Grünes Bündnis/Junge Alternative! (Ja zu papierloser MAZ, Enthaltung zu papierlosem Parlament). Während für die Jungen klar sei, dass es auch ohne Papier geht, seien Ältere noch zurückhaltender.

«Stadtratsmitglieder müssen die Unterlagen lesen, die Mitarbeitenden sind nicht zur Lektüre der MAZ verpflichtet.»

Stéphanie Penher, Fraktionspräsidentin GB/JA!

Dass die Stadträte an der gestrigen Sitzung auch aus Eigeninteresse gehandelt haben, möchte sie nicht bestreiten. «Die MAZ betrifft die Stadträte nicht, da ist der Entscheid wohl einfacher gefallen als bei den eigenen Belangen.» Penher möchte den Ball flach halten, die MAZ beinhalte schliesslich keine arbeitsrechtlich relevanten Informationen, sondern «Interviews über die Hobbys von Verwaltungsangestellten». Die Relevanz der Informationen spiele bei den ungleichen Entscheiden des Parlaments eine wichtige Rolle: «Stadtratsmitglieder müssen die Unterlagen lesen, die Mitarbeiterinnen sind hingegen nicht zur Lektüre der MAZ verpflichtet.» Für jene, welche sie doch gerne lesen und kein Internetzugang haben, könne man die Zeitung ja ausdrucken und zum Beispiel in der Kantine aushängen.